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Kinderbücher in beiden Muttersprachen

Mareike Aden24. Oktober 2005

Ein deutsch-türkisches Lesebuch hilft Migranten-Kindern, beide Sprachen in ihr Leben zu integrieren. Die ersten 3000 Exemplare sind gerade fertig geworden. Jetzt geht die Autorin auf Lesereise.

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Gemeinsames Lernen von türkischen und deutschen KindernBild: dpa

"Die Lampe" steht auf dem Buchdeckel und darüber – ein wenig kleiner - "Lamba Şişesi Nasil Ampul Oldul"- der türkische Titel. Wer das Buch aufklappt, sieht auf der ersten Seite türkischen und auf Seite 2 deutschen Text. Der Inhalt ist auf beiden Seiten der gleiche. Die Zweisprachigkeit geht über die gesamten 80 Seiten des Buches weiter. Geschrieben wurde das Buch von Gülsüm Cengiz, die in ihrer Heimat eine bekannte Kinderbuch-Autorin ist und in den vergangenen Jahren verschiedene türkische Literaturpreise gewonnen hat. Der deutsche Text kommt von einer Übersetzerin.

Jetzt sind Schulkinder dran

Mit bilingualen Projekten hat Cengiz bereits Erfahrung. Vor einigen Jahren arbeitete sie an einer Serie bilingualer Bücher für Kleinkinder mit. Jetzt sind die Schulkinder dran. "In Deutschland leben 340.000 türkische Migrantenkinder unter zehn Jahren", sagt Norbert Reitz, Vorsitzender des Bonner Vereines "Freie Akademie", der mit seiner Tätigkeit Minderheiten integrieren will und das bilinguale Buch verlegt.

Frankfurter Buchmesse
Gülsüm Cengiz (l.) und Norbert ReitzBild: DW

"Viele Migrantenkinder glauben, dass sie sich für eine Sprache entscheiden müssen, wenn sie zur Schule gehen - und verlernen meist ihre Muttersprache." Die bittere Folge sei, dass sie sich von ihren Familien entfremden. "Aber 'Die Lampe' können Kinder erst mit der Oma auf Türkisch und dann mit der großen Schwester auf Deutsch lesen", sagt Reitz. Wer noch nicht lesen gelernt hat, kann sich die Geschichte auf der zum Buch gehörenden CD anhören - auf Deutsch und Türkisch.

"Bilinguale Lesebücher können einen hohen pädagogischen Nutzen haben", sagt Hans Reich vom Institut für Interkulturelle Bildung an der Universität Koblenz-Landau. Zwar gebe es den Gedanken von zweisprachigen Lesebüchern schon länger, aber er sei immer wieder in Hintergrund geraten, weil "solche Projekte schwer zu finanzieren sind". Bisher habe man sich darauf konzentriert zwei Sprachversionen eines Buches zu produzieren, so dass "die Kinder die Bücher nebeneinander legen und vergleichen könne". So gibt es das Kinderbuch "Der kleine Eisbär" zum Beispiel auch auf Türkisch - aber eben nicht auf Deutsch und Türkisch in einem Buch. Damit sich bilinguale Bücher wie "Die Lampe" durchsetzen, sollten Bibliotheken und Schulen die Bücher zur Verfügung stellen, rät Reich.

Sprachgrenzen einreißen

Über die Schulen wollen auch Cengiz und Reitz die Leser erreichen. Denn "vor allem in Schulen sind Kinder, die eine andere Sprache sprechen, oft isoliert", sagt Reitz. "Eure Sprache klingt ja lustig", werde ihnen häufig gesagt. "Die Lampe" könne bei deutschen Kindern mehr Verständnis für die fremde Sprache der türkischen Mitschüler wecken, ist sich Reitz sicher. Deshalb geht die Autorin gleich nach der Frankfurter Buchmesse Ende Oktober auf eine Tour durch deutsche Schulen in Köln, Gelsenkirchen, Berlin, Hamburg und Kassel. Für 2006 ist eine Reise durch Ostdeutschland geplant. Die Lehrer, mit denen Reitz gesprochen hat, seien "durchweg begeistert" und fragen sich, warum noch vorher niemand auf diese Idee gekommen ist. "Wir wetten schon, wann wir nachdrucken müssen", sagt Reitz.

Kein erhobener Zeigefinger

Doch obwohl das Buch vor allem in Schulen gelesen werden soll, legen Autorin und Verleger großen Wert darauf, dass "Die Lampe" kein Lehrbuch ist. "Es gibt keinen erhobenen Zeigefinger", sagt Reitz. Zwar werde den Kindern "ganz nebenbei beigebracht, was man mit Glas alles herstellen kann". Aber: "Übersetzen lernen kann man damit nicht. Wir haben frei übersetzen lassen", sagt Reitz. Eine Empfehlung wie und in welcher Reihenfolge die Kinder die Sprachen lesen sollen, gibt es nicht. "Die Kinder sollen lesen, wozu sie Lust haben und was sie am besten verstehen." Dann können sie nachzuschauen: "Was heißt das in meiner anderen Sprache?"

Europuzzle, Die Lampe
'Die Lampe' gibt es bald auch in deutsch-russischer Version.

Die bilinguale Fassung von "Die Lampe" wird erst einmal nur in Deutschland zu kaufen sein. Aber Cengiz kann sich gut vorstellen, dass es auch in der Türkei einen Markt dafür gibt. "Im Moment gibt es in meiner Heimat nur türkisch-englische Bücher", sagt sie. Die "Freie Akademie" will sich die Zweisprachigkeit nun zum Prinzip machen. Das nächste Buch von Cengiz wird schon übersetzt. Unter dem türkischen Titel "Köprü olmak isteyen čivi" wird dann "Der Nagel, der zur Brücke wird" stehen. Für das kommende Jahr plant die "Freie Akademie" noch mehr Sprachenvielfalt. Dann erscheint "Die Lampe" auf Deutsch und Russisch. Gespräche für eine spanische, griechische und vietnamesische Version laufen ebenfalls.