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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Thomas Grimmer 18. November 2006

Ségolène Royal kandidiert in Frankreich / Blairs neue Linie in der Nahost-Politik

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Die Kür von Ségolène Royal zur Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialisten und die Kehrtwende des britischen Premierministers Tony Blair in der Nahostpolitik standen in dieser Woche im Mittelpunkt der internationalen Pressekommentare.

Zunächst zu Ségolène Royal, der ersten Frau mit realistischen Chancen, Präsidentin in Frankreich zu werden. Die schwedische Tageszeitung DAGENS NYHETER aus Stockholm vergleicht die Nominierung Royals mit der Wahl der deutschen Bundeskanzlerin:

"Ségolène Royal ist auf dieselbe Weise historisch wie Angela Merkel, als sie letztes Jahr für das Amt der Bundeskanzlerin antrat. (...) Im Unterschied zu Merkel benutzt Royal die Tatsache, dass sie ein Frau ist, als politisches Argument."

Die Tageszeitung KOMMERSANT aus Moskau versucht, die Position Royals im politischen Meinungsspektrum zu verorten: "Ségolène Royal ist nicht klassisch links, man nennt sie eine Realistin. (...) Von allen sozialistischen Kandidaten hat nur Royal es sich erlaubt, die Weisheit der 35-Stunden-Woche anzuzweifeln, die von links erdacht und von rechts kritisiert wurde. Sie gilt als linksliberal. Erstaunlich, dass ausgerechnet diese Mischung bei den linken Franzosen am meisten gezogen hat. Entweder ändert Frankreich sich oder die Linke."

Die Pariser Zeitung LIBÉRATION meint zu den Vorzügen der Kandidatin:

"Endlich ist eine Frau in der Position, die Präsidentenwahl zu gewinnen! Das Datum ist historisch und das Verdienst kommt den Sozialisten zu. (...) Ségolène Royal ist für Innenminister Nicolas Sarkozy am schwersten zu schlagen. (...) Man kann gut verstehen, dass er sich lieber einen klassischen Gegner gewünscht hätte."

Dass dann der Wahlkampf aber viel langweiliger geworden wäre, meint der Londoner GUARDIAN:

"Ségo gegen Sarko - das dürfte eines der größten politischen Spektakel werden, das Frankreich seit vielen Jahren zu sehen bekommt. Der Erfolg von Ségolène Royal in der parteiinternen Vorauswahl der Sozialisten gibt ihr eine solide Basis, von der sie ihren wahrscheinlichsten Gegner bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr, Nicolas Sarkozy von der rechtszentristischen UMP, herausfordern kann. Ihre telegene Anziehungskraft (...) war wichtiger als die Tatsache, dass es ihr im Vergleich zu den beiden männlichen Rivalen Dominique Strauss-Kahn und Laurent Fabius an politischer Erfahrung fehlt."

Die Pariser Tageszeitung LE FIGARO bezweifelt, dass das Rennen um das Präsidentenamt mit der Kür Royals schon gelaufen sei.

"Wenn das Lächeln und die Posen langweilig zu werden beginnen, dann werden die Freunde und Verbündeten der Ségolène Royal von ihr eine Bilanz und politische Zeichen verlangen. (...) Ihre bereits verschwommene politische Linie wird zerbröseln und der Siegeszug ins Stocken geraten. Das wird Zeit brauchen, aber doch kommen."

Themenwechsel: Der britische Premier Tony Blair hat in dieser Woche in einer vielbeachteten Rede für eine Neuorientierung der Nahostpolitik seines Landes plädiert.

Dazu heißt es in der Pariser Tageszeitung LE MONDE:

"Die neue politische Lage in Washington kann Blair die Chance eröffnen, erstmals auf die amerikanische Haltung einzuwirken. Auch wenn er es nicht offen zugibt, weil es einer Selbstkritik gleichkäme: Blair teilt die Zweifel der Mehrheit der Amerikaner an der Irakstrategie. Er würde gerne aus diesem Wespennest herausfinden und wäre bereit, Kontakte mit Syrien und dem Iran zu knüpfen, um Wege zur Stabilisierung der Lage zu finden."

Der Schweizer TAGES-ANZEIGER aus Genf stellt die Glaubwürdigkeit Blairs in Frage: "Der empfohlene 'Friedensdialog' mit Damaskus und Teheran wirft so viele Fragen auf, wie er zu lösen hofft. Bisher hat sich noch keine Seite zu sehr viel Dialog herbei gelassen. (...) Ganz abgesehen davon, dass Blair seinen einst guten Namen bei allen Beteiligten weitgehend verspielt hat. Wie anders wäre jetzt die Situation, wenn sich Blair damals, als es darauf ankam, Bush widersetzt, wenn er auf einer politischen statt einer militärischen Lösung für den Irak beharrt hätte! (...) Stattdessen hat ihn die fatalste Entscheidung seiner Amtszeit um allen Kredit - und um längeren Verbleib in Downing Street - gebracht. Zum baldigen Abzug verurteilt, fehlt es Blair an der Zeit, die eine diplomatische Lösung bräuchte."

Das LUXEMBURGER WORT fragt sich, wie Blairs Vorschläge wohl in der US-Hauptstadt Washington aufgenommen werden:

"Blairs Werben gegenüber der von George W. Bush so heftig gegeißelten Achse des Bösen, insbesondere seine Großzügigkeit gegenüber dem Iran, wird man in Washington wohl nicht mit Applaus für den einst in jeder Hinsicht zuverlässigen Kriegsalliierten bedacht haben. Obwohl auch in der US- Hauptstadt die Erkenntnis mittlerweile gereift sein sollte, dass mit Drohung und Gewalt im Nahen Osten kein Staat zu machen ist."

Dass sich diese Einsicht wirklich bei allen in Washington durchgesetzt habe, bezweifelt die FINANCIAL TIMES aus London:

"Hat irgendjemand es schon dem Präsidenten gesagt? In Washington hört man, dass jetzt die Erwachsenen das Ruder übernommen haben. Es geht um die Bedingungen und den Zeitrahmen für eine Entflechtung der USA vom Irak. Das ist die höfliche Ausdrucksweise für Rückzug. Die Sache hat allerdings einen Haken. Wie zu hören ist, akzeptiert George W. Bush diese grundlegende Position nicht. Der Oberkommandierende denkt immer noch, der Krieg könne gewonnen werden."