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Keine schrillen Töne mehr?

Rainer Sollich22. Januar 2002

In einem für den chinesischen Präsidenten Jiang Zemin bestimmten US-Flugzeug sind nach Medienberichten Abhörgeräte entdeckt worden. Dennoch hält sich China bisher demonstrativ mit Kritik zurück.

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Für chinesische Zeitungen war der Abhör-Vorfall bislang kein Thema.Bild: AP

Chinesische Techniker haben nach Berichten westlicher Medien im September in der Boeing 767 mindestens 27 Satelliten-gesteuerte Wanzen gefunden. Eine neue Belastungsprobe für die chinesisch-amerikanischen Beziehungen? Offenbar nicht, denn bislang hat China den Vorfall nicht öffentlich thematisiert.

Man stelle sich vor: Der amerikanische Präsident, hoch beeindruckt vom technischen Fortschritt in China, läßt sich in Peking oder Schanghai ein schickes, neues Präsidenten-Flugzeug bauen - und zurück kommt eine Maschine voll mit Abhör-Wanzen. Klarer Fall: Die US-Medien würden das als Skandal aufbauschen, die China-kritische Lobby in den USA sähe sich erneut in ihren Anliegen bestärkt.

Diplomatischer Affront

Kaum vorstellbar, aber laut westlichen Medienberichten wahr: Genau diese Geschichte hat sich angeblich wirklich abgespielt - nur andersherum. Laut "Washington Post" und "Financial Times" soll Staats- und Parteichef Jiang Zemin sehr wütend gewesen sein, als in seiner aus den USA gelieferten Präsidenten-Boeing moderne Spionage-Technik entdeckt wurde. Ob nun die US-Regierung dafür verantwortlich ist, dass in Jiangs Bad und Bett offenbar Wanzen gefunden wurden, oder jemand anderes: Man kann seine Wut verstehen. Ein derartiger Vorfall gilt gemeinhin als diplomatischer Affront.

Zurückhaltung der chinesischen Medien

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber etwas anderes: die offizielle chinesische Reaktion. Zuerst wurde das Thema in den staatlich kontrollierten Medien gar nicht erwähnt. Und am Dienstag (22.1.) dann trat Außenministeriumssprecher Sun Yuxi vor die Presse und erklärte, er habe zwar von der Verwanzungs-Geschichte gehört, sehe aber keinen Einfluss dieses Vorfalls auf andere Fragen. Offenbar gab es eine Direktive an Regierungssprecher und Medien, die besagt: Diesmal verzichten wir auf eine große Kampagne gegen die anmaßende Hegemonialmacht USA - ein starker Kontrast zum Streit um die amerikanische-chinesische Flugzeugkollision im April, wo aus Peking sehr schrille und fast kämpferische Töne zu vernehmen waren.

Die Gründe für Chinas neue außenpolitische Zurückhaltung liegen auf der Hand: Zum einen will man einen Monat vor dem geplanten China-Besuch von US-Präsident George W. Bush Streitigkeiten möglichst vermeiden und lieber positive Signale setzen. Hierzu zählt die vorzeitige Entlassung und Überstellung eines wegen Spionage verhafteten tibetischen Wissenschaftlers an die USA. Zum anderen scheint Chinas Außenpolitik seit dem 11. September in der Tendenz ohnehin selbstbewusster und berechenbarer geworden zu sein.

Chinas neue Rolle

Jiang Zemin hatte sein Land nach den Terroranschlägen in New York und Washington umgehend in die internationale Anti-Terror-Koalition eingereiht. Damit strebt er unter anderem nach Rechtfertigung und internationaler Unterstützung im Kampf gegen Separatisten im nordwestchinesischen autonomen Gebiet Xinjiang. Doch über dieses spezielle Eigeninteresse hinaus ist auch ein genereller Kurswechsel zu spüren: China betont neuerdings deutlich weniger stark als noch vor kurzem seine speziellen Beziehungen zu den von den USA so genannten "Schurkenstaaten" - etwa Nordkorea oder Irak. Statt dessen versucht sich China, parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung, zunehmend als verantwortlich gestaltende Großmacht zu positionieren. Dies wird auch im Kaschmir-Konflikt deutlich, wo China zur Zeit viel ausgewogener agiert als in früheren Zeiten, als Pakistan auf uneingeschränkte chinesische Unterstützung zählen konnte.

Bei allen anhaltenden Sonderbeziehungen zu einzelnen kritischen Staaten und bleibenden chinesisch-amerikanischen Streitthemen wie Taiwan oder dem Raketenabwehrsystem NMD (National Missile Defence Initiative): Das Inszenieren lautstarker anti-amerikanischer Kampagnen passt aus Sicht der chinesischen Machthaber zumindest derzeit offenbar nicht mehr ins gewünschte internationale Eigenbild. Ob und wie lange das so bleiben wird, ist abzuwarten. Denn bei aller Unterstützung für den internationalen Anti-Terror-Kampf darf nicht übersehen werden: Die starke US-Militärpräsenz im benachbarten Zentralasien wird in China als strategische Bedrohung empfunden.