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Politik

Was der Islamkonferenz noch zu tun bleibt

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
27. September 2016

In den zehn Jahren ihres Bestehens hat die Islamkonferenz viel erreicht. Doch große Aufgaben stehen ihr noch bevor, meint Kersten Knipp. Sie muss klären, in welchem Verhältnis Religion und Pluralismus zueinander stehen.

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Thomas de Maiziere Islamkonferenz Berlin Deutschland
Thomas de Maiziere (links) ist als Bundesinnenminister Vorsitzender der IslamkonferenzBild: picture-alliance/dpa/K.D.Gabbert

Zuerst islamischer Religionsunterricht und islamische Theologie in Deutschland, nun islamische Seelsorge in Gefängnissen sowie bei der Bundeswehr und womöglich ein islamischer Wohlfahrtsverband: die Islamkonferenz hat sich in den zehn Jahren ihres Bestehens schon viel vorgenommen und bereits einiges erreicht. Gerade der Religionsunterricht und der Lehramtsstudiengang können dazu beitragen, den Islam näher an die deutsche Zivilgesellschaft heranzuführen oder in ihrer Nähe zu halten. Insofern hat die Islamkonferenz Wichtiges geleistet. Und darum auch: Herzlichen Glückwunsch!

Gleichzeitig liegt immer wieder aber auch die Frage auf der Hand, warum der Islam die einzige Glaubensgemeinschaft in Deutschland ist, für die eine solche Konferenz offenbar nötig ist. Warum gibt es dergleichen nicht für Anhänger anderer religiöser Minderheiten - des Judentums etwa, des Buddhismus oder Hinduismus, um nur einige Gemeinschaften zu nennen?

Tugend der Diskretion

Nicht minder irritierend ist der Umstand, dass der Islam im deutschen Straßenbild die sichtbarste Religion ist. Anhänger anderer Religionen erkennt man in aller Regel nicht - sie pflegen die Tugend der Diskretion.

Diese Tugend pflegen sie auch, was die Politik, insbesondere die Bildungspolitik, angeht: Diskussionen um die Teilnahme an Klassenfahrten, Schwimmunterricht oder eine den Erfordernissen des Unterrichts entsprechende Kleidung - all dies ist bei anderen Religionsgemeinschaften kaum Thema. Man muss fragen, woran das liegt. Einen Hinweis liefert der Umstand, dass an der Islamkonferenz keine Einzelpersönlichkeiten - muslimische Intellektuelle, Wissenschaftler, Publizisten - mehr teilnehmen, sondern nur noch Verbandsvertreter. Diese stehen für einen überwiegend konservativen Islam und repräsentieren nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden Muslime. Wo bleiben die anpassungsbereiten, säkular orientieren Gläubigen? 

Das plurale Europa

Doch abgesehen davon steht die Islamkonferenz vor großen Aufgaben. Denn sie hat mit einem Problem zu tun, dass größer kaum sein könnte: Zumindest der konservative Islam ist eine Ideologie, die in ihrer Konsequenz und Glaubenskraft für Europa eher ungewöhnlich ist. Sicher, es gibt, zum Beispiel, auch strenggläubige christliche und jüdische Gemeinschaften. Aber auch sie bilden im europäischen Selbstverständnis, wie es sich im Laufe der Moderne herausgebildet hat, eine Ausnahme.

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DW-Autor Kersten Knipp

Europa, das ist spätestens seit der Aufklärung der gelebte Zweifel: die radikale ideologische Unsicherheit, der intellektuelle  Vorbehalt. "Stürzen wir nicht fortwährend?" umriss Nietzsche die brüchig gewordene kulturelle Signatur seiner Zeit - einer Brüchigkeit, die sich bis heute erhalten hat. Europa, das ist der Abschied von allen Gewissheiten. Es ist die radikale Skepsis gegenüber allen starken, allzu starken Überzeugungen. Eine Skepsis, die sich seit den Verbrechen der Nationalsozialismen und, gleich hinter ihnen, der Stalinisten, noch einmal radikal gesteigert hat. Europa, das ist ein Kontinent, der zwar bisweilen weiß, was er will - der aber noch viel öfter und viel gründlicher weiß, was er nicht will: nämlich die Hingabe an geschlossene Ideologien. Deren Auswirkungen haben die Europäer auf verhängnisvolle Weise kennengelernt.

Diese radikale Offenheit, der die europäischen Gesellschaften sich verpflichtet haben, ist allen, denen sich dieser Sinn nicht erschließt, nicht leicht zu vermitteln. Eben darauf wird es aber ankommen.

Grenzen religiöser Individualrechte

Darum wird absehbar nicht nur in der Islamkonferenz die Diskussion darüber anstehen, welche Individualrechte sich im Namen der Religion vertreten lassen und welche nicht. Offene Gesellschaften sind Konsensgesellschaften. Sie setzen die Zustimmung ihrer Bürger voraus - ein gewisses Quantum derer, die sich verweigern, ist bereits im Vorhinein einkalkuliert. Die kritische Masse sollte eine gewisse Größe nicht überschreiten.

Aus diesem Grund sind Symbole wie der Nikab, die Vollverschleierung, so verstörend. Sie gelten als bereits äußerlich weithin sichtbare Absage an die offene Gesellschaft. Der Einwand, sie stünden für ein völlig anderes, womöglich dem europäischen Selbstverständnis radikal entgegengesetzten Glaubenssystem, ist bislang nicht überzeugend widerlegt.

Genau das zwingt die offene Gesellschaft aber zu einem Schritt, der ihr im Grunde zutiefst fremd ist: Sie muss darüber nachdenken, wie weit religiös begründete Individualrechte gehen können. Ist es zulässig, Symbole und Verhaltensweisen zu pflegen, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als im Kern bedrohlich empfunden werden? In welchem Verhältnisse stehen das Menschenrecht auf Religiosität sowie ihre Sitten und Gebräuche gegenüber den - fragilen - Schutzmechanismen einer offenen Gesellschaft? Das sind die Themen, um welche die Islamkonferenz in der kommenden Zeit nicht umhin kommen wird. Sie sind so massiv, dass sie auch die nächsten zehn Jahre hinreichend beschäftigt sein wird. Ob sie und mit ihr das Land dann Anlass haben werden, den 20. Jahrestag auch zu feiern, das könnte derzeit gut Gegenstand einer Wette werden.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika