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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel23. November 2002

NATO vor der Ost-Erweiterung / Bundesregierung im Popularitätstief

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Die Erweiterung der NATO um sieben mittel- und osteuropäische Staaten sowie das Popularitätstief der Bundesregierung waren in der vergangenen Woche herausragende Kommentarthemen der ausländischen Tagespresse.

Die US-Zeitung WASHINGTON POST betrachtete den NATO-Gipfel in Prag als ein historisches Ereignis:

"Nach der blutigen Revolution von 1989, als der Diktator Ceausescu und seine Frau hingerichtet wurden, hat kaum einer daran geglaubt, dass Rumänien bald eine funktionierende Demokratie werden würde. Ähnliches galt für das benachbarte Bulgarien, dessen Geheimpolizei Attentate in westeuropäischen Haupststädten inszenierte und verdächtigt wurde, die Ermordung des Papstes zu planen. Für die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland ging es ums nackte Überleben. Dass all diesen Ländern zusammen mit der Slowakei und Slowenien die Aufnahme in die NATO angeboten wird, ist so etwas wie ein Wunder und ein Grund zum Feiern."

Auch die österreichische Zeitung DER STANDARD stellte erstaunt fest:

"Dass der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow heute gleichmütig kommentiert, was in Prag vor sich gehe, sei 'nicht unsere Angelegenheit', das ist doch eine leise Sensation und ein deutliches Zeichen dafür, wie schnell sich die Zeiten ändern können."

Die litauische Tageszeitung LIETUVOS RYTAS aus Vilnius befasste sich mit dem wirtschaftlichen Aspekt der Erweiterung:

"Die NATO verspricht nicht nur Sicherheitsgarantien. Vielleicht noch wichtiger ist, dass sich mit der NATO-Mitgliedschaft neue Möglichkeiten im Wirtschaftsbereich ergeben. Als Polen der NATO beitrat, verdoppelten sich dort die ausländischen Investitionen. Auf solch einen Zuwachs westlicher Investitionen, vielleicht gar noch größer, darf jetzt auch Litauen ganz realistisch hoffen. (...) Die NATO-Einladung ist ein Signal für westliche Betriebe, dass man in Litauen sicher investieren kann."

Dagegen beurteilte die auflagenstärkste bulgarische Tageszeitung TRUD die Lage des eigenen Landes skeptisch:

"Die Einladung ist ein historisches Entgegenkommen, aber die Schwierigkeiten für Bulgarien kommen erst noch. Denn könnte ein Staat zum Vollmitglied der atlantischen Familie werden, in dem am Vortag ein Baby verhungert ist? In dem ein Sechstel der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeitslos ist, die Krankenhäuser bankrott sind und Tausende von Kindern nicht zur Schule gehen? Und in dem die Streitigkeiten und Gegensätze zwischen den Institutionen nur vorübergehend für (den NATO-Gipfel in) Prag eingestellt wurden?"

Als weitgehend sinnlos sah die Moskauer Tageszeitung ISWESTIJA die NATO-Erweiterung an:

" (Sie) bringt dem Block weder mehr wirtschaftliche Macht noch größeren internationalen Einfluss. Selbst in der NATO-Zentrale in Brüssel wird anerkannt, dass zum Beispiel die Aufnahme der drei baltischen Staaten eher eine politische als eine militärstrategische Bedeutung hat. (...) Seit dem Verlust des Gegners, des 1991 aufgelösten Warschauer Paktes, hat die Allianz ihren Sinn weitgehend verloren. Trotzdem wird nach einem neuen Gegner oder Sinn gesucht."

Der Schweizer TAGES-ANZEIGER zog ein nüchternes Resumee:

"An Pathos hat es am Nato-Gipfel in Prag nicht gefehlt. Deutlich war der Stolz der bisherigen Mitglieder zu spüren, die Allianz auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ausgedehnt zu haben. Groß war auch die Genugtuung der neuen Partner, endlich in das Sicherheitsbündnis aufgenommen zu werden. Der Versuch, den Geist der geeinten und starken Nato wiederzubeleben, ist dennoch gründlich gescheitert. (...) Auch ist kaum zu erwarten, dass für eine Nato-Aktion außerhalb des Bündnisgebiets unter den neuen 26 Mitgliedern ein einstimmiger Beschluss je rasch zu Stande kommt. Schon heute ist die Nato in dieser Frage blockiert. Das wissen auch die USA. Deshalb haben sie ihre Anfrage nach einem militärischen Beitrag für einen allfälligen Krieg gegen den Irak auch nicht in die Allianz eingebracht, sondern einzeln an rund 50 Staaten gerichtet."

Die britische Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES kommentierte die derzeitige politische Situation in Deutschland:

"Über Jahrzehnte hat Deutschland ökonomische und politische Ideen exportiert. Die soziale Marktwirtschaft wurde weltweit bewundert und kopiert. Das bleibt heute noch weitgehend so. Aber die gegenwärtige Wirtschaftskrise geht so tief, dass Deutschland jetzt die 'englische Krankheit' importiert. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Grünen die notwendigen - mutigen - Schritte ergreifen werden. Seine Regierung verdient dasselbe Schicksal wie einst die konservative britische Regierung unter John Major."

Die belgische Zeitung DE MORGEN beschäftigte sich mit dem Vorwurf der Opposition, die Bundesregierung habe die Wähler betrogen:

"Jeden Tag kommen neue Unheilsbotschaften aus der Wirtschaft und wird das Loch im Haushalt größer. Viele Schröder-Wähler fühlen sich in der Tat betrogen, auch wenn der Kanzler nie behauptet hat, in aller Schnelle Wunder vollbringen zu können. Es ist aber verrückt, dass sich nun Schlag auf Schlag in verschiedenen Budgets, etwa bei den Renten und den Krankenkassen, Milliardenlöcher auftun. Es ist schwer zu verkaufen, dass man davon vor dem 22. September nichts gewusst habe. So kann die Vermutung aufkommen, dass der wahre Umfang der wirtschaftlichen Krise in Deutschland von Rot-Grün in den Wahlkampf 'nicht mitgenommen' wurde. So wie man auch die Vermutung haben kann, dass die SPD und die Grünen dafür (bei den Landtagswahlen) in Hessen und Niedersachsen die Quittung präsentiert bekommen werden."

Das österreichische Massenblatt KURIER stellte fest:

"Wer Schröder geglaubt hatte und ihn wählte, muss sich heute für dumm verkauft fühlen. Die rot-grüne Koalition schnalzt den Deutschen ein Belastungspaket nach dem anderen hinauf, sodass deutsche Medien bereits den Vergleich mit Reichskanzler Heinrich Brüning ziehen. Ein solcher Vergleich ist sicher grob übertrieben und daher unseriös, aber was Schröder der deutschen Wirtschaft und den Konsumenten antut, beweist völliges wirtschaftliches Unverständnis."