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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Christian Walz27. Mai 2006

China-Besuch von Bundeskanzlerin Merkel / Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro

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Im Blickpunkt der ausländischen Zeitungen stand in dieser Woche das Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro. Gut 55 Prozent der Wähler hatten sich dafür ausgesprochen, dass sich die kleine Balkan-Republik aus dem Staatenbund mit Serbien löst. Zunächst jedoch einige Pressestimmen, die sich mit dem Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in China befassten:

Die SHANGHAI EVENING POST ist der Ansicht:

"Im Vergleich zu ihrem Vorgänger Schröder hinterlässt die deutsche Kanzlerin einen frischeren Eindruck, obwohl sie auch etwas Rätselhaftes hat. Angela Merkel erscheint den Chinesen geheimnisvoll, und sie möchten mehr über sie erfahren. Ihr Stil ist wohlüberlegt, besonnen und nicht prahlerisch. Auch wenn die deutsch-chinesischen Beziehungen durch die neue Regierung in Berlin eine Anpassung erfahren, wird sich an der allgemeinen Haltung Deutschlands zu China jedoch nicht viel ändern."

Die chinesische Hauptstadt-Zeitung BEIJING TIMES zog Bilanz:

"Der erste China-Besuch verlief sehr erfolgreich für Kanzlerin Merkel. Allerdings kann man natürlich nicht erwarten, dass bei einem Besuch alle Probleme, die zwischen den beiden Ländern bestehen, gelöst werden. Dazu gehört vor allem der 'Schutz des geistigen Eigentums', der Deutschland sehr wichtig ist."

Auch in Russland war die China-Reise der Kanzlerin Thema. Das Blatt NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau notierte:

"Merkel trat in China als ausgeglichene Politikerin auf, die eine andere Strategie verfolgt als ihr Vorgänger Schröder. Davon zeugen ihre harte Position hinsichtlich des EU-Waffenembargos und die Entscheidung, innenpolitische Themen wie die Einhaltung der Menschenrechte anzusprechen. Sie demonstrierte eine Politik der sanften Annäherung."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN aus Österreich kommentierten:

"Der Mut zu kritischen Tönen sollte die chinesischen Gastgeber nicht vor den Kopf stoßen. Bundeskanzlerin Merkel war sich ihrer Rolle als Chefverkäuferin der deutschen Wirtschaft durchaus bewusst. Aber sie hat sich bei diesem Spagat nicht verbiegen lassen. Frau Merkel führt vor, dass das Festhalten an den eigenen moralischen Maßstäben letztlich die bessere Realpolitik ist. Ihr China-Besuch illustriert, dass dieses Land für die Welt immer wichtiger wird. Zugleich zeigt sich, dass die China-Euphorie allmählich abklingt und einem realistischeren China-Bild Platz macht: Das Land der großen wirtschaftlichen Verlockungen hat auch große innere Probleme."

Die Zeitung EESTI PÄEVALEHT aus Tallinn beschäftigte sich ebenfalls mit der Entwicklung der Volksrepublik:

"China ist inzwischen zur viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen. Das 1,3-Milliarden-Volk hat große Ambitionen. Bis 2020 will China zur Gruppe der Industriestaaten vorstoßen. In den nächsten Jahren sollen 24.000 Kilometer Schnellstraße entstehen. Und zusätzlich zu den neun bestehenden Atomkraftwerken werden 21 neue Reaktoren gebaut. Zudem sollen 80 Flughäfen erweitert oder neu gebaut werden. In jedem Fall zwingt die Entwicklung China zu einer aktiveren Außenpolitik."


Themenwechsel. Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA analysierte den endgültigen Zerfall Jugoslawiens, nachdem sich die Bürger Montenegros in einem Referendum für die Unabhängigkeit ihres Landes entschieden hatten:

"Serbien und Montenegro gehen den langen und komplizierten Weg der Annäherung an Europa von nun an getrennt. Und es ist wahrscheinlich, dass Podgorica dabei schneller vorankommt als Belgrad. Ein so kleines Land wie Montenegro mit kaum 650.000 Einwohnern scheint für Brüssel sehr viel leichter verdaubar zu sein. Serbien muss sich hingegen erst einmal um die immer noch nicht erfolgte Festnahme des als Kriegsverbrecher gesuchten Generals Ratko Mladic kümmern - eine Frage, die derzeit der Aufnahme Serbiens in die EU entgegensteht."

"Auf ein unabhängiges Montenegro hat eigentlich kaum jemand gewartet", betonte das niederländische Blatt DE VOLKSKRANT:

"Das Land ist zu klein und hat zu wenig ökonomische Kraft, um selbstständig eine tragfähige Existenz aufbauen zu können. Die serbische Minderheit in der Bevölkerung des Landes hätte lieber den gemeinsamen Staat mit Serbien beibehalten. Auf dem Balkan entsteht somit ein neues Treibhauspflänzchen, das in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht umständliche Betreuung durch die internationale Gemeinschaft benötigt. Aber wie in einer Ehe hat es keinen Sinn, eine Verbindung gezwungenermaßen aufrecht zu erhalten, wenn einer der Partner den tiefen Wunsch hat, alleine weiter zu machen."

Die britische Zeitung THE INDEPENDENT schrieb:

"Es gab Zeiten, als es solche Unabhängigkeitserklärungen einfach nicht gab, Grenzen waren heilig, vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands haben alles verändert. Es war eine Inspiration. Die vielen kleinen Staaten, die sich in Europa seit der Wiedervereinigung Deutschlands formiert haben, sind produktiv, wohlhabend und nehmen ihre Verantwortung ernst. Vielleicht ist die neue Landkarte Europas ein Beispiel für Afrika oder Asien, wo sich künstlich gezogene Grenzen nicht mit der ethnischen Zusammensetzung in manchen Ländern vereinbaren lassen."

Auch die Tageszeitung KOMMERSANT aus Moskau befasste sich mit dem Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro:

"In Europa geht das Gespenst der Spaltung um. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erleben wir nun eine zweite Welle der 'Souveränitätsparaden'. Der Prozess gewinnt an Fahrt. Als nächstes dürfte die Unabhängigkeit des Kosovo anstehen, was wiederum die Abspaltungstendenzen anderswo anfachen könnte. Wer kommt als nächstes dran? Bosnien und Herzegowina, die serbische Provinz Vojvodina und dann die albanischen Gebiete Mazedoniens? Auch Süd-Ossetien, Abchasien, die Dnestr-Republik und Bergkarabach könnten sich ein Beispiel nehmen. Dann fehlten nur noch die Korsen in Frankreich und die Kurden in der Türkei."