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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Siegfried Scheithauer29. April 2006

Merkel trifft Putin in Tomsk - Debatte um Energieversorgung / Iran bleibt hart - Atomstreit mit UN eskaliert

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Ob Atom, ob Gas oder Öl, Energiepolitik kann explosive Weltpolitik sein, wie auch die Kommentare der internationalen Presse dieser Woche zeigen.

Eines der wichtigen Themen der Leitartikler war der Besuch von Kanzlerin Angela Merkel bei Kremlchef Wladimir Putin im sibirischen Tomsk. Besonders beleuchtet wurde dabei der Streit um die russischen Energielieferungen nach Europa.

Die spanische Tageszeitung EL PAÌS zeichnet ein widersprüchliches Bild der deutsch-russischen Regierungskonsultationen:

"Alle Europäer sollten im eigenen Interesse wünschen, dass Russland und Deutschland, die beiden historisch großen Mächte, gute bilaterale Beziehungen haben. Die Konflikte zwischen diesen beiden Giganten haben im europäischen und sogar weltweiten Konzert für alle (...) immer zu Katastrophen geführt. Es kann aber nicht verwundern, dass es auch vielen Angst macht, wenn sich diese beiden Länder übermäßig gut verstehen. Denn allzu oft haben ihre Abkommen darauf basiert, die Interessen der Nachbarn zu ignorieren oder zu überfahren."

Das Moskauer Blatt ISWESTIJA meint:

"Den von vielen erwarteten Durchbruch in den russisch-deutschen Beziehungen hat es nicht gegeben. (...) Und das, obwohl Russland der deutschen Wirtschaft einen großen Schritt entgegengekommen ist. Der Zugang für russische Unternehmen zu den bislang fast völlig verschlossenen europäischen Märkten ist nicht leichter geworden."

Die NEW YORK TIMES sieht es ganz anders:

"Gazprom und eine Energiehandelstochter des deutschen Chemiekonzerns BASF unterzeichneten ein bedeutendes Gasabkommen, das die Expansion des russischen Monopolisten auf den europäischen Absatzmarkt weiter vorantreibt. Das Abkommen war das jüngste in einem Stakkato geschäftlicher Vorstöße von Gazprom in Europa. (...) Die gesetzten Akquisitionsziele umfassen den gesamten Kontinent mit Pipeline- Projekten im Norden ins baltische Meer und im Süden in die Türkei."

Die bulgarische Zeitung DNEWNIK beklagt, die Dominanz von Gazprom werde vor allem gegen die Ex-Sowjetrepubliken und die Balkan-Staaten machtpolitisch eingesetzt:

"Fast 17 Jahre nach dem offiziell erklärten Ende des Kalten Krieges geht das Gespenst einer neuen geopolitischen Spannung im alten Kontinent um. Dieses Mal heißt es nicht Kommunismus, sondern Energieunsicherheit, aber seine Herkunft ist die gleiche - der europäische Osten, in dem Russland weiter mächtige Einflusshebel in der Hand hält."

Demgegenüber überschreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz ihren Kommentar mit: "Leere russische Drohungen" und fährt fort:

"Wegen der relativ hohen Transportkosten macht es erstens ökonomisch keinen Sinn, Vorräte aus Westsibirien statt nach Europa nach Asien oder in die USA zu verschicken. (...) Zweitens liegt ebenso auf der Hand, dass ostsibirische Vorkommen dereinst nach Asien geliefert werden. Drittens spielt das auch keine Rolle, sofern es sich - wie beim Erdöl - um einigermaßen integrierte Märkte handelt, da dort der Preis vom weltweiten Angebot abhängig ist."


Neues Thema: Der Iran zeigt sich im Atomstreit unbeeindruckt von den Drohungen der internationalen Gemeinschaft. Die Führung in Teheran ließ die vom Weltsicherheitsrat gesetzte Frist zur Einstellung der Uran-Anreicherung verstreichen.

Die Londoner Tageszeitung THE GUARDIAN fasst noch einmal zusammen:

"Es geht nicht um einen Regierungswechsel oder um einen Kampf der Kulturen. (...) Wir müssen jetzt zurück zu der Idee, dass eine Abmachung mit dem Iran möglich ist, zumindest mit den Pragmatikern, die der Präsident ins Abseits gestellt hat. Die USA brauchen den Iran, um über das Chaos nebenan im Irak hinwegzukommen. Deshalb hilft es nichts, Teheran als diktatorisch und revolutionär zu denunzieren."

Auch DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden plädiert für eine vielseitige Diplomatie:

"Mit seiner unbeugsamen Haltung betreibt der Iran eine gefährliche Machtpolitik, die einen besonders offensiven Dreh bekommen hat durch die Anschaffung nordkoreanischer Raketen und die Drohung, die Atomtechnologie mit anderen Ländern zu teilen, zum Beispiel mit dem 'Schurkenkumpel' Sudan. Die aktive Eindämmung dieser Gefahr sollte Washington nicht davon abhalten, auch die Möglichkeit direkter Gespräche mit Teheran auszuloten."

Der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz analysiert:

"Im Streit um das iranische Atomprogramm sitzen Teheran und sein unverschämter Präsident Mahmud Ahmadinedschad am längeren Hebel. (...) Doch die Lage ist nicht ganz hoffnungslos. Wenn die Experten Recht haben, ist der Iran trotz aller Aufschneiderei seines Präsidenten immer noch fünf bis zehn Jahre vom Bau der Atombombe entfernt."

Der britische DAILY TELEGRAPH will weiter auf Sanktionen setzen:

"Trotz des hohen Ölpreises ist die Wirtschaft die Achillesferse des Irans. (...) Die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jungen, und die Inflation sind hoch. Die Auseinandersetzung hat bereits dazu geführt, dass Kapital aus dem Iran abgezogen und ausländische Investitionen blockiert wurden. Deshalb müssen Washington und seine Alliierten auf dem Weg über Sanktionen Druck auf ein Regime ausüben, dessen grelle nationalistische Töne in der Atomfrage nur der Deckmantel für eine korrupte und unfähige Regierung sind."

Auch das Pariser Blatt LE FIGARO hofft auf Widersprüche in der iranischen Gesellschaft:

"Die iranische Bevölkerung will das Atomprogramm, aber nicht den Krieg. Zutiefst nationalistisch, befürworten die Iraner in der Tat zwar mehrheitlich den Zugang ihrer islamischen Republik zur Nukleartechnologie. Hinter dem iranischen Stolz versteckt gibt es aber auch die Furcht davor, isoliert zu sein, falls es zu Sanktionen kommt, oder vor dem 'Rückgriff auf die Gewalt', um mit US- Außenministerin Condoleezza Rice zu sprechen."