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"Der BND lebt ein Eigenleben"

Volker Wagener27. April 2016

Zweieinhalb Jahre nach der NSA-Affäre muss der BND-Chef gehen. Denn er wusste nicht, wen seine Mitarbeiter ausspionierten, meint der SZ-Journalist Hans Leyendecker im DW-Interview.

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Bundesnachrichtendienstes in Pullach
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Vor mehr als zweieinhalb Jahren verschlug es den Deutschen, die in Datenschutzangelegenheiten immer sehr empfindlich reagieren, fast die Sprache, als die NSA-Affäre publik wurde. Warum wird der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, erst jetzt abgelöst?

Hans Leyendecker: Weil damals die Analysen so waren, dass er nicht gewusst habe, was die eigenen Abteilungen machten. Aber bei der Rückschau hat man festgestellt, dass es beim Bundesnachrichtendienst (BND) oft so gewesen ist. Das heißt, es gibt im BND, der dieses Jahr 60 Jahre alt wird, ein Eigenleben, egal, wer Präsident war. Auch dieser hatte unter diesem Eigenleben leiden müssen. Und in diesem Fall war es so, dass über Jahre sogenannte Selektoren eingesetzt wurden (Anm. der Red.: Suchbegriffe, mit denen u.a. befreundete Regierungen ausspioniert wurden), ohne dass Schindler darüber Kenntnis hatte, was das für Selektoren waren.

Sie sprechen von einem Eigenleben des BND. Der deutsche Geheimdienst wird über das Kanzleramt koordiniert und vom Parlamentarischen Kontrollausschuss beaufsichtigt. Was unterscheidet diese Behörde von anderen?

Diese Behörde unterscheidet sich von anderen dadurch, dass es Nachrichtendienstler sind, die dort arbeiten. Und einige von ihnen arbeiten auch immer auf eigene Rechnung - manchmal auch gegen die Chefs. Es gibt viele, die anständige Arbeit machen, aber das Wesen von Nachrichtendiensten ist, dass man auch bestimmte Spezies unter diesen hat. Und deshalb stecken eigentlich immer alle Chefs irgendwie in Turbulenzen, weil die eigene Klientel so ist, wie sie ist.

Die Weiterleitung von Daten des BND an die NSA war auch innerhalb des deutschen Geheimdienstes umstritten. Wer waren die Kritiker der Praxis des bedenkenlosen Weiterreichens? War es die mittlere Hierarchie, die sich gegen die Führungsebene nicht durchsetzen konnte?

Konflikte gibt es eigentlich in allen Bereichen. Es ist schwierig, fünf Nachrichtendienste an einen Tisch zu bekommen, um dann eine Linie zu finden. Es gibt unterschiedlichste Interessen, es gibt auch Ressortinteressen, es gab mal 13 Abteilungen, die dann in zwölf Abteilungen zusammengeschnürt wurden. Die Abteilung, die dann keine Abteilung mehr war, hat rebelliert. Solche Spannungen unter betroffenen Mitarbeitern kennen wir aus allen Behörden. Nur: Beim Geheimdienst ist es halt viel exzessiver.

Hans Leyendecker (Foto: dpa)
Hans Leyendecker: "Alle BND-Chefs stecken in Turbulenzen."Bild: picture-alliance/ ZB

Angela Merkels mittlerweile berühmtes Zitat: "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht!" war ja seinerzeit auf die Amerikaner gemünzt. Doch der BND war jahrelang ein eifriger Erfüllungsgehilfe Washingtons. Warum konnte der Dienst über das Kanzleramt nicht besser kontrolliert werden?

Das Kanzleramt hat Hinweise bekommen, ist diesen Hinweisen aber nicht nachgegangen. Das ist sicherlich ein großes Problem. Da gibt es einen Geheimdienstkoordinator, Herrn Fritsche, und der hat Hinweise bekommen, aber die hat man dann irgendwo liegenlassen. Und: Dieses Zitat hat sich ja auch als falsch herausgestellt, weil der BND selbst Freunde abgehört hat und zwar in zahllosen Fällen, egal ob Paris, Rom oder anderswo.

Ist nach der NSA-Affäre 2013 das Kommunikationsverhalten der Deutschen ein anderes geworden? Wird Heikles jetzt weniger am Telefon besprochen?

Nein. Das ist immer eine Frage von ein paar Tagen, da hat man dann Furcht, abgehört zu werden, aber ich glaube, es hat sich in der Praxis nicht so schrecklich viel geändert. Es gibt ein paar Telefone, gerade im parlamentarischen Bereich, die man nicht so leicht knacken kann. Gleichwohl hat man auch da immer wieder Hacker, die in Systeme eindringen, und ich glaube, im normalen Betrieb reden die Leute so, wie sie früher auch geredet haben.

Was soll, was kann unter neuer Führung anders werden beim BND?

Die Hoffnung wird sicherlich sein, dass es nicht mehr zu solchen Eigenleben-Geschichten kommt. Das Zweite wird sein, dass man im Bereich der Cybersicherheit neue Wege finden und auch besser werden muss. Das Dritte, dass der anstehende Umzug von Pullach nach Berlin auch gelingt. Das ist hochkompliziert beim BND. Wir reden hier über insgesamt 6500 Mitarbeiter, davon werden 1000 in Pullach bleiben, die anderen werden dann vor allem am Standort Berlin sein. Der neue BND-Chef hat die schwierige Aufgabe, dass der Dienst eine Einheit bleibt.

Hans Leyendecker, 66, gehört zu den profiliertesten Investigativ-Journalisten Deutschlands. Seit den 80er Jahren hat er zahlreiche Polit-Skandale publik gemacht. Er arbeitet für die Süddeutsche Zeitung.

Das Interview führte Volker Wagener.