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"Meinen Beitrag zur Sanierung Deutschlands leisten"

2. Oktober 2004

Wer für die CDU/CSU in den nächsten Kanzler-Wahlkampf zieht - Angela Merkel oder vielleicht Edmund Stoiber -, wird kurzfristig entschieden. Das sagte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber im Gespräch mit DW-TV.

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Bild: DW

DW-TV: Herr Stoiber, Sie hätten auch in Europa ganz vorne Platz nehmen können, hätten nach Brüssel gehen können als Präsident der europäischen Kommission. Warum haben Sie dieses Angebot im Sommer ausgeschlagen?

Edmund Stoiber bei DW-TV
Edmund Stoiber (r.) im Gespräch mit Christian F. TrippeBild: DW

Edmund Stoiber: Es gab die Möglichkeit, sich dort einzubringen, aber auch wenn Europa eine faszinierende Idee ist und eine faszinierende Konstitution, wenn man die Geschichte Europas insgesamt vergleicht, dann ist der Einigungsprozess Europas natürlich wirklich in der Welt einmalig, aber auf der anderen Seite geht es Deutschland außerordentlich schlecht. Wir sind in den wichtigsten Belangen der Wirtschaft, der Ökonomie, der Wissenschaft, der Forschung zurückgefallen. Das liegt an den Rahmenbedingungen, die in Deutschland falsch gesetzt werden durch die Politik der Bundesregierung und als CSU-Vorsitzender war ich immer der Meinung, die Sanierung Deutschlands kann nicht über Europa kommen, sondern die muss von innen heraus kommen. Und ich möchte natürlich an dieser Sanierung Deutschlands meinen Beitrag leisten und das war letzten Endes das ausschlaggebende Moment.

Die europäische Union wird aller Voraussicht nach schon bald offizielle Gespräche mit der Türkei beginnen, Gespräche über den Beitritt der Türkei zur EU. Wie sehen Sie das? Soll die Türkei EU-Mitglied werden?

Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa nicht in der Lage ist, ein so großes Land wie die Türkei mit deren Besonderheiten, mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die die Türkei hat, mit dem kulturellen Hintergrund der Türkei, der natürlich ein anderer ist als der Europas, zu integrieren, und deswegen liegt das Problem nicht in der Türkei, sondern das Problem liegt letzten Endes in der Europäischen Union. Wir sind nicht in der Lage, wenn wir die europäisch-politische Union wirklich wollen, ein Land aufzunehmen, das doch meines Erachtens, in diese europäische Integration nicht voll einbezogen werden kann.

Volksentscheid über den Türkeibeitritt oder über die europäische Verfassung, auch das haben Sie mal vorgeschlagen. Das würde ja bedeuten, Änderung des Grundgesetzes. Volksentscheide würden dann ganz grundsätzlich ein Mittel der Willensbildung in Deutschland.

Ich bin schon der Meinung, dass solche grundsätzlichen Weichenstellungen, wo Deutschland sich neu positioniert und neu positioniert wird durch den europäischen Verfassungsvertrag, dass dies auch der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt wird, weil das auch eine Wirkung hat, dass sich die Bevölkerung mit der europäischen Frage wesentlich intensiver befasst. Die Politiker müssen nicht nur das Parlament überzeugen, sondern sie müssen auch die Bevölkerung direkt überzeugen. Es wird meines Erachtens einen belebenden europäischen Dialog geben. Und wir beklagen ja gerade bei den Europawahlen, dass die Menschen so wenig zur Wahl gehen, Europa nicht richtig einschätzen, glauben, dass die europäischen Wahlen nicht die wichtigsten Wahlen seien oder nicht sehr wichtige Wahlen seien und das könnte eigentlich alles wesentlich verbessert werden, wenn hier jetzt auch das Volk bei grundlegenden europäischen Entscheidungen mitentscheiden dürfte.

