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"Mehr Kunst als Werbung": DDR-Filmplakate

Petra Lambeck
28. Mai 2018

Auf den ersten Blick mag es erstaunen: Ostdeutsche Künstler, die Filmplakate entwarfen, hatten mehr Freiraum in der Gestaltung als im Westen, so die These des Grafikers Detlef Helmbold. Im DW-Gespräch erklärt er, warum.

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Flippig-Book – Mehr Kunst als Werbung
Bild: DEFA-Stiftung

Deutsche Welle: Herr Helmbold, beim Stichwort DDR fällt einem in der Regel nicht unbedingt das Wort Freiheit ein. Sie aber sagen, dass die Künstler, die Filmplakate in der DDR gestaltet haben, freier waren als viele ihrer westlichen Kollegen. Inwiefern?

Detlef Helmbold: Das lag daran, dass die Grafiker in der DDR weniger Vorgaben hatten. Die künstlerische Freiheit war auf der gestalterischen Ebene sehr groß. Das geht unter anderem auf die Grafiker Otto Kummert und Erhard Grüttner zurück, die damals beim "Progress Film-Verleih" angestellt waren (Der "Progress Film-Verleih" war der einzige Filmverleiher der DDR und gab die Filmplakate in Auftrag, Anmerk. d. Red.). Sie haben die These aufgestellt, dass die Gestaltung von Plakaten im künstlerischen Sinne immer einen Vorteil hat. Und so haben sie es geschafft, dass die Grafiker in der DDR nicht versucht haben, einfach den Inhalt des Filmes wiederzugeben, um dann den Hauptdarsteller oder eine entscheidende Szene darzustellen und damit einen Werbeeffekt zu erzielen. Sie haben vielmehr versucht, eine künstlerische, emotionale Beziehung zum Film aufzubauen, denn man war der Ansicht, dem Betrachter den Film auf diese Weise viel besser transportieren zu können. Und so hat man immer versucht, die Grafiker so wenig wie möglich einzuschränken. Sie waren in ihrer Schriftgröße frei, in ihrer Schrifttype etc.

Und das war im Westen anders?

Es gab natürlich auch Grafiker im Westen, die freier agieren konnten. Nicht bei den Mainstream-Filmen, aber zum Beispiel beim Filmverleih der Autoren. Oder Grafiker, die schon einen Namen hatten wie Hans Georg Hillmann. Aber im Großen und Ganzen hatte man in der DDR schon als ganz junger Grafiker diese Freiheit. Das habe ich auch selbst erfahren. Ich habe vier Jahre - von 1986 bis 1990 - beim "Progress Film-Verleih" gearbeitet und ich war erstaunt, was ich alles machen konnte. Das Maß war immer die Gestaltung als solches: Sie musste einen hohen künstlerischen Wert haben. Dazu muss man sagen, dass die Leute, die im Endeffekt darüber entschieden haben, zu 70 Prozent Grafiker waren und nur zu 30 Prozent Leute, die von der Öffentlichkeitsarbeit kamen.

Aber es gab natürlich auch Einschränkungen. Die bezogen sich jedoch selten auf das Gestalterische, sondern waren eher inhaltlicher Art. Ein Beispiel: Auf dem Entwurf zu einem Plakat für den jugoslawischen Film "Der Journalist" von Hans-Eberhard Ernst ist ein Maulkorb zu sehen. Das war den Entscheidungsträgern im Verleih natürlich nicht geheuer, weil man sonst denken würde: Auch in der DDR haben die Journalisten einen Maulkorb. Aber es wurde dann nicht die Gestaltung des Plakates geändert, sondern der Filmtitel. Er hieß dann "Der Stein des Anstoßes". Im Endeffekt wurde das Plakat aber nicht aufgehangen, sondern nur ein Schriftplakat, weil die Zuständigen wohl doch Angst bekamen, das Plakat zu zeigen - denn in dem Film ging es ja um einen Journalisten.

Altes Filmplakat aus der DDR mit Schrift "Der Stein des Anstoßes" und einem Maulkorb vor weißem Hintergrund.
Zensur am Titel: Aus dem ursprünglichen Titel "Der Journalist" wurde "Der Stein des Anstoßes"Bild: DEFA-Stiftung

Wo kam denn dieser hohe Anspruch an die Plakate her?

Eigentlich war das Ziel anfangs gewesen, billiger zu produzieren. Und da hat man sich beim "Progress Film-Verleih" gesagt: Wir nehmen einfach ganz junge Grafiker, in dem Fall Erhard Grüttner, und stellen sie an. Leute wie er, die direkt von der Hochschule kamen, hatten natürlich einen enorm hohen Anspruch. Und dieser Anspruch hat sich durchgesetzt. Später kam noch Otto Kummert dazu. Und so weiter. Und die fingen dann natürlich auch an, sich in der Welt umzusehen und zu schauen: Wie machen andere Länder das? Großes Vorbild waren damals die tschechischen und vor allen Dingen auch die polnischen Filmplakate. 

Bei den Filmen, die gezeigt wurden, handelt es sich ja nicht nur um Filme, die in der DDR entstanden sind, sondern auch um sowjetische, amerikanische Filme oder westdeutsche Filme. Warum wurde für die Ankündigung des Films nicht das Original-Plakat genommen? Gab es wirklich für alle Filme, die in der DDR gezeigt wurden, eigene neue Plakate?

