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Porträt des Autors Belal Fadl

5. August 2010

Die Megacity Kairo ist für Belal Fadl Schauplatz des Kampfes von Arm und Reich und gleichzeitig unerschöpflicher Quell der Inspiration. Hebatallah Ismail Hafez hat den Schriftsteller in seinem "Aquarium" getroffen.

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Junger Mann in einem Hinterhof in Kairo (Foto: DW / Hebatallah Ismail Hafez)
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß in Kairo.Bild: DW

Es gibt schwarzen Tee im Glas – so wie ihn die Ägypter gerne trinken. Ich treffe Belal Fadl in einem der berühmten Cafés mitten in Kairo, dem Café Riche. Ein Café, in dem sich die Intellektuellen dieser Stadt treffen. Om Kathoum, die ägyptische Sängerin und große arabische Diva, gab hier in den sechziger Jahren mehrere Konzerte. Auch der Literatur-Nobelpreisträger Naguib Machfuz war regelmäßiger Gast. "Kairo ist eine Stadt voller Gegensätze", erzählt Belal Fadl. "Hässlichkeit und Schönheit gleichzeitig. Und die Menschen aus Kairo sind die Könige der Anpassung."

"Al Qahira" – die Siegreiche

In der Märchensammlung "Tausendundeine Nacht" heißt es, dass "wer Kairo nicht gesehen, die Welt nicht gesehen hat." Kairo sei gar "die Mutter der Welt". Eine chaotische Mutter, in der unglaubliches Chaos herrscht, etwa die Hälfte der Menschen lebt in sogenannten "informellen Siedlungen", in Blechhäusern, in Slums. Der Krach der Millionen Autos ist ohrenbetäubend, der Gestank ein permanenter Angriff auf den Geruchssinn.

Ein alter Mann in den Straßen von Kairo (Foto: DW / Hebatallah Ismail Hafez)
Die Menschen in der ägyptischen Metropole sind Könige der Anpassung.Bild: DW

Aber es sei genau dieses Chaos, das es, sagt Belal Fadl, leichter mache zu schreiben. Man brauche nur auf die überfüllten Straßen von Kairo zu gehen, und schon finde man genug Stoff. "Ich habe Kairo an den hintersten Türen kennengelernt. Oder besser gesagt, ich tauchte in die Abflusskanäle. Es gibt keine Straße, die ich nicht kenne", erzählt er. Der 36-Jährige schreibt oft über die Armen Kairos. Er wird deshalb auch "Kattib el Ghalabah" genannt, "Autor der Habnichtse". Ein immer wiederkehrender Charakter seiner Geschichten ist "Um Hennd", eine Putzfrau. Sie verkörpert den einfachen Menschen in Kairo. Sie kann weder lesen noch schreiben, ist aber eine Meisterin in der wichtigsten aller Disziplinen: im Überleben. In einer Geschichte umarmt sie den Fernseher, während eine Rede des ägyptischen Präsidenten live übertragen wird. Sie erzählt ihm von ihren Kindern, die sie nicht versorgen kann, von der Rente ihres verstorbenen Mannes, von der sie und ihre Kinder nicht leben können. Und selbst diese Rente wollen die Behörden kürzen, weil sie feststellen, dass sie einen Fernseher besitzt.

"Herr Präsident, ich muss mich kratzen"

Belal Fadls fünf bisher erschienene Bücher sind vor allem bei den Jüngeren beliebt. Er schreibt humorvolle, an der Realität angelehnte Geschichten über Arm und Reich. Humor, das ist der eine Strang, deutliche politische Kritik der andere dieser Form des Schreibens.

Ich bitte ihn, mir etwas vorzulesen. Er holt ein Buch aus seiner Tasche, "Al Sukkan El Assleyeen Le Masr" – "Die Ureinwohner Ägyptens". Eine Geschichte darin heißt: "Herr Präsident, ich muss mich kratzen". Eine Geschichte über die jungen Menschen, die am 6. April 2008 gegen die niedrigen Löhne und die steigenden Preise protestiert haben. Viele von ihnen wurden festgenommen. Daraus ist eine politische Bewegung unter dem Namen "Shabab 6. April" – "Die Jugend des 6. April" geworden.

