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Meinungsfreiheit auf Russisch und Ukrainisch

30. Januar 2003

– PACE debattiert über Lage der Medien in Russland und in der Ukraine

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Köln, 29.1.2003, DW-radio / Russisch

Am 28. Januar hat in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eine Debatte über die Meinungsfreiheit stattgefunden, in deren Mittelpunkt die Lage in der Ukraine und in Russland stand. Aus Straßburg berichtet der Korrespondent der Deutschen Welle Igor Sedych:

Ist Lord Judd an allem schuld?

Der politische Ausschuss erörterte den Entwurf einer Resolution, den Lord Judd als Ergebnis einer Reise durch den Nordkaukasus eingebracht hatte. Besprochen wurden aber auch Ergänzungen zur Resolution. Sie enthält die Forderung, das Referendum in Tschetschenien zu verschieben, da nach Ansicht von Lord Judd die Bevölkerung keine Gelegenheit hatte, sich über den entsprechenden Wortlaut zu informieren. Diese Position fand die Unterstützung des Vorsitzenden der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Peter Schieder.

Die russische Delegation reichte jedoch einen Berichtigungsantrag ein, der vorsieht, diesen Punkt aus der Resolution zu streichen. Dmitrij Rogosin, Leiter der russischen Delegation, drohte, dass, falls die Resolution in ihrer ersten Fassung verabschiedet werde, Präsident Putin die Einladung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, nach Straßburg zu kommen, nicht annehmen werde. Das Referendum werde dennoch zu dem genannten Zeitpunkt stattfinden, da Russland nicht dazu verpflichtet sei, die Position des Europarates zum Referendum in jenem Föderationssubjekt zu berücksichtigen. Rogosin erklärte ferner, dass, falls die Resolution verabschiedet werde, Russland darauf bestehen werde, anstatt Lord Judd jemand anders als Berichterstatter des politischen Ausschusses über die Lage in Tschetschenien einzusetzen. Wenn er jedoch seinen Posten behalte, werde die Delegation nicht mehr nach Tschetschenien gelassen.

In dem Bericht, der der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vorgestellt wurde, wird unterstrichen, dass die Tätigkeit für Journalisten in Tschetschenien immer stärker eingeschränkt wird und ausländische Medien zu dieser Region keinen Zutritt haben. Dies soll in einem Programm für eine ständige Medien-Beobachtung berücksichtigt werden, das von der parlamentarischen Versammlung des Europarates angeregt wurde.

Man spricht von der "Pressefreiheit in Russland" und meint Tschetschenien ...

Die Bemühungen des Leiters der russischen Delegation Dmitrij Rogosin haben dazu geführt, dass schon heute das Thema Tschetschenien große Aufmerksamkeit fand, obwohl das Problem Tschetschenien erst am Mittwoch (29.1.) auf der Tagesordnung der parlamentarischen Versammlung des Europarates stand. Das ist auch logisch. Das Thema Tschetschenien und die Pressefreiheit sind im heutigen Russland eng miteinander verbunden. Übrigens wurde an diesem Dienstag (28.1.) in Berlin, dort, wo üblicherweise Pressekonferenzen der Bundesregierung stattfinden, die deutsche Ausgabe des Buches von Anna Politkowskaja "Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg" vorgestellt, das vom Dumont Verlag herausgegeben wurde. Während der Pressekonferenz, der sehr viele Journalisten beiwohnten, sprach unser Korrespondent mit Anna Politkowskaja:

"Zweifelsohne, mit der Pressefreiheit sieht es bei uns derzeit so aus wie in der UdSSR. Es gibt eine offizielle Linie und es gibt Menschen, die es als ihre Pflicht ansehen, sich ihr zu widersetzen. Ich selbst gehöre zu den letzteren. Ich habe meine Prinzipien. Ereignisse müssen von allen möglichen Seiten beleuchtet werden. Ich werde von meinen Prinzipien nicht abrücken. Manch einer glaubt, dass die Meinungsfreiheit eine solch lenkbare Sache ist, wie eine gelenkte Demokratie. Ich will mich damit nicht abfinden und werde dies auch nicht tun, so lange meine Kraft dafür reicht. Die Mehrheit hat es abgelehnt, über den zweiten tschetschenischen Krieg zu berichten. Und warum ist es dazu gekommen? Weil die Menschen Angst hatten. Das war nicht alles so einfach. Diejenigen, die zu Beginn des Krieges über die Ereignisse berichteten, wurden enorm unter Druck gesetzt. Und über die Ereignisse in Dubrowka konnte nur im Sinne der offiziellen Betrachtungsweise berichtet werden. Sogar ich habe aus dem Gebäude berichtet und Journalisten baten mich um Interviews. Später sagten sie, die Vorgesetzten hätten es untersagt, das Material zu verwenden. Zweifelsohne ist der Druck seitens der Präsidentenadministration gewaltig, aber jeder trifft eine eigene Entscheidung."

