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Internationale Pressestimmen von Sonntag, 24. März 2002

zusammengestellt von Siegfried R. Scheithauer 24. März 2002

Holzmann-Pleite auch Niederlage für Kanzler Schröder/ Deutsche Europa-Politik im Blickpunkt/Neue Terrorwelle in Italien?/ Bilanz der "Operation Anaconda" in Afghanistan

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Die Pleite des deutschen Baukonzerns Philipp Holzmann hat auch in der internationalen Presse ein großes Echo gefunden. Übereinstimmend wird dabei der Kollaps des Unternehmens auch als symbolische Niederlage für Bundeskanzler Gerhard Schröder gewertet.

Die französische Wirtschaftszeitung "La Tribune" ruft in Erinnerung:

"Bundeskanzler Schröder wendet sich an die Beschäftigten der Holzmann-Gruppe und verkündet, dass das Unternehmen dank seiner Intervention so gerade noch vor der Insolvenz gerettet werden konnte. Alle deutschen Fernsehsender haben am Donnerstag diese Bilder gezeigt - das einzige kleine Problem für den sozialdemokratischen Kanzler liegt darin, dass die Fernsehaufnahmen vom November 1999 stammen. Genau sechs Monate vor den Wahlen kommt der Fall Philipp Holzmann also wie ein Bumerang zurück, um den Kanzler ein bisschen mehr ins Schwanken zu bringen. Die Holzmann-Insolvenz scheint so zu beweisen, dass die 'interventionistische Politik' des Kanzlers gescheitert ist."

Die "Financial Times" aus London bringt es prägnant auf folgenden Nenner:

"Philipp Holzmann, die hochverschuldete Baugruppe, hat nach gescheiterten wilden Rettungsversuchen bis zur letzten Minute Insolvenz beantragt und damit Kanzler Gerhard Schröder im Wahljahr einen schweren Schlag versetzt. (...) Analysten sehen in der harten Haltung der drei beteiligten Banken einen bemerkenswerten Wandel der Einstellung. Die deutschen Banker sind nicht länger bereit, Verlustemacher zu retten, wie sie dies in der Vergangenheit taten, hieß es."

Das belgische Blatt "Le Soir" schlägt in die gleiche Kerbe:

"Das SOS, das der Vorstand des deutschen Baukonzerns aussandte, ist ohne Folgen geblieben. Einige Stunden später meldete er Konkurs an. Die Pleite von Philipp Holzmann ist eine persönliche Niederlage von Kanzler Schröder, der 1999 Druck auf die Banken ausübte, um die Gruppe ein erstes Mal zu retten. Damals wurde der Kanzler dafür von den Arbeitern vergöttert. Heute aber ist sein damaliges Eingreifen Gegenstand vielfacher Kritik."


Aufmerksam beobachteten die ausländischen Kommentatoren auch die Berliner Europa-Politik. Kanzler Schröder will diese zur Chefsache machen und hat ein eigenes Europa-Ministerium vorgeschlagen. Dies würde die Ambitionen von Außenminister Joschka Fischer und dessen Ressort schwächen.

Der "Corriere della Sera" aus Mailand meint dazu:

"Ein schleichender Konflikt um die Kontrolle der deutschen Europa- Politik schwelt unter der Haut der rot-grünen Regierung, mit der Gefahr, deren Kompaktheit und künftige Stabilität zu beeinflussen. (...) Wie sehr die Polemik auch zu einem guten Teil hypothetischer Natur ist und unter dem Blickwinkel des Wahlkampfs gesehen werden muss: Mit Schröder in der Rolle des Kämpfers für die teutonischen Interessen und Fischer in jener des makellosen Europa-Anhängers, droht das Gift der indirekten Pfeilschüsse dieser Tage auch kurzfristig negative Folgen für die rot-grüne Regierung zu haben."


Die Pariser Zeitung "Le Monde" hebt hervor, nicht die Franzosen, sondern Gerhard Schröder habe sich auf dem jüngsten Gipfel für die Forderungen der Industrie gegen falsche Vorgaben der EU stark gemacht:

"Der deutsche Kanzler hat seine Angriffe gegen die EU-Kommission in dieser Frage bekräftigt. In seinen Augen wollen gewisse Kommissare aus kleineren Staaten ein europäisches Wirtschaftsmodell auf der Basis des staatlichen Sektors fördern, das die Grundlagen des industriellen Deutschlands untergraben würde. Gewiss, die deutsche Industriepolitik ist veraltet. Gewiss, die Bundesrepublik spricht manchmal zwei Sprachen: Berlin will Volkswagen (mit Sonderrechten) vor Übernahmen aus dem Ausland schützen, ermutigt aber Daimler, die amerikanische Chrysler zu kaufen. (...) Aber der Kanzler hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Warum sollte er königlicher sein als der König, liberaler als die Amerikaner?"