Nun steht die deutsche Verfassung auch noch aus einem anderen Grund derzeit auf dem Prüfstand. Eine Föderalismus-Kommission. Sie sind dort Code-Vorsitzender. Diese Kommission will das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ganz neu austarieren. Können Sie jetzt schon sagen, was sich konkret ändern soll?

Es ist so, dass unser Land, Deutschland natürlich eine ganz spezifische Tradition hat. Wir sind sehr stark geprägt durch die Länder, durch die Regionen in Deutschland. Wir haben eine ganz andere Entwicklung als Frankreich und haben niemals diese einheitlichen Züge gehabt. Und deshalb ist ja auch die Bundesrepublik Deutschlands durch die Länder letzten Endes geschaffen worden 1949. Jetzt haben wir aber eine andere Situation. Wir haben eine Situation, dass wir schneller entscheiden müssen, um auch im europäischen Prozess z.B. wirklich gut mithalten zu können. Der Bund und die Länder müssen sich ein bisschen auseinander bewegen, die Zuständigkeiten neu aufteilen, damit die Menschen auch klar erkennen, das ist der Bundestag, das ist der Landtag, da trägt der Kanzler die Verantwortung, da tragen die Ministerpräsidenten die Verantwortung. ... ... Jetzt ist das oft so ein Gemengelage. Keiner weiß eigentlich, wer verantwortet das, was aus dem Vermittlungsausschuss herauskommt, wer ist da eigentlich noch verantwortlich dafür und das ist schädlich für die Demokratie.

Herr Stoiber, die Landtagswahlen der letzten Wochen haben gezeigt, dass die beiden großen Volksparteien verlieren, dass die kleinen Parteien, auch die am Rand dazu gewinnen. Auch das ist eine Antwort auf die in der Bevölkerung ungeliebten Sozialreformen, die ja die beiden Lager konservativ und Sozialdemokraten gemeinsam getragen haben. Wäre es da nicht richtig zu sagen, wir machen jetzt eine große Koalition, um diese Reformen gemeinsam zu Ende zu bringen?

Nein, große Koalitionen sind von Haus aus ein Problem in einer Demokratie, denn dann gibt es nicht mehr die Auseinandersetzungen im Bundestag zwischen etwa gleichgroßen Blöcken. Dann haben Sie letzten Endes die beiden großen Parteien, die dann immer alle Fragen außerhalb des Bundestages mehr oder weniger ausdiskutieren und sie haben die kleinen im Bundestag, die dann eigentlich numerisch gar nicht gegen diesen großen Block antreten können. Und dann haben wir das Problem, dass wenn Sie nicht mehr dieses Checks-and-Balances haben, dann werden Sie letzten Endes radikalen Gruppierungen eher den Boden bereiten, gehört zu werden.

Das Verhältnis zwischen CSU und der Schwesterpartei CDU war in den letzten Monaten nicht besonders gut. Ein Grund, so sagen auch viele Konservative, liegt in der ungeklärten Führungsfrage. Warum entscheidet das bürgerliche Lager nicht schon jetzt, wer Kanzlerkandidat sein soll?

Angela Merkel und Edmund Stoiber
Die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel und Edmund Stoiber (Archiv)Bild: AP

Es gibt keine ungeklärte Führungsfrage. Die Führung der CDU ist mit Angela Merkel unbestritten. Die Führung der CSU, was mich betrifft ebenfalls. Und wir müssen die Frage, wer soll letzten Endes jetzt die Spitzenposition, die gemeinsame Spitzenposition haben bei den Bundestagswahlen, die Frage jetzt zu entscheiden, das wäre falsch. Das ist auch gemeinsame Überzeugung, dass wir dieses genauso wie im letzten mal relativ kurzfristig vor der Bundestagswahl machen, also im Frühjahr, im Frühfrühjahr des Jahres 2006 ist der entscheidende Zeitpunkt.

Dem bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, vielen Dank für Ihre Antworten auf DW TV.

Das Interview führte Christian F. Trippe