Ukrainische Journalisten fordern Kontrolle – über die Zensur ...

Vertreter der Staaten, denen Verstöße gegen Menschenrechte und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit vorgeworfen wird, beschuldigen im Gegenzug Vertreter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und anderer internationaler Organisationen, voreingenommen zu sein und über unzureichende Informationen zu verfügen. Auch der Ukrainische Journalistenverband schickte eine eigene Delegation nach Straßburg. Sie forderte, Fälle von Zensur sowie die Verfolgung von Journalisten in allen GUS-Staaten zu beobachten. Der Delegation gehört auch die Witwe des ermordeten Journalisten Georgij Gongadse, Myroslawa, an:

"Ich denke, es ist noch zu früh, von Ermittlungsergebnissen sprechen zu können. Das einzig Positive ist, dass die Generalstaatsanwaltschaft anerkannt hat, dass der Mord an Georgij ein politischer Mord ist. Ferner gaben sie zu, dass in den zwei Jahren nach der Ermordung meines Mannes praktisch keine Ermittlungen stattfanden, sie waren nicht effektiv und hatten zu keinen Ergebnissen geführt. Seit fast einem halben Jahr ist ein neuer Mann auf dem Posten des Generalstaatsanwalts, aber mehr als Versprechen gab es bislang auch nicht."

In der Ukraine ist es gefährlich, ein unbequemer Journalist zu sein

Das Mitglied der ständigen Delegation des Obersten Rates der Ukraine, Anatolij Rachanskyj, hält die Kritik an der Lage der Medien in der Ukraine für berechtigt. Er wies unter anderem auf die Verfolgung und den Mord an den Journalisten Georgij Gongadse und Ihor Aleksandrow sowie auf Fälle hin, wo mit rechtlichen Mitteln Druck ausgeübt wird. Ferner gebe der Tod des Direktors der Nachrichtenagentur "Ukrajinski Nowyny", Mychajlo Kolomijez, der in Weißrussland ums Leben kam, Rätsel auf. Deswegen reiste nun eine Gruppe ukrainischer Journalisten nach Minsk, um dort eigene Nachforschungen anzustellen. Es berichtet unser Korrespondent in Minsk, Wladimir Dorochow:

Am 30. Oktober ist Mychajlo Kolomijez in einem Wald nahe der Stadt Molodetschno erhängt aufgefunden worden. Der Journalist wurde wie ein Obdachloser beerdigt, da er nicht identifiziert werden konnte. Am 20. November wurde die Leiche exhumiert und von den Angehörigen des Journalisten identifiziert. Die weißrussische Staatsanwaltschaft hält es für erweisen, dass es sich um einem Selbstmord handelt. Deswegen lehnt sie es ab, ein neues Verfahren zu eröffnen. Über die Aktion der ukrainischen Journalisten sagte der Deutschen Welle die Präsidentin des weißrussischen Journalistenverbandes, Schanna Litwina, es sei erfreulich, dass die ukrainische Öffentlichkeit auf Probleme der Medien so heftig reagiere. Das große Problem der weißrussischen unabhängigen Presse sei, so Litwina, dass deren Probleme nicht nach außen dringen würden. Die heutige Staatsmacht sehe in den Medien eine Propagandamaschine und ein Mittel, die Informationen zu kontrollieren. Ferner dienten sie den Interessen der Staatsmacht. Schanna Litwina machte darauf aufmerksam, dass im vergangenen Jahr 16 von 39 weißrussischen nichtstaatlichen Medien aus verschiedenen Gründen ihre Arbeit einstellen mussten. (MO)