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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Walter Lausch 9. Juli 2005

Anschläge in London / G-8-Gipfel in Schottland

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Die beiden Themen der Woche sind auch die bevorzugten Themen der Kommentatoren der ausländischen Zeitungen, die Anschläge in London und der G-8-Gipfel in Schottland. Zum Terror in der britischen Hauptstadt schreibt die Pariser Zeitung LA CROIX:

"Dies ist ein Krieg, in dem die Waffen der Demokratien, seien sie technologisch auch noch so ausgefeilt, oft nichts ausrichten können - wenn auch im Laufe der Jahre Netzwerke abgebaut und Verbindungen aufgedeckt wurden und sich die internationale Kooperation verbessert hat. Keine Politik, und sei sie noch so restriktiv, kann gegen Fanatiker schützen, die zu allem bereit sind, auch zum Sterben. Den Staaten bleibt nur eines, gemeinsam Front zu machen. Dabei müssen sie aber vermeiden, den Terror mit einer bestimmten Religion oder Kultur in eine Zusammenhang zu stellen. Vor allem müssen sie Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten abbauen, die der Nährboden aller Extremisten sind."

Die römische Zeitung LA REPUBBLICA kritisiert die Geheimdienste:

"Die britischen Geheimdienste haben die Anschlagserie - die angeblich von Dutzenden Männern ausgeführt wurde - nicht vorhergesehen und nicht einmal vage im Voraus gespürt. Und das ist keine Hypothese. Trotz des G8-Gipfels in Gleneagles ist der Alarmzustand in London vor einem Monat von Stufe Drei auf Stufe Vier verringert worden. Eine verheerende Nachlässigkeit der britischen Geheimdienste. Vielleicht sogar schlimmer als die Kette von Fehlern, die von der CIA und dem FBI vor dem 11. September beklagt wurden und nicht weniger schlimm als die spanischen Patzer nach dem 11. März; denn die britischen Geheimdienste und Scotland Yard wussten, dass sie die Augen offen halten müssen. Offensichtlich haben sie ihre 'Sensoren' am falschen Ort installiert."

Die Londoner TIMES sieht einen Rückschlag im Kampf gegen El Kaida:

"Ein dringende Frage ist, ob die Terroristen in Großbritannien rekrutiert wurden oder aus dem Ausland über die Grenze gelangten. Beide Szenarios geben zur Sorge Anlass. Falls El Kaida oder eine der anderen formlosen Gruppierungen mit nihilistischer Ideologie es geschafft haben sollten, 'Schläfer' nach Großbritannien geschleust zu haben, wäre dies ein schwerer Rückschlag für die Sicherheitsdienste. Dies würde nahelegen, dass das weltweite Terrornetzwerk die Razzien, Tötungen und Festnahmen in Pakistan, dem Nahen Osten und Afghanistan besser überstanden hätte als angenommen."

Zur Reaktion des britischen Premierministers Tony Blair auf die Attentate in London meint die römische Zeitung "IL MESSAGGERO:

"Mit feuchten Augen, die Stimme voller Schmerz und Wut: Die Rede, die gestern live und nur wenige Stunden nach den Anschlägen von London aus Schottland im Fernsehen übertragen wurde, war vielleicht die schwerste und am wenigsten verführerische in der langen politischen Karriere des britischen Premierministers. Indem er ohne jede Form der Rhetorik auskam, hat Blair es geschafft, die richtigen Sätze für ein Land zu finden, das nach den Explosionen in seiner Hauptstadt tief erschüttert war. Eine kurze Rede, die von einem authentischen Staatsmann gehalten wurde und an die Botschaften erinnerte, die große Führer in den wichtigsten Momenten der britischen Vergangenheit an die Nation gerichtet hatten. So wählte Winston Churchill im Mai 1940 ähnliche Worte, als er erläuterte, was im Kampf gegen den Nationalsozialismus auf dem Spiel stand und welche Opfer erbracht werden müssten, um die Hoffnung auf einen Sieg am Leben zu erhalten."

Auch die britische Zeitung DAILY EXPRESS findet lobende Worte für Blair:

"Man muss kein Labour-Anhänger sein, um das Geschick und die Autorität anzuerkennen, mit denen Blair auf die Anschläge reagierte. Jetzt beginnt wohl eine Zeit, in der das britische Volk, das sich nicht so leicht reizen lässt, militanter auftritt, um die Grundsätze seiner Gesellschaft zu verteidigen. Es wird dabei weniger bereit sein, jenen nachzugeben, die diese Werte nicht akzeptieren. Mr. Blair kann gut mit dem Problem umgehen, wie man von einigen ethnischen Minderheiten mehr verlangen kann und ihnen gleichzeitig versichert, dass sie geschätzt und respektiert werden. Vor den Terroranschlägen hat wohl so mancher Brite die Tage gezählt, bis Blair abtritt. Er hat viele vor den Kopf gestoßen mit seinen Entscheidungen, vom Irak-Krieg bis zu Steuern und höheren Gebühren. Er hat es sicher nicht so gewünscht, aber im Augenblick erlebt Blair seine zweiten Flitterwochen. Und wenn sie andauern, wird er vielleicht seinen Wunsch ändern, nach dieser Legislaturperiode von der politischen Bühne abzutreten."

