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Politik

Merkel widerspricht Seehofer in Islam-Debatte

Richard A. Fuchs
16. März 2018

Der neue Heimatminister entfacht kurz nach Amtsübernahme eine neue Islam-Debatte. Für Seehofer gehört der Islam nicht zu Deutschland. Damit widerspricht er einem früheren Bundespräsidenten. Die Reaktionen folgen prompt.

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Angela Merkel und Horst Seehofer Union einigt sich auf Kompromiss im Flüchtlingsstreit
Bild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Es scheint, als wolle der frisch gekürte Heimatminister Horst Seehofer (CSU) sein neues Revier abstecken. Was ist Heimat? Das fragen politisch Interessierte in diesen Tagen nicht nur, weil es mit dem neuen Kabinett Merkel zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte ein Heimatministerium gibt. Jetzt hob der Innen- und Heimatminister die Frage auf die große politische Bühne. Am Tag nach seinem Amtsantritt löste der frühere bayrische Ministerpräsident im Interview mit der "Bild"-Zeitung eine heftige Kontroverse aus, als er sich mit dem Satz zitieren ließ: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Damit nimmt Seehofer ein berühmtes Zitat des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff auf, um es ins Gegenteil zu verkehren. Wulff hatte sich im Namen der Bundesrepublik im Jahr 2010 dazu bekannt, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre. Auch die Kanzlerin von damals, Angela Merkel, unterstützte Wulff - sogar mehrfach.

Deutschland Horst Seehofer mit Teilnehmern des Trachtentags
Wer sagt hier, was Heimat ist? Der Heimatminister Seehofer macht einen Vorstoß. Bild: picture alliance/dpa/P. Kneffel

Merkel widerspricht dem Innenminister umgehend

Wie jetzt deutlich wurde, steht Merkel zu diesen Worten. Am Freitag bekräftigte sie in Berlin, dass die Prägung unseres Landes sehr stark durch das Christentum erfolgt sei, und auch heute noch erfolge. "Aber inzwischen leben vier Millionen Muslime in Deutschland und sie üben hier auch ihre Religion aus. Und diese Muslime gehören auch zu Deutschland und genauso gehört ihre Religion damit zu Deutschland, also auch der Islam." Die bayerische CSU hat diese Linie der Kanzlerin schon mehrfach kritisiert: Die emotionale Distanz zum Islam gehörte auch in der Vergangenheit zur politischen DNA der bayerischen Schwesterpartei der CDU. Neu an Seehofers Einlassung ist deshalb nur, dass diese jetzt von einem Bundesminister vertreten wird. Eine Kontroverse hat Seehofer in jedem Fall losgetreten, was auch der Blick ins Netz bestätigt.

Özoğuz: "Symboldebatte auf Kosten einer Religionsgemeinschaft"

Die frühere Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Özoğuz machen Seehofers Einlassungen fassungslos. "Eigentlich sollte man jetzt besonders die Flagge für Zusammenhalt zeigen, anstatt eine Symboldebatte auf Kosten einer ganzen Religionsgemeinschaft zu führen, wie es Horst Seehofer mit seinen jüngsten Äußerungen tut", sagte Özoğuz der DW.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hält Seehofers Äußerungen vor dem Hintergrund der jüngsten Moscheebrände für völlig deplaziert. "Ich hätte erwartet, dass der neue Innenminister sich demonstrativ hinter die deutschen Muslime stellt", sagte Mazyek der DW. Er forderte, jetzt keinen Wahlkampf mit "markanten Sprüchen" auf dem "Rücken der Muslime" zu betreiben. "Den Rechtpopulismus und Extremimus bekämpft man am besten, wenn er als Kampf gegen die Islamfeindlichkeit in unseren Land verstanden wird." Die nächste Islamkonferenz müsse das Thema Islamfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus in den Mittelpunkt stellen, um sicherzustellen, dass die über 1000 Straftaten gegen deutsche Muslime im letzten Jahr sich nicht mehr wiederholen könnten.

