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Politik

"Macronmania" in Frankreich

Anna Tschöpe
10. Juni 2017

Seit knapp einem Monat ist Emmanuel Macron als französischer Präsident im Amt. Seither hat er viele Franzosen von sich überzeugt. Wie viele, das wird sich an den kommenden beiden Sonntagen bei der Parlamentswahl zeigen.

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Frankreich Wahlen - Macrons Wahlkampf
Bild: Getty Images/AFP/E. Feferberg

Im französischen Volksmund nennt man die Parlamentswahl auch "le troisième tour", die dritte Runde der Präsidentenwahl. Denn von der Zusammensetzung des neuen Parlaments hängt ab, wie handlungsfähig der französische Präsident sein wird - ob er Unterstützung oder Gegenwind aus der Nationalversammlung bekommt. Für Emmanuel Macron geht es um nicht weniger als darum, ob er sein umfassendes Reformpaket für Frankreich umsetzen kann oder nicht.

Um mit freier Hand regieren zu können, braucht Macron eine parlamentarische Mehrheit, sagt Politikwissenschaftler Nicolas Tenzer. "Er hat im Wahlkampf mit einem sehr ehrgeizigen Reformprogramm geworben: Steuerfragen, Arbeitsmarkt, Europa. Wenn er in diesen Bereichen vorankommen will, dann ist es essentiell für ihn, eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu gewinnen."

Radikale Parteien haben kaum eine Chance

Die "Chambre basse", die zweite Parlamentskammer, um die es bei dieser Wahl geht, ist das zentrale Gesetzgebungsorgan in Frankreich und wird in 577 Wahlkreisen nach einem Mehrheitswahlverfahren in zwei Runden gewählt. Um im ersten Wahlgang am kommenden Sonntag ein Mandat zu gewinnen, braucht ein Kandidat in seinem Wahlkreis eine absolute Mehrheit. Kann keiner der Kandidaten eines Wahlkreises mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich gewinnen, kommt es am 18. Juni zu einer zweiten Runde. Wer dann die meisten Stimmen erhält, zieht ins Parlament ein.

Der erste Wahlgang hat inzwischen im Überseegebiet Saint-Pierre und Miquelon vor der kanadischen Ostküste begonnen. Die Wähler auf der Inselgruppe können seit Mittag deutscher Zeit ihre Stimme abgeben. Wegen der Zeitverschiebung sollten die Wahllokale auch in mehreren anderen französischen Überseegebieten noch an diesem Samstag öffnen, etwa auf den Karibikinseln Guadeloupe und Martinique.

Politikwissenschaftler Nicolas Tenze
Politologe Tenzer: "Sehr ehrgeiziges Reformprogramm"Bild: DW/Anna Tschöpe

Häufig verständigen sich größere Parteien und Parteien, die sich politisch nahe stehen, vor der zweiten Runde auf einen gemeinsamen Kandidaten. Dieses System, erklärt Nicolas Tenzer, mache es für kleine oder radikalere Parteien beinahe unmöglich, sich im Parlament zu positionieren. Trotz Zuspruch in der Gesellschaft hätten sie kaum eine Chance auf eine relative Mehrheit. "Dieses System mag auf manche undemokratisch wirken, aber es garantiert Stabilität", meint der Politikwissenschaftler.

Diese Stabilität im französischen Parlament bedeutete bisher: Die beiden großen Parteien, Sozialisten und Republikaner, teilen sich den Großteil der 577 Sitze. Aktuell kommt das sozialistische Parteienbündnis auf 283 Sitze. Zweitstärkste Kraft sind mit 199 Sitzen die Republikaner. Den Rest teilen sich fraktionslose Politiker und kleinere Parteienbündnisse. Der rechtspopulistische Front National hat nur zwei Mandate.

"La République en Marche" - eine Erfolgsgeschichte

Emmanuel Macron will diese Sitzverteilung jetzt kräftig aufmischen. Schon im Präsidentschaftswahlkampf konnte er mit seiner Einstellung gegen das politische Establishment bei vielen Wählern punkten. Seine Partei "La République en Marche", vor gut einem Jahr als Bewegung gegründet, zählt heute mehr als 360.000 Mitglieder, Tendenz steigend. 

