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Las Moskva - Das russische Zockerparadies

Stephan Hille22. November 2005

Der Rubel rollt, in Moskau im wahrsten Sinne des Wortes. Die russische Hauptstadt erinnert immer mehr an die Glückspielhauptstadt Las Vegas – mit mehr Spielautomaten pro Einwohner als Ärzte.

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Allein 56 große Casinos und 60.000 Glückspielautomaten in 2000 Spielhallen verteilen sich auf das Stadtgebiet. Rund um die Uhr geöffnet, ziehen sie den Moskauern das kleine und das große Geld aus den Taschen. Eine besondere Kleiderordnung gibt es nicht. Es reicht, das nötige Kleingeld in der Tasche zu haben. Und die entsprechende Klientel muss man in Moskau nicht suchen, schließlich ist die russische Hauptstadt auch Europas Metropole mit dem höchsten Millionärs-Aufkommen.

Wenn es dunkel wird, verwandelt sich der Neue Arbat, die Regierungstraße zum Kreml und wichtigste Ausfallstraße in die Quartiere der Reichen und Mächtigen in eine glitzernde und funkelnde Meile des Glücksspiels. Hier reiht sich ein gigantischer Glückspieltempel an den nächsten: Das einem Ozeandampfer nachempfundene "Arbat" ist eines der größten Casinos der Stadt. Gleich nebenan werben Zockerhallen unter klangvollen Namen wie "Metelitsa", "Korona" oder "Mirasch" um die Spielwütigen, die ihr Glück beim Roulett, Black Jack, Poker oder einfach an den einarmigen Banditen suchen – aber selten finden.

Denn anders als im Westen ziehen die Spielautomaten und Glücksspiele bis zu 80 Prozent des eingesetzten Geldes ein – im Westen sollen es nach Experten maximal 5 Prozent sein. Nach unterschiedlichen Schätzungen sollen die Spielsalons in Moskau pro Jahr zwischen zwei und fünf Milliarden Dollar einnehmen. Für die Betreiber ist das Geschäft mit dem Glücksspiel fast schon eine Lizenz zum Gelddrucken: Die Anschaffung und Aufstellung eines einarmigen Banditen, zum Beispiel, kostet schätzungsweise zwischen 10.000 und 15.000 Dollar. Experten haben errechnet, dass ein solcher Automat diese Kosten maximal innerhalb einer Woche wieder einspielt. Die Lizenz zur Aufstellung kostet im Vergleich zum erwartenden Gewinn fast nur noch Kopeken, rund 50 Dollar. Laxe Kontrollen der Behörden haben das Business rund um das Glück zu einem der kriminalisiertesten Geschäftszweige überhaupt werden lassen.

Es ist kein Geheimnis, dass viele Spielcasinos zur Geldwäsche genutzt werden. Auf den stellvertretenden Moskauer Bürgermeister Jossif Ordschonikidse, der in der Hauptstadt unter anderem den Glücksspielmarkt überwacht, wurden bereits zwei Attentate verübt. Wohl nicht ohne Grund, wie Bürgermeister Juri Luschkow, nach dem letzten Anschlagsversuch lapidar bemerkte: Ordschonikidse sei offenbar "jemandem auf den Schwanz getreten".

Doch kein Boom ohne Nachfrage. Mit den gewachsenen Einkommen ist auch die Spielsucht der Moskauer gestiegen. Rund zwei Millionen, von insgesamt geschätzten zwölf Millionen Einwohnern, sollen regelmäßig ihr Geld im Casino oder am Automaten einsetzen. Für mindestens 600.000 ist das Glücksspiel längst zur Sucht geworden. Vor allem Jugendliche sind besonders gefährdet, der Zockerei zu verfallen.

"Rien ne vas plus", sagen inzwischen die Politiker. Nun will die Duma das Millionengeschäft mit dem Glück eindämmen. Laut einem Gesetzentwurf, sollen künftig alle Glücksspieleinrichtungen aus den Innenstädten verbannt werden und einen Mindestabstand von einem Kilometer zu den Stadtgrenzen einhalten. Doch ob dieses Gesetz, sollte es je verabschiedet werden, die Spielwütigen aufhalten kann, erscheint mehr als fraglich.