Stau in Kairo (Foto: DW / Hebatallah Ismail Hafez)
Moloch Kairo: 24 Stunden Rushhour - und ein Verkehrsstau, der kein Ende nimmtBild: DW

"Ich gebe zu, Herr Präsident, ich habe an den Demonstrationen teilgenommen. Es kann sein, dass ich einen Fehler gemacht habe, an dieser Demonstration teilgenommen zu haben. Aber was hätte ich tun sollen.?... Wir haben demonstriert, damit Sie uns sagen, wie unsere Eltern uns ein gutes Leben garantieren können, obwohl sie so wenig verdienen. Wie können wir von der Zukunft träumen, während wir an den Schulen und Universitäten nichts Gescheites gelernt haben? Ja, Herr Präsident, ich war bei der Demonstration, wie all die anderen. Ich liege gerade im Krankenhaus auf dem Bett mit Handschellen, nachdem ich verhaftet wurde. Und ich weiß jetzt ganz genau, was ich will. Ich will weder soziale Gerechtigkeit noch Freiheit. Eine politische Reform will ich auch nicht. Was ich will, Herr Präsident, dass Sie mich jetzt von den Handschellen befreien, denn ich muss mich gerade kratzen."

Willkommen in Kairo

Während Belal Fadl mir über Kairo erzählt und aus seinen Büchern vorliest, blicke ich aus dem Fenster. Seine Worte sind wie der Ton zu diesem lauten, wilden Film, den ich sehe: Massen von Menschen auf den Straßen. Junge, alte, verschleierte und moderne Frauen, westliche und asiatische Touristen. Straßenverkäufer und -kehrer und vor allem der Verkehrsstau, der kein Ende nimmt. Es kommt einem vor, als ob Kairos Verkehr 24 Stunden Rushhour hat. Ich denke zurück an die Taxifahrt zum Café Riche. Ich erzähle Belal, wie der Taxifahrer über die Autoschlangen, die sich kaum bewegten, fluchte. Da lächelt Belal mich an und begrüßt mich ein zweites Mal: "Willkommen in Kairo", sagt er. Für ihn sei Kairo wie ein "Aquarium", in das er allzu gerne tauche, um Figuren für seine Bücher zu finden. Typisch für die neue Literaturbewegung unter den jungen ägyptischen Autoren ist, dass die Politik der Kern ihres Schreibens ist. Bei Belal Fadl ist es vor allem die soziale Umwandlung nach der ägyptischen Revolution im Jahre 1952 und das Regime Mubaraks.

Abschied in Kairo

Der ägyptische Autor Belal Fadl (Foto: Hebatallah Ismail Hafez )
Belal Fadl im Café RicheBild: DW/Hafez

Langsam füllt sich das Café mit Touristen, denn es ist auch ein Treffpunkt vieler Ausländer geworden, die ein Bier oder ein anderes alkoholisches Getränk trinken wollen. Ich merke, wie Belal Fadl allmählich unruhig wird und sein Telefon wieder einschaltet. Er habe einen engen Zeitplan, meint er entschuldigend. Als Drehbuchautor und Schriftsteller muss er hier ein Manuskript abliefern und dort ein Drehbuch für einen neuen – natürlich – sozialkritischen Film fertig stellen. Er schaut auf seine Uhr und verabschiedet sich überraschend schnell. Während er die Ausgangstür des Cafés öffnet, klingelt sein Handy. Dann verschwindet Belal Fadl in der Menschenmasse. Er taucht wieder ein – in das Aquarium von Kairo.


Autorin: Hebatallah Ismail Hafez
Redaktion: Ramón García-Ziemsen