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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Stephan Stickelmann4. Oktober 2003

Schröders Reformpolitik / Blair auf Labour-Parteitag / Allianz von Air France und KLM / Stromausfall in Italien

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In dieser Woche befassten sich einige europäische Tageszeitungen in ihren Kommentaren mit den Reformbemühungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die Meinungsbeiträge widmeten sich ferner dem Auftritt des britischen Premiers Tony Blair auf dem Labour-Parteitag und der Allianz der beiden Fluggesellschaften Air France und KLM. Und selbstverständlich war auch der Stromausfall in Italien ein Thema. Der CORRIERE DELLA SERA aus Italien bemerkte angesichts des Zeitdrucks, unter dem Kanzler Schröder bei der Durchsetzung seiner Reformpolitik steht:

"Drei Monate zum Leben. Oder drei Monate, um zu sterben. Drei Monate, um die Reformen durchzusetzen, um das Gesicht Deutschlands zu verändern und die deutsche Sozialdemokratie neu zu gestalten. Oder drei Monate, um an den Klippen der Partei-Orthodoxen zu zerschellen, um die linke Reform des Sozialstaates abzublasen und sich von der Regierung zu verabschieden, und das vielleicht wieder einmal für viele Jahre. Gerhard Schröder hat sich entschieden, alles auf eine Karte zu setzen, in dieser doppelten Herausforderung, gegen die Opposition der Christdemokraten und gegen die Linke in seiner eigenen Partei. Die Worte des Kanzlers bezeichnen auf dramatische Weise den Scheideweg, den seine rot-grüne Koalition erreicht hat, aber sie sind ebenso gültig für die gesamte Situation Deutschlands.'

DER BUND aus der Schweiz meinte mit Blick auf des Kanzlers wiederholte Rücktrittsdrohungen:

"Selbst wenn Schröder die kommenden Abstimmungen gewinnt, werden ihn die strukturellen Probleme Deutschlands in den kommenden Jahren immer wieder einholen. Die deutsche Finanzkrise beispielsweise ist von Berlin bis Brüssel allgegenwärtig; man denke nur an die Maastricht-Kriterien und an die chronische Geldnot der Gemeinden. Die Arbeitslosigkeit wird sich im kommenden Winter der Fünf-Millionen-Grenze nähern und das Wirtschaftswachstum gegen null tendieren. Die strukturellen Probleme Deutschlands werden länger anhalten, als Schröders Rücktrittsdrohung wirkt und diszipliniert."

DER STANDARD aus Wien lenkte den Blick auf Tony Blair und den Labour-Parteitag:

"Tony Blair tat das, was er am besten kann: brillant reden, charmant verführen - Augen auf und durch, sozusagen. Und die Delegierten am Parteitag der Labour Party in Bournemouth konnten 'Bambi' offenbar nicht wirklich böse sein. Sie applaudierten - nicht so begeistert wie Tags zuvor bei seinem Schatzkanzler und Rivalen Gordon Brown - aber immerhin doch freundlich. Das stand angesichts der Bilanz, die der britische Premier vorzuweisen hat, gar nicht zu erwarten."

In eine ähnliche Richtung ging die Analyse der Londoner TIMES:

"Blair war bestrebt, sich als Politiker darzustellen, der sich beträchtlichen Schwierigkeiten gegenüber sieht, Schwierigkeiten, die nur mit entschiedener Führerschaft gelöst werden können. Tatsächlich befindet er sich in einer wesentlich weniger schwierigen Lage, als er annehmen könnte, und sein übertriebenes Selbstporträt der Verletzlichkeit zeigt seine Stärke. Die Labour-Partei hat, wie dieser Parteitag gezeigt hat, einiges an diesem Premierminister zu beanstanden, aber zieht es vor, mit ihm an der Macht zu bleiben."

BERLINGSKE TIDENDE aus Dänemark war der Ansicht:

"Während der gesamten dramatischen Ereignisse vor, während und nach dem Krieg im Irak ist Großbritanniens Premierminister Tony Blair der politische Führer gewesen, der am klarsten, ehrlichsten und überzeugendsten dafür argumentiert hat, dass die Entfernung von Saddam Hussein notwendig war. Um so paradoxer ist, dass ausgerechnet Blair der westliche Politiker ist, der nach dem Krieg am teuersten für die Debatte um Massenvernichtungswaffen und die Grundlagen für die militärische Aktion im Frühjahr bezahlt hat. Aber vielleicht kann er die Volksstimmung bei den Briten wenden. Seine Rede auf dem Labour-Kongress in Bournemouth war jedenfalls ein beeindruckendes Beispiel, wie klar man kommunizieren kann, wenn man an den eigenen Prinzipien festhält."

Und EL MUNDO aus Madrid resümierte:

"Blair weiß, dass sein Kopf und sein Amt nicht unmittelbar in Gefahr sind. Aber sein Spiel birgt auch Risiken. Kein Politiker ist immun dagegen, bei jedem Auftreten in der Öffentlichkeit als Lügner tituliert zu werden. Diejenigen, die jetzt auf ihn zeigen, können die Sieger von morgen sein. Mittelfristig setzt Blair darauf, dass die Lage im Irak nicht in einer Katastrophe endet und die Wirtschaft, der es nicht besonders schlecht geht, sich weiter erholt. Im Augenblick überlebt er. Aber er hat das Spiel noch längst nicht gewonnen."

