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Politik

In Polen geschätzt, international isoliert

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek
16. November 2017

Die Hassparolen in Warschau am Unabhängigkeitstag bestätigten jedes Vorurteil über die konservative Revolution, die seit zwei Jahren in Polen im Gange ist. Doch die Bilanz der PiS fällt gemischt aus, meint Bartosz Dudek.

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Warschau Polen Beata Szydlo Jaroslaw Kaczynski, Parlamentssitzung
Formal regiert sie, die tatsächliche Macht hat er: Ministerpräsidentin Beata Szydlo und PiS-Chef Jaroslaw KaczynskiBild: Imago/Forum

Diese Bilder sind Gift für Polens Image: "Reines Blut, nüchterner Kopf", "Europa wird weiß oder menschenleer", "Für ein weißes Europa der Brudervölker" - solche Transparente waren am vergangenen Samstag (11.11) in Warschau zum polnischen Unabhängigkeitstag zu sehen. Die Demonstration war von Ultrarechten unter dem Motto "Wir wollen Gott" organisiert worden. Eine schockierende Kombination: Die christliche Religion der Nächstenliebe durchmischt mit Hassparolen. Und das ausgerechnet in dem Land, das so lange wie kein anderes unter den deutschen Nationalsozialisten und ihrem Rassenwahn litt. Auch wenn nur ein kleiner Teil der schätzungsweise 60.000 Teilnehmer den radikalen Rechten zuzurechnen ist: Die beschämenden Bilder bleiben in der Weltöffentlichkeit haften.

Es ist daher gut und richtig, dass Polens Staatspräsident Andrzej Duda und der eigentliche Machthaber im Land, der Chef der alleinregierenden National-konservativen, Jaroslaw Kaczynski, die rassistischen Parolen verurteilt haben. Es ist aber nicht zu leugnen, dass es vor allem Kaczynskis islamfeindliche Rhetorik war, welche die rassistischen Sprüche erst salonfähig gemacht hat. Auch wenn seine PiS selbst keine rechtsextreme Partei ist, werden die radikalen Nationalisten von ihr oft mit Nachsicht behandelt - als wolle man seine Wähler nicht verprellen. Eine gefährliche Strategie. Denn diese Art der Verbündeten sind mehr als unberechenbar, wie das Beispiel Deutschlands der frühen 1930er-Jahre belegt. Wir erinnern uns: Adolf Hitler und die Nazis sollten angeblich "eingerahmt" werden von den weniger radikalen Parteien. Und einmal an der Macht ließen sie nicht mehr los.

Außenpolitisch isoliert, aber innenpolitisch angesehen

Die Bilanz der PiS-Regierung fällt nach nunmehr zwei Jahren gemischt aus. Außenpolitisch hat sich das Land in der Europäischen Union zunehmend isoliert. Der Staatsumbau im Rahmen der konservativen Revolution wurde ins Werk gesetzt nach dem Motto "der Zweck heiligt die Mittel". Der Konflikt um das Verfassungsgericht, die umstrittene Justizreform, die rücksichtlose Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Medien in ein Propagandainstrument der Regierung haben Warschau heftigen Streit mit Brüssel beschert. Auch die seit den frühen 1990er-Jahren sehr guten deutsch-polnischen Beziehungen haben sich sichtlich abgekühlt. Die von Kaczynski erhobenen Reparationsforderungen für den Zweiten Weltkrieg halten zwar seine Unterstützer bei der Stange, sind aber Gift für das bilaterale Verhältnis. Doch kaum jemanden in Polen kümmert das - die Außenpolitik ist eine Funktion der Innenpolitik geworden.

Innenpolitisch wiederum hat die PiS-Regierung eine dramatische Spaltung der Gesellschaft zu verantworten, für die es nach 1989 kein Vorbild gibt. Die Risse gehen mitten durch Familien. Schuld daran ist die von Kaczynski und anderen PiS-Politikern verwendete scharfe Rhetorik: Die Rede ist Verrätern und Kanaillen, von "echten" Polen und "Polen der schlechteren Sorte".

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Bartosz Dudek leitet die Polen-Redaktion der DW

Auf der anderen Seite stehen die Erfolge der PiS-Regierung in der Sozial- und Wirtschaftspolitik: Die Einführung des Kindergeldes ist eine Wohltat für viele arme Familien, die Verlierer der Transformation sind, und hat ihnen ein Stück ihrer Würde zurückgegeben. Möglich wurde dies, weil die Wirtschaft boomt. Außerdem sind die Finanzbehörden effektiver geworden und die Korruption sinkt. Genau an solchen Erfolgen wird die PiS-Regierung aber von den Wählerinnen und Wählern gemessen. Und die Rechnung scheint aufzugehen: Mit 45 Prozent steht die PiS in den Umfragen so gut da wie nie zuvor. Zusätzlich profitiert sie von der Schwäche der Opposition. Die kann nach dem Wechsel von Donald Tusk nach Brüssel Kaczynskis PiS weder personell noch programmatisch das Wasser reichen.

Der Rechtsruck, der sich unter der PiS-Regierung vollzogen hat, lehrt wohl, dass demokratische Entwicklung Zeit braucht. Dazu gehören Umbrüche, Fehler und Krisen.  Es ist naiv zu glauben, man könne gewisse demokratische und gesellschaftliche Reifungsprozesse überspringen. Das wesentliche Problem besteht darin, dass Ost- und Westeuropa nicht nur wirtschaftlich, sondern auch mental, gesellschaftlich und politisch auf einer anderen Entwicklungsstufe stehen: vor dem Hintergrund der Geschichte Ost- und Mitteleuropas ist das nachvollziehbar.

Arroganz und Moralismus sind unangebracht

Deswegen sollten sich die westlichen EU-Länder - besonders Deutschland - davor hüten, allein mit Arroganz und dem erhobenen Zeigefinger zu reagieren. Denn es war auch die Politik Berlins, die dazu beigetragen hat, dass im November 2015 in Polen ein Rechtsruck stattfand. Dazu gehört zum einen der Bau der Ostsee-Pipeline nach Russland gegen alle Kritik aus Polen, vor allem aber auch die im Alleingang getroffene Entscheidung Angela Merkels, hunderttausende Flüchtlinge in den Schengen-Raum und seine offenen Grenzen aufzunehmen.

Auch wenn die PiS-Regierung aus westlicher Perspektive in einem anderen Zeitalter zu leben scheint: Polen verdient als Nation Respekt. Denn sie hat einen großen Beitrag zu Europas Kultur und Geschichte geleistet. Besonders die Deutschen haben allen Grund dazu dankbar zu sein. Denn ohne den polnischen Freiheitswillen, ohne Papst Johannes Paul II., Lech Walesa und die Solidarnosc gäbe es kein wiedervereinigtes Deutschland. Auch wenn uns die rechtsextremen Parolen auf Warschaus Straßen empören, sollten wir nicht vergessen: Das ist nicht das ganze Polen.

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Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek Redakteur und Autor der DW Programs for Europe