Es gibt ein paar wenige Ausnahmen, die Asterix-Filme beispielsweise. Aber bei fast allen anderen Filmen wurden einfach auch deswegen neue Plakate gemacht, weil man die Rechte bezahlen musste. Das war eine Kostenfrage. Und natürlich wollte man auch teilweise andere Dinge zeigen. Auf dem Originalplakat zum Film "Beverly Hills Cop" mit Eddy Murphy aus den 1980er Jahren sitzt er auf einer großen amerikanischen Edelkarosse. Solche Statussymbole wollte man natürlich nicht unbedingt zeigen und deswegen wurde dann ein karikiertes Porträt des Hauptdarstellers von Thomas Schallnau als Plakat entworfen. 

Welchen Stellenwert hatten die Plakate damals in der Öffentlichkeit in der DDR? Wurden sie wahrgenommen?

Schwarz-weiß Porträt von Detlef Helmbold - freiberuflicher Grafiker in Berlin.
Detlef HelmboldBild: D. Helmbold

Ja, auf jeden Fall. Es gab in der DDR jedes Jahr einen Plakatwettbewerb mit den 100 besten Plakaten, die in der DDR geschaffen worden sind. Das ging über alle Bereiche und da haben die Filmplakate immer einen sehr großen Stellenwert gehabt. Unter den 100 besten waren immer viele Filmplakate.

Was macht denn das typische DDR Filmplakat aus?

Also im Unterschied zum polnischen zum Beispiel: Beim polnischen Filmplakat gibt es nach meiner Auffassung immer diese hohe Ästhetik zwischen der grafischen Abbildung einerseits und der inhaltlichen Metapher-Bildung andererseits. Das heißt, es wurde alles sehr symbolisch gestaltet. Das DDR-Filmplakat hingegen, das sich zu Anfang - was die Grafik betrifft - so ein bisschen am polnischen Plakat orientiert hat, hat sich später dahin entwickelt, dass versucht wurde, immer stärker zu reduzieren, um dann am Schluss nur noch ein Zeichen oder ein Symbol zu finden, was dann für den ganzen Film steht.

Als in den 1970ern und 1980er Jahren dann das Fotoplakat im Westen groß Einzug hielt - da wurde kaum noch etwas gezeichnet, es gab nur noch Fotos - griff man in der DDR weiter zum Stift. Es wurde bis zum Schluss vieles gezeichnet, weil man da viel freier war. Man war nicht gebunden an irgendwelche Abbildungen von Darstellern oder Szenen. Aber man hat aus der Not natürlich auch eine Tugend gemacht, weil die fotografische Abbildung in der DDR schwierig war, gerade was die ganze Fototechnik betrifft.

Buchcover: Mehr Kunst als Werbung: Das DDR-Filmplakat 1945–1990 Gebundene Ausgabe – 1. Mai 2018 (Bertz-Fischer).
"Mehr Kunst als Werbung. Das DDR Filmplakat" - das Buch von Detlef Helmbold

Wenn man die Plakate zeitlich sortiert nebeneinander legt: Lässt sich da eine bestimmte Entwicklung erkennen?

Ganz entscheidend ist der Bruch zwischen den 50ern und 60ern. Von 1945 bis Ende der 1950er Jahre waren die Plakate in der DDR und in der Bundesrepublik ziemlich ähnlich. Das waren immer diese gezeichneten sogenannten "Kopfplakate": ein großer Kopf und dahinter wurde die entscheidende Szene in klein abgebildet, so wie es heute auch wieder teilweise der Fall ist. In den 60ern hat sich dann die Schrift gewandelt, es gab so ganz typische Schriftschnitte und Schrifttypen, die eingesetzt wurden, wie zum Beispiel die Avantgarde. Vorher wurden die Schriften oft gezeichnet oder mit dem Pinsel geschrieben. Und was in den 60ern auch Einzug hielt, war das Foto - selten pur, aber in grafisch abgewandelter Form war es ein oft verwendetes Stilmittel. Die 1970er waren von einer hohen Ästhetik geprägt und von einer hohen Experimentierfreudigkeit. Und in den 1980ern wurde es dann wilder und expressiver. 

Haben Sie ein Lieblingsplakat?

Eines meiner wirklichen Lieblingsplakate ist "Die Besteigung des Chimborazo" von Albrecht von Bodecker. Da wird der ganze Titel zum Berg, da war der Künstler total frei. Oder auch das Plakat von Christoph Ehbets zu dem Film "Levins Mühle" aus dem Jahr 1980. Das steht für meine These, dass die Plakate mehr Kunst als Werbung sind. Es ist ein sehr farbiges Aquarell, man sieht einen Davidstern und ein Kreuz und man sieht, wie das Kreuz im Zentrum des Davidsterns einsetzt und damit auch zum Schwert wird. So ein Filmplakat würde es im Westen nicht geben, heute nicht und auch damals nicht. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zu viel Grafik, zu wenig Film.

Das Gespräch führte Petra Lambeck.

Detlef Helmbold, Jahrgang 1960, arbeitet als freiberuflicher Grafiker in Berlin. Er studierte Gebrauchsgrafik an der Kunsthochschule in Berlin Weißensee und war von 1986 bis 1990 beim "Progress Film-Verleih" als Grafiker tätig. In diesem Monat erschien sein Buch "Mehr Kunst als Werbung. Das DDR-Filmplakat 1945 - 1990", hrsg. von der DEFA-Stiftung, 672 Seiten. Es enthält Abbildungen von rund 6400 Filmplakaten, die angefertigt wurden für Filme, die in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) bzw. DDR zwischen 1945 und 1990 zur Aufführung kamen.