Unterstützer von Emmanuel Macron feiern nach der zweiten Runde der französischen Präsidentenwahl 2017
En-Marche-Anhänger (in Paris): Groll auf etablierte Politiker Bild: Getty Images/D. Ramos

Mehr als 520 Kandidaten, Männer und Frauen zu gleichen Teilen, gehen für LREM ins Rennen um die Sitze im Parlament. Sie wurden aus rund 19.000 Bewerbern ausgewählt, etwa die Hälfte von ihnen ist neu auf dem politischen Parkett. Nicolas Tenzer sieht darin mehr Vorteil als Nachteil. Die alteingesessenen Politiker seien irgendwie zynisch, findet er. Man brauche Parlamentarier mit einem frischen Blick, die "Dinge in Bewegung setzen und alte Gewohnheiten und Routinen aufbrechen".

Der Groll gegen die etablierten Berufspolitiker ist groß in Frankreich und aktuelle Meinungsumfragen zeigen: "La République en Marche" marschiert auf ein historisch gutes Ergebnis zu. Wahlforschern zufolge könnte sich Macrons Bündnis nicht nur die absolute Mehrheit von 289 Mandaten sichern, sondern womöglich deutlich mehr als 300, vielleicht sogar bis zu 400 Sitze gewinnen. Das wäre der größte Sieg bei einer Parlamentswahl seit 1968 unter Charles de Gaulle.

Vom Kompromisskandidaten zum Liebling der Nation

Der Erfolg von LREM steht und fällt mit Emmanuel Macron. Der smarte Intellektuelle hat sich in seinen ersten Wochen im Amt zur schillernden Gallionsfigur einer neuen politischen Bewegung entwickelt. Das hat nicht zuletzt mit seinem beherzten Auftreten auf der internationalen Polit-Bühne zu tun. Macron inszeniert sich als politisches Schwergewicht. Klare Ansagen gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin und gekonnte Seitenhiebe auf US-Präsident Donald Trump machen ihn nicht nur zum Liebling der internationalen Medien. Sein Post mit dem Klimaslogan "Make the planet great again" wurde auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter fast 400.000 mal favorisiert.

Emmanuel Macron und Wladimir Putin
Präsidenten Macron und Putin: Klare AnsagenBild: Getty Images/AFP/S. de Sakutin

Macron will Präsident aller Franzosen sein und das kommt an. Er verstehe, was in seinem Land passiert und habe eine gute Intuition, sagt Politikwissenschaftler Tenzer. Eines seiner Lieblingswörter ist "en meme temps", gleichzeitig. "Er will zeigen, dass wir sozialistisch und trotzdem liberal sein können. Wir können mit dem Strom schwimmen, ihn aber auch stören. Wir können reformieren, aber wir müssen dabei nicht unser Land zerlegen." Mit dieser Einstellung schafft er es auch, Wähler aus den großen politischen Lagern zu mobilisieren. Zahlreiche Sozialisten zieht es zu Macron, nachdem ihr Kandidat Benoît Hamon bei der Präsidentenwahl mit nur 6,4 Prozent miserabel abschnitt. Und auch ein Teil der Republikaner, davon geht Tenzer aus, werde sich nach der Affäre um ihren Präsidentschaftskandidaten François Fillon, hinter Emmanuel Macron stellen.

Kohabitation unwahrscheinlich

Gelingt es Emmanuel Macron nicht, bei der Parlamentswahl die absolute Mehrheit zu erreichen, müsste er eine sogenannte Kohabitation eingehen. Macron müsste dann einen Politiker aus einem entgegengesetzten politischen Lager zum Premierminister ernennen, was es für ihn erschweren würde, seine Reformvorhaben ungehindert durchzusetzen.

Doch soweit werde es nicht kommen, ist sich Nicolas Tenzer sicher. Nach monatelangem Wahlkampf, anstrengenden politischen Debatten und persönlichen Angriffen, wollen die Franzosen, dass Ruhe in ihrem Land einkehrt. Nicht einmal die Immobilienaffäre um seinen Minister und Vertrauten Richard Ferrand scheint Macron zu schaden. Viele wollen ihm einfach eine Chance geben, meint der Politologe. "Wir wollen eine friedliche Gesellschaft und eine Politik, die in der Lage ist, ihre Probleme zu lösen. Wir wollen keine neuen Konfrontationen."

Wenn die Umfragen recht behalten und Emmanuel Macrons Partei "La République en Marche" am 18. Juni wirklich mit Pauken und Trompeten und einer großen Mehrheit ins Parlament einzieht, dann hat der junge Präsident viel zu tun: Ein neues Frankreich steht auf dem Plan.