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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel12. Juli 2003

Die Beziehungskrise zwischen Berlin und Rom / Die Führungskrise der IG-Metall / Die pesönliche Krise des Michel Friedman

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Im Mittelpunkt des Interesses europäischer Kommentatoren standen in dieser Woche die anhaltenden Verstimmungen in den deutsch-italienischen Beziehungen. Nachdem der italienische Tourismus-Staatssekretär Stefano Stefani erst sehr spät politische Konsequenzen daraus zog, dass er deutsche Urlauber als supernationalistische, lärmende Strandbesetzer beschimpft hatte, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen geplanten Italien-Urlaub ab.

Die italienische Tageszeitung IL MESSAGGERO kommentierte diese Entscheidung so:

"Mit der Ankündigung Schröders, auf seine italienischen Ferien zu verzichten, ist der Frost in den Beziehungen zwischen Rom und Berlin zurück gekehrt. Ein Fels legt sich auf den Weg unserer unserer sechsmonatigen EU-Präsidentschaft. (...) Die neue Kältewelle zwischen Rom und Berlin lässt keine ruhigen Szenarien erwarten."

Der in London erscheinende GUARDIAN stellte fest:

"Die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien, zwei Hauptakteuren der Europäischen Union, sind auf den tiefsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg gesunken. (...) Der Erfolg der sechsmonatigen italienischen EU-Präsidentschaft hängt wesentlich vom guten Willen Deutschlands ab. Bei deutschen Wählern, die die italienischen Beleidigungen durchaus persönlich nehmen, wird Schröders Entscheidung gut ankommen."

"Ein italienischer Staatssekretär beleidigt zehn Millionen Deutsche" wunderte sich der Kommentator der russischen Tageszeitung ISWESTIJA und schrieb:

"Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche sind die Bürger mit dem nordischen Charakter von den emotionalen und ungezügelten Italienern heimgesucht worden. Es fällt schwer, die Reihe verbaler Ausfälle der Südländer an die Adresse ihres nördlichen Verbündeten zu erklären. Aus der Ferne betrachtet, sieht es fast so aus, als handelten die Italiener im Auftrag der Amerikaner, die Berlin noch immer nicht das 'Nein' zum Irak-Krieg verziehen haben."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN aus Österreich bemerkten:

"In einem Umfeld, in dem Bauplätze mit Schweineblut verunreinigt werden, um sie untauglich für eine Moschee zu machen, in dem getrennte Buseingänge für Europäer und Nicht-EU-Ausländer gefordert werden, in dem Parkbänke und Regionalzüge den angeblich übel riechenden Einwanderern verweigert werden, in einem solchen Umfeld können die pauschalen Attacken auf die Deutschen nicht mehr sehr erregen. In Italien hat man sich schon daran gewöhnt, dass solche Sprüche auf unterstem Niveau aus einer nationalen Regierungspartei kommen. Europa dagegen scheint dies erst jetzt wahr- oder ernst zu nehmen."

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT machte sich Sorgen über den Zustand der Europäischen Union, Zitat:

"Besteht die ganze Integration nur aus einer dünnen Firnisschicht, unter der nach etwas Kratzen sofort die eingefahrenen Vorurteile zu Tage treten? Oder sind es die letzten Regungen von nationalem Chauvinismus, die sich umso stärker bemerkbar machen, je dichter wir durch die Einigung zusammenrücken? (...) Vielleicht ist es besser, den Urlaub abzusagen: Das verschafft dem Gemüt etwas Luft. Aber sonst können die Europäer nichts anderes tun als die Unterschiede zu akzeptieren, die das Wesen Europas ausmachen. Den Europäer an sich gibt es nicht und wird es auch nicht geben. Was bleibt, sind plumpe Deutschen, perfide Briten, prassende Dänen und tolpatschige Niederländer."

Auch die französische Zeitung LA LIBERTÉ DE L'EST aus Epinal in den Vogesen fragte beunruhigt:

"Sollte beleidigende Kritik Eingang in die diplomatischen Gepflogenheiten gefunden haben? Dabei glaubte man, dass dieses samtene Milieu vor dem Risiko solcher Ausrutscher gefeit sei. Nun hat man den Eindruck, dass der Berlusconi-Clan die bisherige Praxis auf den Kopf stellen will. (...) Ganz abgesehen von Äußerungen, die einen flagranten Mangel an politischer Reife offenbaren, muss man sich um die Zukunft Europas Sorge machen. Wenn die Intoleranz ein gemeinsamer Nenner auf diesem Kontinent wird, dann ist Berlusconi ohne Zweifel genau der richtige Präsident für die europäische Entzweiung."

