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Rechtsum und abtreten

9. Mai 2016

Österreichs Bundeskanzler Faymann hat eine radikale Wende in der Flüchtlingspolitik vollzogen. Genützt hat ihm der Kurswechsel nichts, wohl aber der deutschen Kanzlerin, meint DW-Redakteur Christoph Hasselbach.

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Angela Merkel und Werner Faymann (Foto: Reuters/H. Hanschke)
Bild: Reuters/H. Hanschke

Was aus einer Volkspartei werden kann, führen gerade die österreichischen Sozialdemokraten vor. Zwar konnten sie seit 2007 den Bundeskanzler stellen. Zweimal war das Werner Faymann, der nun zurückgetreten ist. Doch der jüngsten Nationalratswahl 2013 sackte die SPÖ auf unter 30 Prozent Stimmenanteil ab. Sie und die konservative Österreichische Volkspartei, ÖVP, schafften es gerade noch, eine Regierungsmehrheit zusammenzukratzen.

Es ist die x-te große Koalition. Das "ewige" Bündnis der einst Großen - mal mit ÖVP-, mal mit SPÖ-Bundeskanzler - hat die österreichische Nachkriegspolitik geprägt, und die Leute haben sie offenbar gründlich satt. Filz und Stillstand haben sich überall im Staat breitgemacht, Posten scheinen Erbhöfe der beiden Parteien zu sein.

Doch der wahre Katalysator der großen Umwälzung der österreichischen Politik war die Flüchtlingskrise. Und nichts hat die Stimmung im Land drastischer veranschaulicht als die Wahl zum Bundespräsidenten Ende April: Weder der Kandidat der SPÖ schaffte es in die Stichwahl, noch sein Gegenspieler von der ÖVP. Beide bekamen gerade mal gut elf Prozent.

Großer Sieger der ersten Runde war stattdessen Norbert Hofer, Kandidat der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei Österreichs, FPÖ. Er tritt im zweiten Durchgang gegen den Grünen-Kandidaten Alexander Van der Bellen an. Hofer gilt als klarer Favorit für dieses vor allem repräsentative Amt. Auch wenn Österreicher gefragt werden, für wen sie bei einer Nationalratswahl stimmen würden, liegt die FPÖ seit langem vor SPÖ und ÖVP auf Platz eins. Ihr großes Thema ist Einwanderung.

Merkel profitiert von Faymann

Dabei hat Werner Faymann wohl so radikal wie kein anderer europäischer Regierungschef auf die aufkommende Anti-Flüchtlings-Stimmung reagiert: Stand er im September 2015 Seite an Seite mit der "Willkommens"-Kanzlerin Angela Merkel, setzte er sich Ende des Jahres immer mehr von ihr ab. Anfang 2016 schließlich riss Faymann das Ruder vollends herum. Er verordnete Österreich eine "Obergrenze" und sorgte zusammen mit anderen EU-Staaten dafür, dass die Balkanroute abgeriegelt wurde. Selbst wenige Tage nach dem Hofer-Triumph verschärfte die Regierung Faymann das Asylrecht noch einmal deutlich.

Christoph Hasselbach (Foto: DW/M.Müller)
DW-Redakteur Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Genützt hat es ihm und seiner Partei nichts. Man kann nicht innerhalb weniger Monate so radikal umsteuern, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Dazu kam, dass viele linke Sozialdemokraten dem neuen Kurs nicht folgen wollten. So wurde Faymann gleichzeitig von rechts und links in die Zange genommen, bis er kaum noch Rückhalt hatte.

Dass Faymann, ebenso wie Merkel, im September 2015 nicht gesehen hat, welches Problem eine unkontrollierte Einwanderung mit sich bringen würde, ist bis heute unbegreiflich. Doch während Faymann trotz seiner steilen Lernkurve politisch abgestürzt ist, braucht sich Merkel keine Sorgen um ihre Position zu machen. Sie hat es geschickter angestellt: Nach außen hielt sie an ihrer Politik fest und gab sich damit moralisch auf der richtigen Seite, doch im Hintergrund vollzog sie die Kehrtwende.

Besonders bitter für den Österreicher: Merkel hat Faymanns Schwenk kritisiert, gleichzeitig aber von ihm profitiert. Denn dass die Flüchtlingszahlen in Deutschland stark zurückgegangen sind, das hat Merkel auch dem österreichischen Ex-Bundeskanzler zu verdanken.

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Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik