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Kein verbohrter Fundamentalist

Baha Güngör16. November 2002

Zwei Wochen nach der Wahl hat die Türkei einen neuen Regierungschef. Staatspräsident Sezer beauftragte Vize-AKP-Chef Gül mit der Bildung der neuen Regierung. Ein Porträt des gemäßigten Islamisten.

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Zentrale Figuren der Türkei: Abdullah Gül (links) und Recep Tayyip ErdoganBild: AP

Geboren wurde Abdullah Gül am 29. Oktober 1950 in der zentralanatolischen Provinz Kayseri. Das Datum hat Symbolcharakter: Es ist nämlich der Tag der Gründung der laizistischen Türkei, der von der strikten Trennung zwischen Staatsführung und Religion getragenen Republik.

Gül ist ein "Realo" der türkischen Islamisten, einer der sich aus Überzeugung seit 1991 als Abgeordneter islamistischer Fraktionen im türkischen Parlament engagiert, gleichzeitig aber keinerlei Anzeichen eines verbohrten Fundamentalisten aufweist.

Partei- und Regierungserfahrung

Der promovierte Volkswirtschaftler stand in den Jahren 1983 bis 1991 im Dienst der Islamischen Entwicklungsbank. Im Anschluss daran wurde er Abgeordneter der inzwischen verbotenen Wohlfahrtspartei des Islamistenführers Necmettin Erbakan. In den folgenden Jahren sammelte Gül Erfahrung als Staatsminister und Regierungsprecher.

Nach dem Verbot der Wohlfahrtspartei wechselte er zu der inzwischen ebenfalls verbotenen Tugendpartei, deren stellvertretende Führung er übernahm. Diese Partei wurde wegen politischen Betätigungsverbots aus dem Hintergrund von Erbakan gelenkt, dessen Statthalter Recai Kutan auf dem Papier Parteichef war. Gül verlor gegen Kutan auf dem Parteitag am 8. März 2000 das Rennen um den Parteivorsitz, wobei er mit 521 Stimmen lediglich 122 Stimmen weniger als Kutan bekam.

Europa und USA statt Libyen und Iran

Nach dem Verbot der Tugendpartei spalteten sich die Islamisten in "Traditionalisten" und "Reformisten". Gül übernahm eine Führungsrolle in den Reihen der realistisch agierenden "Reformisten". So antwortete er auf die Frage nach seinem Verhältnis zur Demokratie, die von Fundamentalisten kategorisch abgelehnt wird: "Ich habe kein Problem mit der Demokratie und ich sehe in ihr das beste System in der Welt. Wenn ich vor die Wahl gestellt werde, ziehe ich ein Leben in Europa oder in den USA einem Leben in Libyen oder im Iran vor."

Auf sein Gebet fünfmal am Tag verzichtet Gül nach Möglichkeit nicht: "Das ist meine Privatsache. Ich mische mich nicht ein und es ist mir auch gleichgültig, ob andere ebenfalls beten oder nicht."

Kompromiss beim Kopftuch

Auch zum Thema Kopftuch, das in der Türkei als ein "Symbol des Fundamentalismus" betrachtet und in öffentlichen Einrichtungen sowie Universitäten verboten ist, äußert sich Gül pragmatisch: "Das kann doch nicht am grünen Tisch entschieden werden. Menschen können mit oder ohne Kopftuch sein. Wir müssen dieses Problem durch Kompromisse lösen."