Der Pariser LE FIGARO weist darauf hin, dass ohne eine Lösung im Irak der Terrorismus weiter eine Bedrohung darstellt:

"Dieser langandauernde Krieg gegen die Terrororganisation El Kaida ist in eine neue Phase getreten. Es geht immer noch um den Irak. Die Besetzung dieses Landes, ohne Aussicht auf einen Rückzug, ist noch mehr als die Frage Palästinas zum Hauptargument der Terroristen geworden, die dort ein neues Übungsfeld für ihren Heiligen Krieg gefunden haben. Das hat auch der amerikanische Präsident George W. Bush eingesehen, der seine zweite Amtszeit unter das Zeichen des Kampfes gegen die Tyrannei in der Welt gestellt hat und nicht mehr des Kreuzzuges gegen den Terrorchef Bin Laden. Man muss allerdings noch weiter gehen und eine wirkliche politische Lösung in Bagdad erreichen. Sonst wird der Terror nie besiegt."

Die beste Antwort auf den Terrorismus kann jeder einzelne Bürger selbst geben, meint die belgische Tageszeitung DE MORGEN:

"«Eine der stärksten Erklärungen nach den feigen Terroranschlägen in London am vergangenen Donnerstag kam von der BBC. Den ganzen Tag hatte der öffentliche britische Sender seine Programme für Live- Berichte über das Blutbad unterbrochen, aber um Punkt 21 Uhr begann im ersten Programm 'EastEnders', die Kultserie über das täglich Leben der normalen Cockneys. Damit wurde jedem das Signal gegeben, dass das Leben mit erhobenem Haupt weitergeht. Terrorbekämpfung beginnt nämlich im direkten Lebensumfeld. Nicht, indem man einen Bogen um die 'anderen' schlägt, sondern indem man sie mit Respekt behandelt. Tausende Überwachungskameras in den U-Bahnen machen weniger Sinn als ein Gespräch mit dem Nachbarn, zu Hause, auf der Straße oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn Sie vergessen haben, wie das geht: Schauen Sie 'EastEnders' an."

Um dem Terrorismus das Wasser abzugraben, muss die Gesellschaft jungen Einwanderern echte Zukunftschancen bieten, kommentiert HET LAATSE NIEUWS aus Brüssel:

"Die britische Regierung fürchtet, dass die Bombenleger unter den tausenden jungen, radikalen Islamisten in London selbst rekrutiert worden sind. Muslime, die perfekt Englisch sprechen und integriert sind oder zumindest so erscheinen, die sich aber diskriminiert fühlen, keinen ordentlichen Job finden, überall der Tür verwiesen werden. Der gesellschaftliche Unfriede der jungen, dritten Einwanderergeneration aus einigen muslimischen Ländern macht diese sehr anfällig für Propaganda aus der Heimat. Es gibt Gründe genug, um diese Entwicklung zu stoppen, auch bei uns. Wir können nicht dulden, dass tausende junge Einwanderer keine Aussichten haben auf eine Zukunft in unserer Gesellschaft, und wir können ebensowenig dulden, dass radikale Imame hierher geschickt werden, um die Anfälligsten aus ihren Kreisen zu Terror und Gewalt anzustacheln. Unsere Gesellschaft hat einen doppelten Auftrag: Anderen eine Chance zu geben, um sich selbst zu schützen."

Die Pariser Zeitung LE MONDE weist darauf hin, dass es richtig war, den G-8-Gipfel trotz der Terroranschläge fortzusetzen:

"Es war richtig, das G8-Treffen in Gleneagles fortzusetzen. Ein Abbruch hätte den Terroristen nur noch einen zusätzlichen Erfolg verschafft. Die Islamisten wollen letztendlich die westliche Welt zerstören, ihren Lebensstil und ihre Wertvorstellungen. Die Feinde der Industrieländer setzen auf die Angst und fürchten sich nicht, ihr Leben dafür zu opfern. Die Stärke der westlichen Gesellschaften liegt darin, einen wirksamen Kampf gegen den Terror zu führen aber gleichzeitig demokratische Prinzipien zu respektieren. Dieses Gleichgewicht ist nicht immer einfach zu wahren. Der Westen muss Wachsamkeit, Solidarität und Weitsicht beweisen, um die wirklichen Gründe für den Terrorismus aus der Welt zu schaffen".

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG macht sich Gedanken über den Sinn von G-8-Gipfeltreffen:

"Der durch die Londoner Terroranschläge beeinträchtigte G-8- Gipfel hat Kompromisslösungen für die Afrika-Hilfe und den Klimaschutz angeboten, über deren Erfolg die Zukunft entscheidet. Für den Gastgeber Blair handelt es sich um realistische Fortschritte, die aber unter den eigenen Erwartungen liegen. Die britische Tagung hat zunächst vor allem bewiesen, dass die G-8 kein repräsentatives Forum mehr ist. Japaner, Deutsche und Brasilianer haben die Gelegenheit deshalb auch genutzt, um anschließend in London ihren Anspruch auf einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat, mit oder ohne Veto, zu koordinieren."