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Kommentar: Labile Phase der deutschen Konjunktur

Karl Zawadzky23. November 2001

Die deutsche Wirtschaft ist in eine schwierige Phase eingetreten, eine Rezession ist wahrscheinlich nicht mehr zu vermeiden.

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Derzeit befindet sich die deutsche Volkswirtschaft zwischen Stagnation und Rezession. Zwar ist für das nächste Jahr Besserung in Sicht, aber erst einmal dürfte es noch schlimmer kommen. Die Feststellung einer Rezession ist kaum noch zu vermeiden, wenn es sich auch aller Wahrscheinlichkeit nach wohl mehr um ein Rezessiönchen handeln dürfte.

Doch die Kriterien der Volkswirtschaftler sind unerbittlich. Wenn der Wert der erwirtschafteten Waren und Dienstleistungen in zwei aufeinanderfolgenden Vierteljahren sinkt, also das Bruttoinlandsprodukt über ein halbes Jahr hinweg rückläufig ist, dann befindet sich die Wirtschaft in einer Rezession. Hier zu Lande war das zuletzt 1993 der Fall, als die Wirtschaft das Wachstumstempo nach dem von der Wiedervereinigung ausgelösten Boom nicht mehr halten konnte und die Wirtschaftsleistung um real 1,3 Prozent sank. Das war ein schwerer Schlag in's Kontor, der sich so wahrscheinlich nicht wiederholen wird.

Aber wieder ist dem Aufschwung die Puste ausgegangen. Im zweiten Quartal des laufenden Jahres hat es bereits ein Nullwachstum gegeben, das heißt eine Stagnation. Im dritten Quartal, also von Juli bis September, war die Wachstumsrate negativ; die Wirtschaftsleistung ist im Vergleich zum direkten Vorquartal um 0,1 Prozent gesunken, wenn sie auch im Vergleich zum dritten Quartal des vorigen Jahres noch um magere 0,3 Prozent zugelegt hat. Aber auch das war das niedrigste Wirtschaftswachstum seit Anfang 1997. Selbst die quasi regierungsamtlich zum Optimismus verpflichteten Konjunkturexperten des Bundesfinanzministeriums sehen Deutschland derzeit in einer "Wachstumspause".

Wenn das Statistische Bundesamt Anfang kommenden Jahres die gesamtwirtschaftliche Leistung für das vierte Quartal ermittelt, wird sich das schlimme Wort kaum mehr vermeiden lassen. Denn dann wird aller Wahrscheinlichkeit nach wieder ein Negativwachstum festzustellen sein. Die zuletzt stark rückläufigen Auftragseingänge bei der Industrie schlagen derzeit auf die Produktion durch. Die Investitionstätigkeit hat bereits deutlich nachgelassen. Die von der weltpolitischen Entwicklung ausgehende allgemeine Unsicherheit verheißt dem Einzelhandel ein schlechtes Weihnachtsgeschäft. Die Bauwirtschaft mag zwar nach jahrelanger Krise die Talsohle erreicht haben, aber dabei wird es dann auch eine ganze Weile bleiben. Einzig der Export floriert, aber er kann die Schwäche der übrigen Konjunkturaggregate nicht wettmachen.

Wenn also nach der Negativentwicklung im dritten Quartal auch im derzeit vierten Quartal die Wirtschaftsleistung nachläßt, dann ist die Feststellung einer Rezession geboten. Allerdings könnte das Wort zu einem Zeitpunkt das Licht der Welt erblicken, zu dem es bereits wieder aufwärts geht.

Denn für eine optimistische Sicht der wirtschaftlichen Entwicklung gibt es durchaus Gründe: Die Zinsen sind niedrig, was Investitionen fördert; die Preissteigerung ist rückläufig; die Anfang des Jahres wirksam gewordene Steuerentlastung stärkt die private Kaufkraft und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen.

Käme im Zuge eines neuen Aufschwungs in den USA die Weltwirtschaft auf höhere Touren, würde die in hohem Maße weltwirtschaftlich verflochtene deutsche Wirtschaft davon ganz besonders Maße profitieren.

Doch selbst wenn Anfang nächsten Jahres der Aufschwung wieder Tritt faßt, ist ein Ziel nicht mehr zu erreichen. Nachdem die Arbeitslosenzahl im bevorstehenden Winter die Marke von vier Millionen überschreiten wird, ist ein Abbau auf 3,5 Millionen zum Termin der Bundestagswahl im nächsten Herbst illusorisch.

Möglich ist aber vom Frühjahr an, allein schon aus saisonalen Gründen, wieder eine Zunahme der Beschäftigung. Ziel verfehlt, aber die Richtung stimmt, kann der Bundeskanzler dann sagen. Immerhin ist seit Amtsantritt der Regierung Gerhard Schröder hier zu Lande die Zahl der Arbeitsplätze um eine Million gestiegen.