Themenwechsel: Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT kommentierte das Zusammengehen von Air France und KLM:

"Es erschien unvermeidlich, dass die KLM ihre Selbstständigkeit aufgeben musste. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wie lange die Gesellschaft, die Verluste einfliegt, ihre Marktposition unabhängig hätte halten können. Wegen der Interessen, die auf dem Spiel stehen, hat sich die Regierung in Den Haag zu Recht in die Verhandlungen eingeschaltet. Dadurch wurden Garantien für die Position der KLM und des Flughafens Schiphol erreicht. Damit ist es keine Übernahme ohne Risiko geworden. Kulturunterschiede können durch Vereinbarungen nicht aus der Welt geschafft werden. Sie können immer noch zu Reibereien in der Leitung des gemeinsamen Unternehmens führen. Dann muss sich zeigen, ob die KLM ihre Interessen durchsetzen kann."

ALGEMEEN DAGBLAD, ebenfalls aus den Niederlanden, wagte folgende Prognose:

"Der Protektionismus auf dem Gebiet der Landerechte wird in Europa in Kürze vorbei sein. Der Begriff 'nationale Fluggesellschaft' wird verschwinden, und der Luftverkehr wird sich grundlegend verändern und härter werden. Für die KLM gilt das Szenario der untergegangenen Swissair, die in Europa krampfhaft Aktivitäten aller Art entwickelte, als abschreckendes Beispiel. Zwar geht es der KLM viel besser, aber die Vermögenslage verschlechtert sich stark. Der Anschluss an die gut laufende Air France scheint denn auch unvermeidlich zu sein. Beide können sich im Markt die Bälle zuspielen und zusammen Kosten sparen. Allerdings muss der niederländische Staat aufpassen, dass die Vereinbarungen über Landerechte für KLM und über die Position des Flughafens Schiphol auch eingehalten werden."

Und die in Paris erscheinende LE MONDE meinte:

"Die Wette ist nicht gewonnen. Air France wird sich gleichzeitig in der Schusslinie des ständigen Rivalen British Airways, der Lufthansa und der amerikanischen Gesellschaften wiederfinden. Was die Europäische Kommission betrifft, wird sie der Ehe zustimmen und gleichzeitig mit den Vereinigten Staaten die ersten Verhandlungen zur Liberalisierung des Luftverkehrs zwischen den beiden Seiten des Atlantiks aufnehmen müssen. Wird sie zeigen können, dass sie gleichzeitig die Prinzipien des Wettbewerbs und die Interessen der großen europäischen Luftlinien verteidigen kann?"

Noch einmal Themenwechsel: Angesichts des Strom-Blackouts in fast ganz Italien hieß es in LA STAMPA aus Turin:

"Es ist unglaublich, dass ein kleiner Unfall in einem Augenblick in Italien das Licht ausgehen lässt. Und es ist völlig unerträglich, dass ein Tag nicht ausreicht, um das Licht wieder anzumachen. Es ist auch eine derart starke Abhängigkeit von ausländischen Stromlieferungen nicht zu vertreten. Ganz Italien sieht sich mit den Folgen von 30 Jahren verfehlter Energiepolitik konfrontiert."

Nach Ansicht der französischen Wirtschaftszeitung LES ECHOS müssen drei Lehren aus dem Stromausfall gezogen werden:

"Erstens, dass Fortschritt, welcher Art auch immer, niemals gleichbedeutend mit 'Null Risiko' ist. Die zweite Lehre ist, dass in unseren vernetzten Wirtschaften selbst ein kleiner Unfall durch einen mittlerweile klassischen Domino-Effekt zu einer regelrechten Katastrophe führen kann. Drittens schließlich muss man feststellen, dass die Wissenschaft das Riskiko zwar nicht gänzlich ausschalten kann, dass dieses jedoch durch erhebliche Investitionen vermindert werden kann. Der Aufbau, der Unterhalt und die Modernisierung der Stromnetze erfordern enorme Mittel - genau wie die Produktion von Elektrizität. Der Staat, dessen finanzielle Schwierigkeiten bekannt sind, kann dafür nicht alleine aufkommen.'

Und auch der TAGESANZEIGER aus Zürich führte aus:

"Sicher sind aber zwei Dinge: Erstens macht das europäische Verbundnetz erst möglich, dass Strom immer dann verfügbar ist, wenn er gebraucht wird. Die Länder helfen sich aus, und Italien beispielsweise könnte ohne ausländische Lieferungen gar nicht funktionieren. Unsere Nachbarn importieren fast ein Fünftel ihres Stroms. Je länger aber die Distanzen sind, über die der Strom von der Erzeugung bis zum Verbrauch transportiert wird, desto anfälliger ist er für Pannen. Und zweitens lehrt uns die Kette von Ereignissen, dass es auch bei uns keine hundertprozentige Versorgungssicherheit gibt und ein Totalausfall wie in New York durchaus möglich ist. Wer dies wie Grossbritanniens Energieminister noch im August in Abrede stellte, hätte im Nachhinein wohl lieber geschwiegen."