Auch die amtierende Integrationsbeauftragte, Annette Widmann-Mauz (CDU), veurteilte Seehofers Vorstoß. "Solche Sätze bringen uns nicht weiter. Sie liefern keinen Beitrag zur Lösung der Herausforderungen, vor denen wir stehen", sagte sie gegenüber der "Rheinischen Post". Was bezweckt Seehofer also mit seinem Vorstoß?

Deutschland Aydan Özoguz
Aydan Özoğuz, frühere Staatsministerin für Integration: "Symboldebatte auf Kosten einer Religionsgemeinschaft"Bild: picture alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Applaus bekommt der neue Innenminister vom rechten politischen Spektrum. Seehofer habe die Abgrenzung vom Islam "wortwörtlich unserem Grundsatzprogramm" entnommen, freut sich der AfD-Politiker André Poggenburg. Er war zuletzt dadurch aufgefallen, dass er Muslime und Türkischstämmige öffentlich als "Kümmelhändler" und "Kameltreiber" diffamierte.

Trittin: "Seehofer macht Wahlkampf für die AfD"

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin nahm den Applaus vom rechten politischen Rand auf, um Seehofers Vorgehen scharf anzugehen. Im Südwestrundfunk warf er ihm vor, jetzt Wahlkampf für die AfD zu machen: "Ein Heimatminister, der es als erste Aufgabe sieht, die Heimat zu spalten, der ist Fehl am Platz." Eine Bedrohung der christlich-abendländischen Traditionen könne er in Deutschland nicht erkennen. Genau diesen Eindruck hatte Seehofer aber erweckt, als er im Interview Selbstverständlichkeiten betonte. Seehofer hob hervor: "Deutschland ist durch das Christentum geprägt." Und er verwies darauf, dass integrale Bestandteile dieser christlichen Heimat der freie Sonntag, die christlichen Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten seien.

Dass diese Rituale und Feste von niemand in Abrede gestellt worden sind, das ergänzte Seehofer in seinem vielbeachteten Interview nicht. Vielmehr ergänzte er weiter: "Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland." Das bedeute aber nicht, so Seehofer, dass man hierzulande aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben sollte. Linken-Politikerin Petra Pau rief den Innen- und Heimatminister zur Ordnung und erinnerte ihn daran, was seine eigentliche Aufgabe sei. Im Interview mit dem Sender n-tv sagte sie: Der Minister habe für öffentliche Sicherheit zu sorgen, und zwar "für alle Menschen, die hier leben".

Seehofer sorgt für viel Gesprächsstoff auf den neuen Islamkonferenzen

Die neue SPD-Familienministerin Franziska Giffey lässt ihren neuen Kabinettskollegen unterdessen wissen, dass Diskussionen wie diese "vor Ort" nicht gebraucht würden. "Das geht völlig am Thema vorbei", kritisierte sie Seehofer gegenüber der DW scharf. "Wir haben in Neukölln 60.000 Muslime und in Deutschland fünf Millionen. Da geht es darum, das gute Zusammenleben zu organisieren und da geht es darum, eine Gesellschaft zu gestalten, die einen sozialen Frieden hat."

Beinahe untergegangen ist angesichts der heftigen Reaktionen auf Seehofers Äußerungen, dass er auch eine neue Serie von Treffen der Islamkonferenz ankündigte. Dabei wolle er die Probleme der Integration von Muslimen in Deutschland diskutieren, ergänzte Seehofer. "Meine Botschaft lautet: Muslime müssen mit uns leben, nicht neben oder gegen uns." Für den nötigen Gesprächsstoff hat der neue Heimatminister in jedem Fall bereits gesorgt. Ob Seehofer auch dazu beigetragen hat, dass eine gute Gesprächsatmosphäre zwischen den muslimischen Verbänden und Regierungsvertretern herrschen kann, das steht auf einem anderen Blatt.