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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Beatrice Hyder19. November 2005

Koalitionsvertrag / Neugewählte SPD-Führung

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Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, die SPD-Führungsspitze neu gewählt. Grund genug auch für die ausländische Presse, beide Ereignisse zu kommentieren.

Der niederländische DE VOLKSKRANT befasst sich mit dem, was an Wahlversprechen der CDU im neuen Vertrag noch übrig geblieben ist:

"Bei den Verhandlungen über das ausführliche Regierungsprogramm hat (Angela) Merkel erneut ein großes Maß an Flexibilität an den Tag gelegt. Eine Flexibilität, die an Opportunismus grenzt. Das gilt vor allem für das sozial-ökonomische Kapitel. Denn es ist sehr wenig übrig geblieben von den Reformen, die sie während des Wahlkampfes in Aussicht gestellt hat...Bei allen Zweifeln über die Weisheit einiger Pläne bietet Merkels Reformpolitik doch mehr Aussichten (für eine wirtschaftliche Schubkraft) als eine Fortsetzung von Schröders halbherzigem Regierungskurs."

Ganz anders sieht das die FINANCIAL TIMES:

"Noch vor drei Monaten wäre es undenkbar gewesen, dass Angela Merkel, die CDU-Führerin, es akzeptieren könnte, unter solchen Umständen zu regieren. Sie hatte im Wahlkampf niedrigere Steuern und Reformen des Arbeitsmarktes gefordert. Nachdem sie bei den Wahlen im September für ihr Programm keine Mehrheit bekam, hat sie nun einen Faustischen Pakt mit der SPD geschlossen. Als Gegenleistung für ihre Wahl zur Kanzlerin in der kommenden Woche hat sie ihre politische Seele verkauft."

Anders sieht das der britische INDEPENDENT:

"Die neue Kanzlerin war gerissen, als sie die Lasten so freimütig verteilt hat. Ähnlich wie Präsident Clinton in seiner ersten Amtszeit ist sie das politische Risiko eingegangen, Steuern zu erhöhen und setzt darauf, dass die Wirtschaft danach wieder stärker wird. Sie hat allerdings im Vergleich zu Clinton einen Vorteil, denn sie führt eine Koalition."

Auf deren baldiges Ende setzt dagegen die schwedische Zeitung DAGENS NYETER:

"In Deutschland: Hier scheint die Herzensangelegenheit beider Seiten darin zu bestehen, jeden Profilierungsversuch des Partners zu stoppen. Hoffentlich hält das Ganze nicht über die komplette Legislaturperiode von vier Jahren."

Der französische FIGARO sieht für Angela Merkel ein schweres Los:

"Die künftige Kanzlerin hat...eine Reihe von Kröten schlucken müssen, wie die 'Reichensteuer', die ebenso symbolisch wie wirtschaftlich unnütz ist. Außerdem hat sie keine Übereinkunft über die Atompolitik erzielt, deren langfristige Aufgabe in der vorhergehenden Wahlperiode beschlossen wurde. Was Angela Merkel nun erwartet, das ist ein permanenter Kampf mit ihren früheren und künftigen politischen Gegnern."

Auf den Punkt bringt es die österreichische Zeitung DIE PRESSE:

"Na, das kann ja heiter werden. Mit Fröhlichkeit und Leidenschaft möge die künftige deutsche Regierung zu Werke gehen, wünschte sich Angela Merkel, die neue Mater Germaniae, nach der mehr oder minder feierlichen Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung. ... So also hört sich das an, wenn eine Regierung, die eigentlich keiner der Beteiligten wollte, Aufbruchstimmung erzeugen will und sich selbst schön redet...Nicht der ersehnte Ruck geht durch Deutschland, sondern ein müdes Gähnen. Diese Koalition ist so aufregend wie Kamillentee."

Themenwechsel. Die SPD hat ihre Führungsmannschaft neu gewählt. Wie sich die Partei beziehungsweise die Parteien in der neuen Koalition behaupten, überlegt die ungarische Zeitung NEPSZABADSAG:

"... Eine allzu geschmiert laufende Zusammenarbeit kann die Parteien ihrer Orientierung und Werte berauben. Besonders die Sozialdemokraten, die ohnehin mit einer Identitätskrise kämpfen und ihren künftigen Weg suchen, könnte dies in eine schwierige Lage bringen. Für (die) Parteiführungen (von SPD und CDU/CSU) wird es keine geringe Herausforderung darstellen, wie sie neben dem gemeinsamen Regieren ihr eigenständiges Profil bewahren.

Der TAGESANZEIGER aus der Schweiz sieht die SPD "nur widerwillig an der Macht":

"Die Parteien haben sich den Tatsachen gestellt. Eine Ablehnung des Verhandlungsergebnisses hätte Neuwahlen zur Folge. Und das hieße letztlich, das Land fast ein Jahr lang führungslos zu lassen. Zudem steht nirgends geschrieben, dass Neuwahlen im Frühling 2006 ein eindeutigeres Resultat brächten...Die SPD hat dieser Versuchung widerstanden und zieht es vor, das schwierige Projekt einer großen Koalition zu wagen. Damit hat die Partei politische Reife bewiesen. Dass sie das auch noch freudig machen soll, wäre wohl zu viel erwartet."

Eine gewichtige Rolle über Wohl und Wehe der Partei wird ab sofort der neue Vorsitzende Platzeck spielen. Die BASLER ZEITUNG will sich zu dessen Erfolg oder Misserfolg nicht festlegen:

"Platzeck eilt der Ruf voraus, integrierend wirken und gegensätzliche Positionen zusammenführen zu können. Das ist genau das, was die Partei jetzt braucht. Denn die internen Reibungsflächen sind nicht kleiner geworden, im Gegenteil. In der Koalition mit der Union muss die SPD noch mehr Abweichungen von ihren Leitlinien hinnehmen als schon unter Schröder. Und der ist über den Konflikt gestrauchelt. Bald wird sich zeigen, ob Platzeck seinem Ruf gerecht wird. Leicht wird das nicht, die Partei zu modernisieren, ohne soziale Grundpositionen zu räumen."

Kritischer ist da schon der österreichische KURIER:

"So charismatisch Platzek 'seiner' Partei nun Erleichterung schafft, so inkonsequent ist auch er: Denn wie er sie auf den skandinavischen Weg führen will, verriet er nicht. Dazu müsste ein Ruck durch die SPD gehen wie 1959, als sie sich im 'Godesberger Programm' spät der Marktwirtschaft öffnete. Um den wird Platzeck nicht herumkommen, will er die SPD und mit ihr das Land schneller erneuern, als seine Genossen es derzeit noch zulassen."

Mit der Rolle des scheidenden Kanzlers und früheren SPD-Chefs Schröder in der SPD befasst sich abschließend der italienische CORRIERE DELLA SERA:

"Der Politiker Schröder, der zwar Wahlen gewinnen konnte, der es aber zu keinem Zeitpunkt geschafft hatte, das Herz der Partei zu erobern, beendet seine politische Laufbahn zwar mit einer Niederlage. Aber dennoch wird er von einer SPD geradezu angebetet, die durch ihn, und zwar ausschließlich durch ihn, ihren Stolz wiedergefunden hat, und die es durch ihn auch geschafft hat, die Macht in Berlin zu behalten, auch wenn sie diese jetzt teilen muss."