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Lateinamerikanische Kunst boomt

Solveig Flörke22. Juni 2014

Nicht nur der Fußball sorgt in Brasilien für Furore, auch die Gegenwartskunst feiert Triumphe. Jetzt hat in Rio de Janeiro mit Schweizer Hilfe ein Kulturzentrum mit ambitionierten Austauschprogrammen eröffnet.

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Graffitikunst in Sao Paulo Foto: DW/ Greta Hamann
Bild: DW/Marina Estarque

Stimmen, sich veränderndes Licht. Die großzügigen Räume des "Casa Daros" in Rio de Janeiro sind abgedunkelt. Hell leuchten nur die Lichtinstallationen von Julio Le Parc. Per Knopfdruck können die Besucher Nachrichten auf einem Aufnahmegerät hinterlassen, das spielt die Wortbeiträge dann hallend ab. Dazu fährt ein Lichtstrahl rasend schnell die Wände entlang.

Nicht nur mit diesem Werk begeistert der Künstler die Besucher der Ausstellung. Noch nie waren die Arbeiten von bildenden Künstlern aus Südamerika so gefragt, und daran sollen auch die in Brasilien stattfindenden Megaevents ihren Anteil haben: Schließlick lockt die Fußball-WM zahlreiche internationale Medien und Gäste an. Dennoch erstaunt es, dass der Umsatz mit brasilianischer Gegenwartskunst außerhalb des Landes innerhalb von nur zwei Jahren um unglaubliche 80 Prozent angestiegen sein soll.

Für diese Entwicklung hat Hans Michael Herzog verschiedene Erklärungen. Der gebürtige Ulmer ist Kurator des gerade eingeweihten Kulturzentrums "Casa Daros" in Rio de Janeiro. Den neoklassizistischen Bau aus dem 19. Jahrhundert hat die "Daros Latinamerica Collection", die größte europäische Privatsammlung für lateinamerikanische Kunst mit Hauptsitz in Zürich, für mehr als 30 Millionen Euro erworben und sechs Jahre lang aufwändig renovieren lassen.

"Knappe Kunstgüter"

Kunstkenner Hans Michael Herzog bestätigt den Run auf die Werke brasilianischer Künstler wie Lygia Pape, Antonio Dias oder Ernesto Neto. Eine Zeichnung aus ihrer Feder koste mittlerweile zwischen 40.000 und 400.000 Dollar, für Installationen seien es sogar Millionen. "Das hat auch damit zu tun, dass die brasilianischen Sammler regelrecht auf ihren Kunstschätzen sitzen und sie nicht veräußern", so Herzog. "Sehr wenige dieser knappen Kunstgüter kommen überhaupt noch auf den Markt."

Ernesto Neto Foto: Solveig Flörke
Shooting-Star der brasilianischen Kunstszene: Ernesto NetoBild: DW/S.Flörke

Er selbst habe für die Daros-Sammlung rund 1200 Kunstwerke von knapp 120 Künstlern angekauft, meist nicht auf Auktionen oder Kunstmessen, sondern in Galerien oder direkt beim Künstler. Die umfangreiche Sammlung gehört der Schweizerin Ruth Schmidheiny, die jetzt viele Meisterwerke zeitgenössischer Kunst Lateinamerikas ihr eigen nennen darf. Im neuen Kulturzentrum in Rio beschäftigt sie mehr als 40 Mitarbeiter, die sich um die geplanten Ausstellungen, den Künstleraustausch, das pädagogische Begleitprogramm und die eigene Bibliothek des Casa Daros kümmern.

Prestigeobjekte der High Society

Die Wertschätzung und das Interesse an brasilianischer Kunst haben das Stadtbild der großen Metropolen wie Rio de Janeiro oder São Paulo sichtbar beeinflusst. Galerien sprießen wie Pilze aus dem Boden, und überall entstehen neue Museen. "Die Künstler selbst haben ein enorm gutes Standing in Brasilien", meint Hans Michael Herzog. "Es fällt nicht schwer zu verkaufen, man ist sehr schnell im Markt, und die Käuferschicht ist exklusiv und ausschließlich aus der Upper-Class." Damit steige man als Künstler direkt in die High Society ein.

Aus der feinen Gesellschaft macht sich einer der gefragtesten brasilianischen Künstler angeblich nichts. "Ich gehe immer noch an den gleichen Strand wie immer, schwimme im Meer und trinke mein Bierchen", sagt Ernesto Neto. "Die feinen Herren sollen gerne in ihre schicken Restaurants gehen, aber sie sollen von mir nicht erwarten, dass ich mich jetzt auch dort aufhalte." Mittlerweile stellt der 49-Jährige in der ganzen Welt aus.

Ernesto Netos Atelier Foto: Solveig Flörke
Ernesto Netos Atelier liegt im Herzen der StadtBild: DW/Solveig Floerke

Künstlerisches Potenzial

Netos Atelier befindet sich im Zentrum seiner Heimatstadt Rio de Janeiro. In einem für diese Gegend typischem altem, dreistöckigen Haus erarbeitet der Bildhauer seine raumgreifenden Skulpturen aus Stoff. Einen besseren Ort könne er sich für seine Arbeit nicht vorstellen, meint er: "Ich bin hier geboren und hier geblieben, weil ich als Künstler ein Interesse an der brasilianischen Kunst habe. Ich finde die Geschichte unserer Kunst sehr wichtig und will dazu beitragen, sie bekannter zu machen."

Brasilien schaffe besonders viel künstlerisches Potenzial, findet Neto. Die Kreativität im Land sei enorm. Das würde im Karneval ebenso deutlich wie beim Kampf der Menschen ums tägliche Überleben: "Was die sich alles einfallen lassen, um klarzukommen!"

Vom internationalen Interesse an seiner Kunst kann Ernesto Neto sehr gut leben. Anfragen kommen vermehrt nicht nur aus Europa, sondern auch aus Asien. Trotzdem sieht er noch Verbesserungsmöglichkeiten - und zwar auf heimischem Boden: "Vor allem in Rio dauert es noch, bis man die Kunst als einen befreienden Raum versteht", sagt er. "Gut, dass wir jetzt das Casa Daros haben."