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Massenfestnahmen vor Gabriels China-Visite

13. Juli 2015

"Ein Schlag gegen Verbrecher" - sagt die chinesische Führung. Doch für Menschenrechtler sind die jüngsten Razzien schlicht "eine neue Realität". Zeigt China sein wahres Gesicht?

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Chinesische Polizeipatrouille in Hongkong (Archivbild: Reuters)
Chinesische Polizeipatrouille in Hongkong (Archivbild)Bild: Reuters/B. Yip

Bei einer Verfolgungswelle in China sind insgesamt rund 100 Menschen festgenommen oder von der Polizei einbestellt worden. Viele von ihnen blieben bislang verschwunden. Die landesweite Aktion zielte auf Bürgerrechtsanwälte, Mitarbeiter von Kanzleien und Aktivisten.

Für die Bundesregierung und Teile der deutschen Wirtschaft dürften die jüngsten Razzien zur Unzeit kommen, sorgen sie doch vor der am Dienstag beginnenden China-Reise von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und seiner 50-köpfigen Delegation aus hochrangigen Unternehmensvertretern für unangenehme Schlagzeilen.

In Polizeigewalt - oder verschwunden

"Der Reformprozess in der Volksrepublik China sowie die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung des Landes" seien die Schwerpunkte der Reise, heißt es in einer Pressemitteilung des Ministeriums. Festnahmen von Menschenrechtlern dürften da eher hinderlich sein - weil sie auch in Deutschland politischen Druck provozieren.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und Familien der betroffenen Chinesen appellierten an Gabriel, sich bei seinem zweitägigen Besuch in Peking für die Festgenommenen und andere inhaftierte Bürgerrechtler einzusetzen. Wie Amnesty berichtet, waren am Montagnachmittag noch 25 Menschen in Polizeigewalt oder nicht auffindbar.

Größter Schlag gegen Bürgerrechtler

Die Hongkonger Zeitung "South China Morning Post" meldet, sechs Personen seien formell festgenommen worden, darunter vier Anwälte. Drei Kanzleien wurden durchsucht. Das koordinierte Vorgehen seit Freitag ist nach Einschätzung von Menschenrechtlern der größte Schlag gegen Bürgerrechtsanwälte seit dem Amtsantritt von Chinas neuem Parteichef Xi Jinping vor knapp drei Jahren.

Ursprünglich hatte eine Anwaltsgruppe für Menschenrechtsfälle in Hongkong von 106 Betroffenen gesprochen, doch Amnesty veröffentlichte nach weitergehenden Recherchen eine neue Liste mit 101 Namen. Chinas Polizeiministerium begründete das Vorgehen damit, dass Anwälte eine "größere kriminelle Vereinigung" gegründet und die öffentliche Ordnung "ernsthaft gestört" hätten.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, forderte die Führung in Peking zur Freilassung der Anwälte auf. Mit der Verhaftungswelle signalisiere die chinesische Regierung, dass Kritik am System unterbunden werde und Anwälte mit harten Strafen rechnen müssten, wenn sie ihrer ureigenen Aufgabe nachgingen: der Verteidigung ihrer Mandanten. Das stehe "in eklatantem Widerspruch zum erklärten Willen der chinesischen Regierung, Rechtsstaatlichkeit zu fördern", so Strässer in Berlin.

"Neue und beunruhigende Taktik"

Die China-Direktorin von Amnesty, Sophie Richardson, hatte am Samstag von einer "neuen Realität" unter Präsident Xi Jinping gesprochen. "Peking lässt schon seit längerer Zeit seine feindliche Haltung gegenüber Anwälten erkennen, die die Behörden herausfordern. Aber der Vorwurf, dass diese Teil einer kriminellen Vereinigung sind, ist eine neue und beunruhigende Taktik", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht die Pekinger Kanzlei Fengrui, die häufig Menschenrechtsfälle angenommen hat. Ein Anwalt dieser Sozietät, Zhou Shifeng, der auch zu den Festgenommenen gehört, hatte zuletzt die Journalistin und Mitarbeiterin der Wochenzeitung "Die Zeit", Zhang Miao, vertreten. Diese war am Freitag - nach neun Monaten Haft ohne Anklage - auch dank deutscher Bemühungen freigekommen.

Droht Schlaganfall?

Weiter in Haft: Die Journalistin Gao Yu (Archivbild: AP Photo/Kin Cheung)
Weiter in Haft: Die Journalistin Gao Yu (Archivbild)Bild: picture-alliance/AP Photo/Kin Cheung

Die Familie der weiterhin inhaftierten Journalistin Gao Yu, die auch für die Deutsche Welle gearbeitet hat, rief Vizekanzler Gabriel auf, sich für die gesundheitlich angeschlagene 71-Jährige einzusetzen. Gao Yu war im April dieses Jahres wegen der angeblichen Weitergabe von Staatsgeheimnissen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil rief in westlichen Staaten massive Kritik hervor.

"Es wäre sicherlich hilfreich und würde internationale Aufmerksamkeit auf den Fall lenken", wenn SPD-Chef Gabriel den Fall aufgriffe, sagte ein Familienmitglied der dpa in Peking. Gaos Angehörige befürchten, dass die herzkranke Frau einen Schlaganfall erleiden könnte und unzureichend medizinisch versorgt wird. Ihr gegenwärtiger Gesundheitszustand sei ungewiss - ein neuer Besuch des Anwalts sei noch nicht genehmigt worden. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte sich vergangene Woche bei einem Besuch in Peking dafür eingesetzt, Gaos Haft "aus humanitären Gründen" auszusetzen.

"Unterdrückung von Freiheitsrechten"

Das massive Vorgehen gegen die Anwälte erfolgt weniger als zwei Wochen nach der Verabschiedung eines neuen Gesetzes für nationale Sicherheit in China. UN-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein hatte Peking gerügt, mit dem vage formulierten Gesetz die Unterdrückung von Freiheitsrechten zu fördern.

jj/sti (dpa, afp, rtr)