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"Keine Kurskorrektur in Berlins Russlandpolitik"

1. Oktober 2009

Auch ein neuer Außenminister wird den pragmatischen Dialog in der deutschen Russland-Politik fortsetzen. Das meint der Berliner Russland-Experte Alexander Rahr.

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Bild: AP/DW

Deutsche Welle: Nach der Bundestagswahl wird die CDU/CSU nun gemeinsam mit der FDP eine Regierungskoalition bilden. Was bedeutet das für Russland?

Alexander Rahr DGAP
Alexander RahrBild: DGAP

Alexander Rahr: Für Russland bedeutet dies keine Veränderung, weil ich denke, dass der Kurs einer strategischen Partnerschaft, den Deutschland gegenüber Russland eingeschlagen hat, in vollem Umfang den nationalen Interessen entspricht. Deutschland ist der Auffassung, dass es diese Partnerschaft auch für einen Dialog zwischen Russland und der Europäischen Union entwickeln muss.

Ich glaube, dass es keine Anpassung der Politik gegenüber Moskau geben wird. Es sei daran erinnert, dass die Grundlage dieser strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland noch in den 90er Jahren geschaffen wurde, als in Deutschland eine schwarz-gelbe Koalition aus CDU/CSU und der FDP regierte.

FDP-Chef Guido Westerwelle, der wahrscheinlich den Posten des Außenministers übernehmen wird, wird sich in Fragen der Außenpolitik, vor allem in so wichtigen Beziehungen wie zu Russland, mit dem ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher beraten. Genscher ist schon heute mehr als nur ein informeller Berater Westerwelles. Deshalb denke ich, dass es keine wesentlichen Abweichungen vom bisherigen Kurs geben kann.

Ein weiteres Argument: Die Liberalen sind eng mit der Wirtschaft verbunden, weit mehr als, sagen wir, die Grünen, die von1998 bis 2005 der Regierung angehörten. Und wenn die Grünen in jener Zeit in der Lage waren, die Interessen der deutschen Wirtschaft in Russland zu vertreten und umzusetzen, dann werden dies in den nächsten vier Jahren die Freien Demokraten umso mehr tun.

Aber die Freien Demokraten sind nicht nur für ihre Nähe zur Wirtschaft bekannt. Das Thema Menschenrechte hat für sie auch einen hohen Stellenwert. Werden sich kritische Bewertungen der Geschehnisse in Russland auf die Beziehungen zu Moskau auswirken?

Ich denke, dass die Liberalen in erster Linie Realisten sind. Sie treten wirklich für die Stärkung der Menschenrechte ein. Ja, die Partei hat einen Flügel, der von solchen Politikern wie dem Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger angeführt wird, die Justizministerin in der neuen Regierung werden könnte. Sie sind wirklich sehr kritisch gegenüber Russland eingestellt, insbesondere wegen des Prozesses gegen Michail Chodorkowskij. Den ehemaligen Yukos-Chef verteidigen sie bis zum heutigen Tag. Aber ich glaube nicht, dass dieser Flügel die Außenpolitik der FDP dominieren wird.

Selbst Westerwelle sprach sich beispielsweise scharf gegen die Absicht der USA aus, Teile des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik zu stationieren. Und das praktisch seit 2007 - unmittelbar nach Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Westerwelle tritt für eine radikale Abrüstung ein. Er weiß, dass eine Abrüstung nur in enger Zusammenarbeit mit Russland erreicht werden kann. Und wenn er Außenminister werden und die gestellten Ziele erreichen will, dann wird Westerwelle einfach pragmatische Beziehungen zu Moskau aufbauen müssen.

Der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier gilt als pro-russisch eingestellter Politiker, und er setzte den Kurs von Gerhard Schröder fort. In seiner Amtszeit als Außenminister wurde der Dialog zwischen Berlin und Moskau besonders eng. Muss Moskau Steinmeier heute nachweinen?

Ich denke, dass man nicht heftig weinen muss, denn in Wirklichkeit hat sich Angela Merkel genug, wenn ich so sagen darf, "schröderisiert". Merkel hat alle Projekte übernommen, die Schröder gemeinsam mit Russland entwickelt hatte.

Darunter wurde auch das Nord Stream-Projekt zum Bau einer Gaspipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee bejubelt. Die praktische Umsetzung des Baus begann gerade unter Merkel. Viele der Projekte, die sich unter Schröder im Entwicklungsstadium befanden, zum Beispiel die Beteiligung der deutschen Konzerne E.ON und Wintershall an der Gasförderung in Südrussland, wurden gerade unter Merkel umgesetzt.

Die Kanzlerin hatte sich in den vergangenen Monaten für den Eintritt von Gazprom in den deutschen Markt und auch für den Kauf der norddeutschen Wadan-Werft durch russische Investoren ausgesprochen. Merkel setzte sich dafür ein, dass Opel von einem Konsortium unter Beteiligung der russischen Sberbank gekauft wird. Sie ist jetzt damit einverstanden, dass Opel auch mit der Herstellung von Kraftfahrzeugen in Russland beginnt, und sie unterstützt den Transfer von Technologie in dieses Land.

Jede deutsche Regierung, wer auch immer ihr angehören sollte, ist einfach verpflichtet, die nationalen wirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen, die auch das Vorrücken Deutschlands auf die osteuropäischen Märkte, vor allem aber Russlands, einschließen.

Autor: Viacheslav Yurin / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz