Machtpoker in der Ukraine
6. Dezember 2004Zwar stehen immer noch tausende Menschen im Stadtzentrum von Kiew, doch die entscheidenden Weichen der "orangefarbenen Revolution" in der Ukraine werden jetzt in Gerichtssälen und im Parlament gestellt. In dieser Situation brechen erste Grabenkämpfe innerhalb des Parteienbündnisses "Nascha Ukraina" auf: Es geht um die parlamentarische Verfahrensweise bei der geplanten Änderung des Wahlrechts, mit der künftige Wahlfälschungen erschwert werden sollen, und um die geplante Verfassungsänderung.
Rechenspiele
Beide Vorhaben waren bei einem Treffen zwischen allen Parteien vereinbart worden. Am Montag (6.12.2004) aber zog im Parlament die Juschtschenko-Partei "Nascha Ukraina" (Unsere Ukraine) ihre Zustimmung zurück, denn Regierungsparteien und die Sozialisten wollten eine gleichzeitige Abstimmung über die Reform des Wahlgesetzes und die Verfassungsreform. Mit letzterer würde die Macht des Parlaments gestärkt, die des Präsidenten geschwächt. "Nascha Ukraina" lehnt das ab. "Wir haben keine parlamentarische Demokratie", sagt Julia Timoschenko, Verbündete des Oppositionsführers Viktor Juschtschenko. "Jetzt die Macht dem Parlament zu übergeben, wäre eine Übergabe der Macht an den Klan um den bisherigen Präsidenten Leonid Kutschma und an die Mehrheitsblöcke im Parlament, die mit Hilfe des Geldes gebildet werden." "Nascha Ukraina" hofft, dass sich nach der nächsten Wahl die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu ihren Gunsten verschieben, so dass sie dann auch die Regierung stellen kann.
Abhängigkeiten
Juschtschenko ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament von der Sozialistischen Partei und deren Vorsitzendem Olexander Moros abhängig. Für die Präsidentschaftswahl gibt es zwischen beiden Parteichefs eine Vereinbarung: Die Sozialisten unterstützen Juschtschenko dabei, Präsident zu werden, im Gegenzug wird die Verfassung reformiert. Die jetzige Weigerung von "Nascha Ukraina" löste bei Moros Protest aus, er wies Julia Timoschenko im Parlament zurecht: "Die Gespräche mit Viktor Juschtschenko fanden unter vier Augen statt und ich fordere, dass sich selbst die schönste Frau im Parlament nicht darin einmischt."
Vorschau
Bis Mittwoch (8.12.2004) soll das Parlament erneut zusammentreten und über die Änderung des Wahlgesetzes entscheiden. Der Wahltermin am 26. Dezember steht fest, die Zeit drängt. Bei der Änderung des Wahlgesetzes geht es vor allem darum, die Hauptgründe für Wahlfälschungen abzuschaffen. In einigen Wahlkreisen im Osten des Landes hatten bis zu 35 Prozent der Menschen zu Hause gewählt. Außerdem kann man mit besonderen Wahlscheinen in anderen Regionen wählen. Das hatte dazu geführt, dass die Wähler in Bussen in verschiedene Orte fuhren, um mehrfach ihre Stimme abzugeben.
Neuer Wahlkampf
Unterdessen eröffneten am Wochenende beide Seiten die dritte Runde ihres Wahlkampfes. Gerüchte, dass Viktor Janukowitsch nicht zur Wahl antritt, haben sich vorerst nicht bestätigt. "Premierminister Janukowitsch hat erklärt, dass die Entscheidung des Obersten Gerichts unter starkem politischen Druck getroffen wurde und die Verfassung der Ukraine verletze", sagte seine Sprecherin Hanna German und fügte hinzu: "Der Premier sieht heute keinen anderen Weg, als den einen: Er wird zur Wahl antreten und gewinnen."
Taktik
Allerdings gibt es für den angeschlagenen Premier und Präsidentschaftskandidaten noch andere Wege, um den Sieg seines Rivalen Juschtschenko zu verhindern. Wenn er spätestens zehn Tage vor der Wahl seinen Verzicht erklärt, rückt der Drittplatzierte nach - der Sozialist Moros. Im ersten Wahlgang hatte dieser gut fünf Prozent der Stimmen erhalten. Ihn halten Beobachter für eine mögliche Alternative zu Juschtschenko, denn er gilt seit Jahren als absolut integer. Erklärt Janukowitsch seinen Verzicht später als zehn Tage vor der Wahl, dann wäre Viktor Juschtschenko der einzige Kandidat - und müßte mindestens 50 Prozent der Stimmen erhalten. Wenn nicht, wird die gesamte Wahl für ungültig erklärt. Und dann käme es zu einer kompletten Neuwahl in einigen Monaten - eine Variante, die der derzeit regierenden Macht sehr entgegenkäme.