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Kritik am Luftangriff in Afghanistan wächst

5. September 2009

Nach dem verheerenden Luftangriff in Afghanistan mit zahlreichen Toten muss sich die Bundeswehr harte Kritik - auch aus der EU - gefallen lassen. Die Taliban setzten ihre Angriffe auf die Bundeswehr unterdessen fort.

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Bundeswehrsoldaten versorgen nach dem jüngsten Selbstmordanschlag verletzte Kameraden (Foto: dpa)
Selbstmordanschlag auf Bundeswehr-KonvoiBild: DPA

Einen Tag nach dem von der Bundeswehr angeforderten NATO-Luftangriff ist auf die deutschen Truppen in Afghanistan ein Selbstmordanschlag verübt worden. Dabei wurden am Samstag (05.09.2009) vier Soldaten verletzt, wie die Bundeswehr mitteilte. Der Attentäter habe sich mit seinem Auto in die Luft gesprengt, hieß es weiter.

Unterdessen ist die NATO nach dem bislang folgenschwersten Luftangriff im deutschen Befehlsbereich in Afghanistan vom Freitag um politische Schadensbegrenzung bemüht. Der Oberkommandierende der ISAF, US-General Stanley McChrystal, wandte sich in einer Fernsehansprache an die Afghanen und sicherte eine vollständige Aufklärung des Vorfalls zu.

US-General bestätigt zivile Verletzte

Der Oberkommandierende der ISAF, US-General Stanley McChrystal (Foto: AP)
US-General Stanley McChrystalBild: AP

McChrystal bestätigte, dass es Zivilisten unter den Verletzten gegeben habe. Er sprach in Kundus von einem "ernsten Vorfall", der zeigen werde, ob die NATO zu Transparenz bereit sei. Ein Ermittlerteam der NATO nahm den Ort des tödlichen Vorfalls in Augenschein und besuchte Verletzte im Krankenhaus. Ein Junge, der an Arm und Bein schwere Brandwunden erlitten hatte, schilderte, wie er den Angriff erlebt hatte. "Wie alle anderen wollte ich Benzin aus den Tanklastern holen, als die Bomben auf uns fielen", berichtete das Kind vor amerikanischen und deutschen Offizieren.

Auf deutsche Anforderung hin hatte ein US-Jagdbomber im nordafghanischen Kundus zwei von Taliban gestohlene Tanklastwagen bombardiert und dabei Bundeswehr-Angaben zufolge mehr als 50 Aufständische getötet. Die afghanische Provinzregierung geht von bis zu 90 Toten aus, darunter auch Zivilisten. Dorfbewohner sprechen von bis zu 150 Toten.

Harsche Kritik innerhalb der EU

Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner (Foto: AP)
Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner (Archivbild)Bild: AP

In der Europäischen Union gab es scharfe Kritik an dem Luftangriff. Der französische Außenminister Bernard Kouchner bezeichnete den Luftangriff am Samstag beim informellen Treffen der EU-Außenminister in Stockholm als "großen Fehler". Er betonte, er wolle keine Schuld zuweisen, forderte aber eine gründliche Untersuchung. Die Strategie der internationalen Truppen in Afghanistan müsse sein, "mit dem afghanischen Volk zusammenzuarbeiten - nicht, es zu bombardieren", ergänzte der französische Chefdiplomat.

Sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn sprach von einer "Aktion, die nicht hätte stattfinden dürfen". Er verstehe nicht, "dass Bomben so einfach und so schnell abgeworfen werden können", sagte Asselborn. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner nannte den Angriff eine "große Tragödie". Sie pochte - ebenso wie Vertreter Großbritanniens und Italiens - auf eine rasche Untersuchung.

Steinmeier: Einsatz in Afghanistan mit Krieg vergleichbar

Ein Bundeswehrsoldat nach dem Anschlag vom Samstag in Kundus (Foto: AP)
Steinmeier: "Bundeswehrmission gleicht einem Kriegseinsatz"Bild: AP

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung verteidigte das Vorgehen des Bundeswehroffiziers, der die Luftunterstützung angefordert hatte. Es habe eine sehr konkrete Gefahr für die deutschen Soldaten bestanden, weil die Taliban in den Besitz von zwei Tanklastern gekommen seien, sagte er der ARD. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Taliban vor den Bundestagswahlen mit Anschlägen auf die Bundeswehr gedroht hätten.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft unterdessen, ob gegen den verantwortlichen Bundeswehr-Offizier ein Ermittlungsverfahren eingeleitetet werden muss.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bezeichnete den Luftangriff in der "Bild am Sonntag" als "schwerwiegenden und gravierenden Vorfall". Er verglich die Gefährlichkeit der Bundeswehrmission in Afghanistan mit einem Kriegseinsatz. "Wenn es "nur um die Gefährlichkeit geht, könnte man sagen: Ja, es ist Krieg", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Da die Bundeswehr allerdings gegen Terroristen und nicht gegen einen anderen Staat kämpfe, "sprechen wir nicht von Krieg, sondern von einem Kampfeinsatz".

EU zieht ernüchternde Afghanistan-Bilanz

Gruppenbild der EU-Außenminister in Stockholm (Foto: dpa)
Inoffizielles Treffen der EU-Außenminister in StockholmBild: DPA

Die Strategie in Afghanistan war zentrales Thema beim Treffen der EU-Außenminister in Stockholm. In einem internen Diskussionspapier räumte der schwedische EU-Ratsvorsitz Versäumnisse ein. "Die mangelnde Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft - gepaart mit fehlender Motivation und Fähigkeiten auf afghanischer Seite - sind verantwortlich für die langsamen und unsteten Fortschritte beim Wiederaufbau Afghanistans" heißt es darin. Die Unsicherheit in Afghanistan könne "nicht alleine mit militärischen Mitteln" beendet werden. Es habe bisher "nur begrenzte Fortschritte" im Bemühen um gute Regierungsführung, Bekämpfung der Korruption und Sicherung der Menschenrechte gegeben.

Nach dem Amtsantritt der neuen Regierung in Kabul will die EU ihre Afghanistan-Hilfe umstrukturieren. Die neue Regierung werde bezüglich der Verwendung von Spendengeldern stärker zur Rechenschaft gezogen, sagte EU-Außenminister Javier Solana. Seit 2001 hat die EU den Wiederaufbau Afghanistans mit gut neun Milliarden Euro unterstützt.

In dem internen Diskussionspapier heißt es, die EU müsse mehr tun, um die Polizeiausbildung in den Griff zu bekommen. Statt der geplanten 400 Ausbilder seien bisher lediglich 265 vor Ort. EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner erklärte, es müsse außerdem mehr für den Aufbau ziviler Institutionen und die ländliche Entwicklung getan werden. (kis/je/dpa/rtr/ap/afp)