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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

19. November 2001

Thema: Vertrauensabstimmung im Bundestag

https://p.dw.com/p/1O50

Die Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die dazu notwendige Entscheidung des deutschen Bundestages finden bei den ausländischen Tageszeitungen breite Beachtung in dieser Woche. Insbesondere auch deshalb weil Bundeskanzler Gerhard Schröder die Abstimmung mit der Vertrauens-
frage verknüpft hat.


Das österreichische Massenblatt KURIER resümiert:

Deutschland bleibt ein (relativ) verlässlicher Bündnispartner, die Agonie der Grünen bleibt aufrecht und mit ihr die der Koalition. Gerhard Schröder bleibt Kanzler. Ob die Union so hilflos bleibt wie bisher, ist wieder offen. Das ist das komplexe Ergebnis einer eher unrühmlichen Stunde deutscher Demokratie. Mit knappster Mehrheit steht Deutschland nun mehr am Rand als in der Mitte der Anti-Terror-Koalition. Das hatte schon besser ausgesehen - es gab Vorschusslorbeeren aus dem In- und Ausland für die 'uneingeschränkte
Solidarität' und Bündnistreue. Aber besser spät verlässlich als gar nicht.

Die liberale dänische Tageszeitung POLITIKEN ergänzt:

Deutschlands sozialdemokratischer Kanzler Gerhard Schröder wurde unmittelbar zum großen Gewinner der Vertrauensabstimmung im deutschen Bundestag (...). Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg werden
deutsche Truppen außerhalb Europas operieren. Deshalb hat die Entscheidung große symbolische Bedeutung in einem Deutschland, das sich Schritt für Schritt von seiner belastenden Vergangenheit löst. (...) Andererseits kann man sich nur schwer vorstellen, dass Schröders jetzige Regierung ein langes und glückliches Leben beschieden sein wird.

Die niederländische sozialdemokratisch orientierte VOLKSKRANT stellt fest:

Das Hin und Her dieser Woche hat Deutschland eher geschadet. Es wurde deutlich, dass Schröder weit vor seinen eigenen Truppen läuft. Er will für Deutschland eine Bereitschaft für Interventionen erreichen, die in Frankreich und Großbritannien selbstverständlich ist. Seine Partei und vor allem die Grünen wollen aber überhaupt keinen Krieg führen. (...) Die rot-grüne Koalition ist durch die Erniedrigung der Grünen, die ihnen Schröder zugefügt hat, schwer
beschädigt. Für den Kanzler sind die Grünen noch immer der bequemste Partner, weil sie ihm Raum lassen und so gern regieren, dass sie fast alles schlucken. Aber wie lange kann das noch gut gehen?

Den innenpolitischen Aspekt hebt auch die in Rom erscheinende LA REPUBLIKA hervor:

Gerhard Schröder hat die bisher gefährlichste und schwerste Krise der rot-grünen Koalition überstanden, indem er die Gegner der militärischen Intervention herausgefordert hat. Die großen Verlierer sind auf der einen Seite die traditionalistische Szene der deutschen Linken, die heute vor allem vom ultra-pazifistischen Flügel der Grünen repräsentiert wird, und auf der anderen Seite die Opposition. Die CDU/CSU von Angela Merkel, die das vom Kanzler verlangte Vertrauen weder geben konnte noch wollte, musste auch gegen die Solidarität mit Bushs Amerika stimmen.


Für die tschechische Tageszeitung DNES ist die Zeit der rot-grünen
Koalition in Berlin abgelaufen.

Es darf nämlich bezweifelt werden, ob die Grünen aus der
drakonischen Erziehungsmaßnahme des Bundeskanzlers etwas lernen. Geradezu naiv wäre es, sich darauf zu verlassen, dass die Grünen eine grundlegende Sache wirklich verstanden haben: Man kann nicht in einer Koalition sein und gleichzeitig in der Opposition.

Die britische FINACIAL TIMES stellt klar:

Deutschland muss eine 'normale' Militärmacht werden, wenn es eine größere Rolle in der Weltpolitik übernehmen will. Eine Koalition, deren Mitglieder in einer so fundamentalen Frage verschiedener Meinung sind, ist nichts anderes als ein Schwindel. Schröder braucht während einer internaionalen Krise und bei drohender Rezession Stabilität in seinem Land.

Mit den künftigen taktischen Möglichkeiten des Bundeskanzlers beschäftigt sich schließlich die italienische Zeitung LA STAMPA: Der entscheidende Mann in der ganzen Sache heißt Westerwelle. Die Gespräche zwischen ihm und dem Kanzler sind in der letzten Zeit immer dichter geworden. Wenn auch die Hypothese einer SPD-FDP-Koalition
derzeit nicht besonders wahrscheinlich erscheint, so haben sich die Liberalen doch stets als sehr solider Partner erwiesen. (...) Aber auch bei den Wählern der linken Mitte würde eine Verbindung mit den Liberalen, nach den Erfahrungen mit Rot-Grün, als eine mehr als
natürliche Entwicklung angesehen werden.