Die dänische Tageszeitung "Information" schreibt über den SPD-Chef:

"Deutschland reitet langsam auf der Populismus-Welle mit. Gerhard Schröder ist Sozialdemokrat, aber in mindestens dem selben Maß Populist. Das Bedauerliche ist, dass er als schwache Übergangsfigur zwischen dem alten europäischen Kanzler Helmut Kohl und dem neuen Durchschnittspopulisten Edmund Stoiber aus Bayern enden kann".


Themenwechsel. Zahlreiche Meinungsmacher der ausländischen Tagespresse beschäftigten sich mit der Ermordung des Regierungs- beraters Marco Biagi in Italien.

Das Pariser Blatt "Libération" fragt:

"Wacht der Virus des Terrors in Italien wieder auf? Es gibt mehrere Gründe, dies zu befürchten. Zum einen mehrere Anschläge in jüngster Zeit (vor allem in Venedig), zum anderen zwei Morde: der an Marco Biagi am Dienstag und der an Massimo D'Antona im Mai 1999. Wie zufällig waren beide Männer Berater der Regierung in Sozialfragen. Es gibt nur einen Unterschied zwischen diesen beiden Verbrechen: Biagi arbeitete für eine Rechtsregierung, D'Antona für eine Linksregierung."

"Der Standard" aus Österreich warnt:

"Schaffen es rote Terroristen oder rechte Umstürzler, das Land wie Ende der 70er Jahre bis an den Rand des Chaos zu drängen? Der Boden dafür wäre bereitet. Das Attentat auf Marco Biagi trifft Italien in Zeiten allerhöchster politischer Spannung. Linke und Rechte bekämpfen einander mit einer ideologischen Verve, als hätte es den Fall des Eisernen Vorhangs nie gegeben."

Die Moskauer Zeitung "Kommersant" sieht es so:

"Viele Italiener verspüren heute das Gefühl eines Déjavu. Immer häufiger ist Rede von einer neuen Welle des politischen Terrors, deren letzter Höhepunkt zwei Jahrzehnte zurückliegt. Damals fielen hunderte von Italienern, darunter auch Spitzenpolitiker, den Anschlägen linker und rechter Kräfte zum Opfer. Eine weitere Warnung, dass dem Land der zweite Teil des blutigen Dramas droht, war die Bombe, die einen Monat vor dem Mord an Biagi direkt vor dem Innenministerium in Rom gezündet wurde."

Umstritten blieb auch bei den Kommentatoren die Bilanz der jüngsten "Operation Anaconda" der US-Bodentruppen im Osten Afghanistans. Das amerikanische Oberkommando sprach von einem großen Erfolg, afghanische Feldkommandeure blieben skeptisch.

Die französische Wirtschaftszeitung "Les Echos" analysiert kritisch:

"Nicht nur gibt es eine Reihe von Kämpfern der El Kaida und der Taliban, die durch die Fangnetze der Amerikaner und ihrer Verbündeten geschlüpft sind, um sich in Afghanistan oder in Nachbarländern neu zu gruppieren. Außerdem gibt es auch in Europa und anderswo noch 'Schläfer-Zellen' des El-Kaida-Netzwerks und andere Gruppierungen.

Vor allem aber haben die 16 Tage der Boden-Kampagne 'Anaconda' nicht nur den Amerikanern die schwersten Verluste seit Oktober zugefügt, sondern auch eine taktische Lektion erteilt."

Die "Nesawissimaja Gaseta" aus Moskau geht ins Detail:

"Nach Angaben amerikanischer Militärs wurde bei der Vorbereitung der Operation der Feindaufklärung besonders große Aufmerksamkeit gewidmet. Doch offensichtlich wurden dabei die ersten Fehler gemacht,die dann zu Verlusten an Soldaten und Material führten. Die Angaben (über die Stärke des Feindes) hätten überprüft werden müssen, zum Beispiel durch ein Agentennetz. Doch dieser Teil der Aufklärung war schon die Schwachstelle der sowjetischen Truppen in Afghanistan. (...) Jetzt sind die amerikanischen Sondertruppen auf dieselbe Harke getreten."

Das britische Blatt "The Guardian" wirft ein Schlaglicht auf die Rolle von Regierungschef Tony Blair:

"Die militärischen Verbindungen mit Washington haben Blair besonderen Einfluss gegeben. Man sagt, seine Stimme sei wichtig gewesen, als es darum ging, Bush dazu zu bewegen, nicht zu schnell in Afghanistan einzufallen. Jetzt hat sich das Bild geändert. In der momentanen Debatte über einen direkten US-Angriff auf Irak zur Beseitigung Saddam Husseins findet sich Blair in der gegenteiligen Position. (...) Blair spricht für Amerika in Europa, aber man hört ihm nicht zu. Er spricht für Europa in Amerika, aber er zählt nicht."