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"Keine gute Nachricht für die Steuerzahler"

Kay-Alexander Scholz29. Juni 2012

Die Beschlüsse des EU-Gipfels werden in Deutschland unterschiedlich bewertet. Die Kritiker am ESM-Vertrag sehen sich bestätigt, dass eine "Schuldenunion" kommen wird. Der Haushaltsausschuss fordert Aufklärung.

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Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel (Foto: rtr)
Bild: Reuters

Die große Angst der Deutschen wie auch vieler Parlamentarier ist, dass es im Zuge der Euro-Rettung zu einer Vergemeinschaftung von Schulden kommt - und der deutsche Steuerzahler damit für die verfehlte Haushaltspolitik anderer Staaten zahlen muss. Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt sich deshalb seit Wochen eisern, wenn entsprechende finanzpolitische Instrumente wie Eurobonds diskutiert werden. Auch in ihrer Regierungserklärung direkt vor dem EU-Gipfel hatte sie noch einmal betont, dass gemeinsame Haftung und Kontrolle stets Hand in Hand gehen müssten.

Entsprechend skeptisch werden die Gipfel-Ergebnisse bewertet. "Das ist ein erneuter Dammbruch", sagte der FDP-Politiker Frank Schäffler, einer der schärfsten Kritiker der gegenwärtigen Euro-Rettungspolitik: "Jetzt boxen wir auch andere europäische Banken mit Steuerzahlergeld heraus." Die bisherigen Regeln ließen dies eigentlich nicht zu: "Es geht also immer stärker in Richtung Transferunion." Schäffler bezog sich damit auf die beschlossene Möglichkeit, maroden Banken durch direkte Finanzhilfen der europäischen Rettungsfonds ESFS und ESM zu helfen. Die geplante europäische Bankenaufsicht sieht Schäffler kritisch, weil "das nicht schnell realisierbar ist". Ein solches Vorhaben brauche Zeit, die man in der Krise nicht habe.

Der FDP-Abgeordnete Frank Schaeffler (Foto: dapd)
Frank Schäffler (FDP)Bild: dapd

Abstimmung im Bundestag

Auch der ESM-Kritiker Wolfgang Bosbach (CDU) bewertet die Gipfelbeschlüsse als Schritt in Richtung einer Vergemeinschaftung von Schulden. Bosbach, der am Abend im Bundestag gegen den ESM-Vertrag stimmen will, sagte, aus der Währungsunion werde mehr und mehr eine "Haftungsunion". Dass, wie nun vereinbart, im Falle einer Pleite die öffentlichen Geldgeber genauso verzichten müssten wie die Privatanleger, sei "eine gute Nachricht für die privaten Gläubiger, aber keine gute Nachricht für die Steuerzahler".

Wolfgang Bosbach, CDU, Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags (Foto: Karlheinz Schindler)
Wolfgang Bosbach (CDU)Bild: picture-alliance/dpa

Eine Euro-Pleite könnte Deutschland 310 Milliarden Euro kosten, also mehr als der deutsche Staat im Jahr 2013 zur Verfügung hat. Diese Summe geht aus einem gerade veröffentlichten Bericht des Bundesrechnungshofes und des Finanzministeriums hervor, der nun für zusätzliche Dramatik vor der entscheidenen Abstimmung sorgt.

Die Bundesregierung strebt im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit an - Kanzlerin Merkel wird deshalb vor der Abstimmung erneut eine Regierungserklärung abgeben und um Zustimmung werben. Zuvor wird auf Antrag der SPD-Fraktion am Nachmittag der Haushaltsauschuss zu einer Sondersitzung zusammen kommen. Die Regierung müsse ihre 180-Grad-Wende erklären, fordert der Haushaltsexperte Carsten Schneider. Mit den neuen Beschlüssen seien "alle Auflagen an ein Land nur noch Papiertiger". Italien hatte sich beim Gipfel mit seiner Forderung durchsetzen können, unter Umständen europäische Hilfe zu bekommen, ohne Sparauflagen erfüllen zu müssen.

Unklar ist, wie viele Parlamentarier von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen dagegen stimmen werden. Einzig die Fraktion der Linkspartei will geschlossen Nein sagen. Bundeskanzlerin Merkel müsse umgehend eine "Sozialstaatsgarantie" abgeben, forderte Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht von der Linkspartei am Freitag. Darin müsse sie "verbindlich zusagen, dass die Kosten von Fiskalpakt und Bankenrettung nicht den Bürgern durch Kürzungen von Renten und Sozialleistungen oder durch andere Belastungen aufgebürdet werden".

Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke (Foto: dpa)
Sahra Wagenknecht (Linkspartei)Bild: picture-alliance/dpa

"Haftung vor Kontrolle"

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verteidigte erwartungsgemäß die Gipfelbeschlüsse seiner Parteichefin: Die Versuche einer gemeinsamen Haftung für Staatsschulden seien erfolgreich abgewehrt worden. Es bleibe dabei, "dass die Haftung der Kontrolle folgt und Bankenhilfen erst möglich sind, wenn es auch eine europäische Bankenaufsicht gibt".

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zeigt sich grundsätzlich zufrieden mit den Gipfel-Ergebnissen - vor allem mit dem beschlossenen Wachstumspakt, der die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen soll. Solch einen Pakt hatte die SPD der Bundeskanzlerin in den Verhandlungen um eine Zustimmung zum ESM abgerungen. In der Gipfelnacht in Brüssel hatten Italien und Spanien damit gedroht, genau diesem Wachstumspakt in Höhe von 120 Milliarden Euro nicht zuzustimmen. Damit setzen sie Merkel innenpolitisch unter Druck.

Die Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles (Foto: dapd)
Andrea Nahles (SPD)Bild: dapd

Die Kanzlerin verkaufte das Paket als Erfolg ihrer Verhandlungen und verteidigte die Beschlüsse. Diese entsprächen "vollkommen unserem bisherigen Schema", sagte sie zu Beginn des zweiten Gipfeltags in Brüssel. "Insofern, glaube ich, haben wir etwas Wichtiges getan, aber sind unserer Philosophie - keine Leistung ohne Gegenleistung - treu geblieben."

EU-Gipfel: Einigung über Hilfsmaßnahmen für Krisenländer # 29.06.2012 06 Uhr # eu06e # Journal