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Politik

Das Spektakel hat keine Priorität mehr

Daniel Martínez (Adaption: Jan D. Walter)4. Juli 2014

Kolumbien will Gastgeber Brasilien aus dem Turnier kicken. Und seine Spieler werden mit breiter Brust auflaufen. Dass sie so weit gekommen sind, verdanken die Kolumbianer einem grundlegenden Wandel ihrer Fußball-Kultur.

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WM 2014 Achtelfinale Kolumbien Uruguay (Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Bild: Reuters

Als Kolumbien zum bislang einzigen Mal die Gruppenphase einer WM überstand, war der Gastgeber Italien und sechs Spieler aus dem heutigen Kader noch nicht einmal auf der Welt. Unter ihnen der Star des heutigen Teams, James Rodríguez. Doch sie alle kennen den Mythos, den das Teams um Rodríguez' Idol Carlos Valderrama umgibt.

In den 90er-Jahren, dem "Goldenen Zeitalter" des kolumbianischen Fußballs, schaffte es die Mannschaft drei Mal zu einer WM-Endrunde - mit Rekordnationalspieler Valderrama als Spielmacher und "dem Verrückten" im Tor, René "El Loco" Higuita, der durch spektakuläre Paraden und waghalsige Dribbelausflüge bis in die gegnerische Hälfte berühmt wurde. Doch die Ära ging zu Ende, und Kolumbien musste 16 Jahre auf die nächste WM-Teilnahme warten.

In Schönheit gestorben

Die Mannschaft, die am 04.07.2014 im Viertelfinale gegen Brasilien spielt, hat nichts gemein mit dem Team von damals, wenn man von der Anzahl der Spieler und dem Spaß am Fußball einmal absieht. 1990 war es ein Erfolg, überhaupt dabei zu sein, der Achtelfinaleinzug eine Sensation.

Fußball Kolumbien Carlos Valderrama (Foto: DANIEL LUNA/AFP/Getty Images)
Carlos Valderrama (r.) war einer der überragenden Spielmacher der 90er-JahreBild: Daniel Luna/AFP/Getty Images

Aber selbst das schien nebensächlich: 1:0 oder 0:1, das waren nur Zahlen. Tunnel, Fallrückzieher und sehenswerte Spielzüge - das Spektakel war es worauf es ankam. Frei nach dem Motto: "Wenn wir schon verlieren, dann wenigstens schön". Und genauso endete das Abenteuer in Italien auch, als Torwart Higuita in der 109. Spielminute des Achtelfinals wieder einmal seine Position verließ, an der eigenen Strafraumgrenze Kameruns Roger Milla ausfummeln wollte, den Ball aber verlor und das vorentscheidende 0:2 kassierte.

16 lange, karge Jahre

Dass Kolumbien bei der WM 2014 wegen einer vergleichbaren Show-Einlage aus dem Turnier ausscheidet, ist kaum vorstellbar. Mit taktischer Disziplin, technischer Reife und großem Selbstbewusstsein hat sie vier überzeugende Siege errungen.

Der Weg bis hierher war lang. Einer der ersten, die versuchten den Kurs zu korrigieren, war der Nationaltrainer Luis García. In der Qualifikation für die WM 2002 auf Relegationsplatz fünf liegend, entließ man ihn. Die Schuld an der gefährdeten WM-Teilnahme gab man seinem pragmatischen Stil und holte Francisco Maturano zurück, der in den legendären 90er-Jahren das Toque-Toque, die kolumbianische Version des spanischen Tiki-Taka, eingeführt hatte. Mit ihm gewann Kolumbien zwar 2001 die Copa América im eigenen Land, fiel aber in der WM-Qualifikation noch auf Platz sechs zurück und verpasste die erste von drei WM-Endrunden in Folge.

Eine Frau holt den Retter

Lange blieb die kolumbianische Nationalmannschaft ein Team ohne Identität. Bis zum 5. Januar 2012, dem Tag, an dem José Pekerman die Übungsleitung übernahm.

Eigentlich hatte der Argentinier niemals eine Nationalmannschaft als die eigene trainieren wollen. Bis seine Tochter ihn bat: "Bitte, Papi, führe uns zur WM." Vanessa Pekerman kam im kolumbianischen Medellín zur Welt, wo Pekerman Mitte der 70er-Jahre sein Spieler-Karriere beendet hatte. Er kam dem Wunsch nach und stellte dem kolumbianischen Fußballverband nur eine Bedingung: einen zeitgemäßen Fußball zu spielen und endlich die Last der 90er-Jahre abzulegen.

Interaktiver WM-Check 2014 Trainer Kolumbien Pekerman (Foto: AP Photo/Ricardo Mazalan, File)
Der Argentinier José Pekerman hat den kolumbianischen Fußball revolutioniertBild: picture alliance/AP Images

Pekerman kam und krempelte die kolumbianische Fußballwelt um: Den Spielern brachte er bei, dass sich nur der Fleißige den Luxus erlauben kann, ein Künstler zu sein. Journalisten und Fans lehrte er, dass gute Ergebnisse wichtig sind, auch wenn es den ein oder anderen Übersteiger weniger zu bejubeln gibt. Nun erkennen sie tatsächlich, dass das Spektakel viel schöner ist, wenn es mit einem Sieg endet und zum Ziel führt: der Teilnahme an der Weltmeisterschaft.

Heute strahlt die kolumbianische Nationalmannschaft ein vollkommen anderes Selbstverständnis aus: Mit breiter Brust hat sie sich ins Rampenlicht der WM-Bühne gespielt. Und nun will sie alles: Kolumbien will in Basilien der Gast sein, der die Party sprengt.