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Menschenrechte fördern

29. Oktober 2009

Seit Juli ist Monika Lüke Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland. Im DW-Interview spricht sie über Erwartungen an die neue Bundesregierung und die Rolle Deutschlands beim Kampf für die Menschenrechte.

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Amnesty International-Generalsekretärin Frau Monika Lüke bei der Deutschen Welle (Foto: DW)
Amnesty International-Generalsekretärin Monika LükeBild: DW

Deutsche Welle: Guido Westerwelle hat nun die Amtsgeschäfte als neuer Bundesaußenminister übernommen. Würden Sie ihn sprechen, was gäben Sie ihm mit auf den Weg?

Monika Lüke: Ich würde ihm sagen, dass er bei der Formulierung der deutschen Außenpolitik im Koalitionsvertrag die sozialen Menschenrechte komplett vergessen hat - denn die stehen da mit keinem Wort drin. Es gibt zwar ein eigenes Kapitel über Menschenrechte, doch das bleibt leider sehr nebulös. Das macht mich schon ein bisschen besorgt. Dann würde ich ihm sagen, dass er in Afghanistan richtig aufpassen sollte, dass dort die Menschrechte eingehalten werden von der afghanischen Regierung und von ausländischen Truppen.

Und dann sollte natürlich die konsequente Einhaltung der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus ein wichtiges Thema der neuen Bundesregierung sein. Auch die deutsche Außenpolitik - nicht nur der Innenminister und Verteidigungsminister - muss darauf achten, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Und zum Schluss würde ich ihm noch sagen, dass alle Außenpolitik auch Menschenrechtspolitik sein muss. Die Menschenrechte müssen in jeder Art von außenpolitischer Beziehung eine Rolle spielen. Selbst dann, wenn über das Atomprogramm mit dem Iran verhandelt wird oder es um Wirtschaftsinteressen in Usbekistan geht. Dann müssen die Menschenrechte letzten Endes den Maßstab setzen - und unter Umständen muss man sich das auch etwas kosten lassen.

An wen im Bundeskabinett haben Sie neben Guido Westerwelle Erwartungen und Wünsche?

Wir haben an viele Kabinettsmitglieder Erwartungen und Wünsche, zum Beispiel an Dirk Niebel als neuen Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ganz konkret, dass er nicht nur Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist, sondern auch für Entwicklung. Wir haben da ein bisschen Sorge bei den Rüstungsexporten und insgesamt bei der Exportpolitik. Dann haben wir natürlich ganz konkrete Wünsche an die Kanzlerin, die ja den Rahmen für alles setzt und die letzte Verantwortung trägt. Auch dafür dass Deutschland beispielsweise endlich das Zusatzprotokoll zum Pakt über wirtschaftliche und soziale Menschenrechte ratifiziert. Da muss sich Frau Merkel mit ihren Kabinettskollegen zusammenraufen.

Wir haben daneben natürlich auch noch Wünsche an Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, bezüglich eines anderen UN-Vertrags: der Konvention gegen das Verschwindenlassen, also der Entführung oder Verhaftung von Personen unter Duldung des Staates. Die hat Deutschland zwar endlich ratifiziert, hat sich aber vorbehalten, dass diese Konvention nicht die Immunität beeinträchtigen darf. Die Bundesregierung will also, dass die staatlichen Behörden und Dienste nicht verantwortlich sind - vor allem vor anderen Gerichten. Das geht natürlich nicht!

Daneben haben wir auch noch große Wünsche an Innenminister Thomas de Maizière, was die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik betrifft. Und nicht zuletzt wünschen wir uns von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dass er dafür sorgt, dass die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen die Menschenrechte einhält.

Die Uniform eines Soldaten der Bundeswehr beim Einsatz in Afghanistan (Foto: AP)
Mit mehr als 3000 Soldaten ist Deutschland in Afghanistan aktivBild: AP

Den Einsatz in Afghanistan selber stellen Sie nicht in Frage?

Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, darauf zu drängen, dass die ausländischen Truppen und die afghanische Regierung die Menschenrechte einhalten. Wir müssen doch davon ausgehen, dass auch in den kommenden Jahren in Afghanistan zehntausende ausländischer Soldaten sind. Und bei dieser ganzen Diskussion - Abzug oder nicht Abzug - gerät mir zu sehr in Vergessenheit, dass Soldaten bereits da sind, dass sie zurzeit die Menschenrechte und die Regeln des humanitären Völkerrechts einhalten sollen.

Sie klagen auch Verstöße gegen das Menschenrecht in Deutschland an. Welche konkret?

Zum Beispiel ist es um die Rechte der irregulären Einwanderer schlecht bestellt. Das sind Menschen, die hier keine Aufenthaltspapiere haben, aber dennoch hier sind. Denen stehen zwar formell alle Menschenrechte und die Grundrechte des Grundgesetzes zu. Faktisch ist es aber so, dass Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken, weil sie fürchten müssen, dass die Schulbehörden das den Ausländerbehörden melden und dann die gesamte Familie am nächsten Tag abgeschoben wird.

Zwei Senegalesen (Foto: DPA)
"Formell haben auch Einwanderer alle Menschenrechte"Bild: picture-alliance/ dpa

Welche Rolle spielt die deutsche Stimme von Amnesty International im globalen Kontext?

Die deutsche Sektion ist die viertgrößte weltweit und deswegen haben wir das Glück, die weltweite Bewegung Amnesty prägen zu können. Und wir sind mit dafür verantwortlich, dass die beiden großen Themen von Amnesty - Menschenrechte und Armut und Einhaltung der Menschenrechte beim sogenannten Kampf gegen den Terror - vorangetragen werden. Dass wir Menschenrechte wieder zur Wertgrundlage weltweit und in allen Situationen machen.

Vor einem halben Jahr wurden Sie als neue Amnesty-Generalsekretärin bekannt, im Juli haben Sie die Geschäfte übernommen. Wie haben Sie die vergangene Monate erlebt?

Turbulent, keinesfalls langweilig und sehr anspruchsvoll. Ich lerne jeden Tag etwas über die Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in einem anderen Land. Da habe ich viel zu tun.

Interview: Michael Borgers

Redaktion: Kay-Alexander Scholz