Die in der Schweizer Hauptstadt Bern erscheinende Zeitung DER BUND konstatierte:

"Die Verunglimpfungen von Ministerpräsident Berlusconi und Staatssekretär Stefani sind in der Tat lächerlich (...). Aber sie zeigen gleichzeitig, wie wenig es auch nach 50 Jahren Frieden und europäischer Friedenspolitik braucht, um nationalistische Ressentiments wieder zu wecken. Wer hätte das gedacht."

Der Kommentator der österreichischen Zeitung DIE PRESSE aus Wien nahm´s mit Humor und schrieb:

"Wer noch irgendwelche Zweifel am historischen Wert der Europäischen Union hegt, der sollte in diesen Sommertagen endgültig bekehrt sein. Denn nun liegt der ultimative Gegenbeweis zu General Clausewitzs berühmter These vor: Nicht 'Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln', sondern Urlaub. So gesehen sollte Freude aufkommen, wenn sich europäische Politiker weigern, nach Österreich Ski fahren zu gehen, wie in der Sanktionen-Zeit der belgische Außenminister, oder nach Italien schwimmen zu gehen, wie eben jetzt Deutschlands Gerhard Schröder. Sublimierte Gewalt: Schnee und Strand statt Blut! Welch ein Fortschritt! Mit dem Einsatz von Urlaub als politisches Mittel kann Europa gut leben."

Ein weiteres Thema, das im Ausland beachtet wurde, ist die Führungskrise in der Industriegewerkschaft Metall. Auch dazu die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT:

"Die IG Metall, die mächtigste und größte Industriegewerkschaft der Welt, wird zerrissen von einer Identitäts- und Machtkrise. (...) In den letzten Tagen haben Hunderte ihre Mitgliedschaft gekündigt. Experten warnen, dass die Gewerkschaft für lange Zeit bedeutungslos werden könnte. In diesen Tagen kann man selbst in Gewerkschaftskreisen eine Feststellung hören: In England war es Margaret Thatcher, die die Gewerkschaften zerstörte, in Deutschland macht es die Gewerkschaft selbst."

Die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN aus Oslo kommentierte den Streit zwischen Gewerkschaftschef Klaus Zwickel und dessen Stellvertreter Jürgen Peters so:

"Der Streik in Ostdeutschland hat gezeigt, wie unterschiedlich die Interessen der Arbeitnehmer und der Gewerkschaftsmitglieder in Ost- und Westdeutschland sein können. Vor allem dies hat Peters nicht eingesehen - oder er wollte ganz einfach nicht verstehen, dass seine Forderungen nicht mit der deutschdeutschen Wirklichkeit übereinstimmen. Und so waren es nicht die Fabrikbesitzer, die den Streik zu Fall brachten, sondern die ostdeutschen Arbeitnehmer. Ihnen waren sichere Arbeitsplätze wichtiger als die 35-Stunden-Woche".

Zum Schluss ein Zitat aus der Wiener Zeitung DER STANDARD, der sich mit dem Fall Friedman befasste:

"Jetzt ist die Sache klar: Michel Friedman hat Drogen konsumiert und besessen, dafür hat er eine Strafe bekommen. Sein Rückzug aus den Ämtern als Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland und als Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses ist konsequent. (...) (Friedman) hat damit den Maßstab, den der als unnachgiebiger Fragesteller bekannte Journalist an andere anlegt, auch für sich benutzt. (...) (Nun) sollten sich auch all jene, die die Medienberichterstattung generell als antisemitische Kampagne bezeichnet haben, fragen, ob sie nicht übers Ziel hinausgeschossen sind. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, hat klar widersprochen: Nicht weil Friedman Jude ist, wurde sein Fall mit großem Interesse verfolgt, sondern weil er prominent ist und sich als moralische Instanz dargestellt hat. Aber auch in der Medienberichterstattung wurde ein Aspekt kaum beleuchtet, der den Fall Friedman erst ins Rollen gebracht hat: dass Frauen aus Osteuropa zur Prostitution gezwungen werden und Prominente sie diskret ordern können. Das ist der eigentliche Skandal."