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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Susanne Eickenfonder 23. April 2005

Papstwahl

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Die Wahl des deutschen Kurienkardinals Joseph Ratzinger zum Papst ist in dieser Woche das beherrschende Thema der Kommentatoren der Auslandspresse.

Die römische Zeitung L'UNITÀ schreibt:

"Er war Johannes Paul II. sehr nah. Aber er ist nicht Johannes Paul II..... Diese Wahl des Konklave ist glaubwürdig, aber vorsichtig. Es ist eine Entscheidung im Zeichen der Kontinuität, ohne sich zu weit in Richtung Zukunft auszurichten. Oder besser noch: Fast gar nicht. Ein Name, mit dem das Kardinalskollegium - in einem Moment, in dem es die Gefahr einer Spaltung sah - kein Risiko eingehen wollte."

Im ungarischen Blatt MAGYAR NEMZET lesen wir:

"Hätten sie einen italienischen Papst gewählt, hätten sie der großen Welt vielleicht das Gefühl vermittelt, dass die Inthronisierung des Krakauer Bischofs jene sprichwörtliche Schwalbe war, die noch keinen Sommer macht.... Ratzingers Person und Name signalisiert, dass Gott den alten Kontinent nicht sich selbst überlässt und nicht zulassen wird, dass in den entwickelten Ländern die Liebe zu Christus stirbt."

Die italienische Zeitung LA STAMPA aus Turin prognostiziert:

"Nach dem großen Johannes Paul II. wird er nicht einfach eine Kopie seines Vorgängers sein.... Er wird aber auch nicht der finstere Hüter des Glaubens sein, wie ihn einige ungerechter Weise sehen - als einen Zuchtmeister, kalt und starrsinnig.... Er wird uns überraschen, und zwar dadurch, dass wir hinter dem nach außen so distanzierten Gelehrten mit dem Ruf eines schroffen Verteidigers des Glaubens den wahren Benedikt XVI. entdecken."

Nach Auffassung der NEW YORK TIMES wird der neue Papst die europäische Tradition fortsetzen. Zitat:

"Kardinal Ratzinger, der neue Papst Benedikt XVI., arbeitete eng mit seinem Vorgänger zusammen und teilte den Glauben an eine orthodoxe katholische Lehre. Es gibt keinen Grund irgendeine Änderung zu erwarten.... Wie sein Vorgänger ist Benedikt XVI. kein Italiener, aber er setzt die lange Tradition europäischer Päpste fort, in einer Zeit in der die Mitgliederzahl der Kirche außerhalb Europas wächst."

Die britische Zeitung THE INDEPENDENT in London blickt in die Vergangenheit des Pontifex und meint:

"Ein großer Teil der deutschen Medien hat - verständlicherweise - mit glühendem Stolz reagiert. Doch die Wahl eines Deutschen, der die Zeit des Nationalsozialismus miterlebt hat, wird zwangsläufig nicht nur Fragen zum heutigen Zustand der katholischen Kirche aufwerfen, sondern auch zu ihrer Vergangenheit. Niemand behauptet, dass der junge Ratzinger ein Nazi war, obwohl er kurz in der Hitlerjugend war. Doch von seinem Mentor Michael Kardinal von Faulhaber, der Hitler mehrmals besucht hat, die deutschen Kriegsziele unterstützte und den Antisemitismus des Führers geteilt hat, kann man das nicht sagen.... Es bleiben gute Gründe für erhebliches Unbehagen."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gibt zu bedenken:

"Ratzinger mag keine 'Verlegenheitslösung' sein. Aber entspricht die Wahl auch einem mutigen, vorwärts weisenden Entscheid? Benedikt XVI. ist am 16. April 78 Jahre alt geworden; ein ebenso langes Pontifikat, wie es seinem Vorgänger beschieden war, darf er nicht erwarten.... Die Wahl Ratzingers steht wohl für ein eher kurzes Pontifikat, das den Kardinälen Zeit lässt, sich in aller Ruhe Gedanken über eine langfristige Regelung der Kirchenführung zu machen."

Kritisch äußert sich auch das niederländische Blatt DE VOLKSKRANT aus Den Haag:

"Es ist einigermaßen überraschend, dass die Wahl auf einen ausgesprochenen Kurienkardinal gefallen ist, der zwar als höchst gebildeter Theologe zu Buche steht, aber fast gar keine pastorale Beziehung zu den Nöten des kirchlichen Alltags hat. Als deutscher Prälat ist er auch kein geborener Inspirator für das weniger kopfgesteuerte religiöse Leben in den Wachstumsgebieten der Kirche. Die Kirche von Rom wird geleitet von einem alten Mann, der ohne göttlichen Eingriff höchstens ein Übergangspapst sein kann."

Der in Zürich erscheinende TAGES-ANZEIGER notiert:

"Wie konnte man nur so vermessen sein und meinen, mit dem Tod von Johannes Paul II. sei auch die Karriere des greisen Joseph Ratzinger ans Ende gekommen? Jetzt beginnt sie erst richtig. Mit Ratzinger wird das 26-jährige polnische Pontifikat verlängert, germanisch zugespitzt und akzentuiert. Der Gewählte trägt nicht von ungefähr den Beinamen eines Panzerkardinals und Großinquisitors. Er hat im letzten Pontifikat all die ideologischen Schlachten gegen Feminismus, Empfängnisverhütung und Homosexualität ausgefochten und vor allem auch jene gegen die Befreiungstheologie in Lateinamerika."

THE GUARDIAN aus London titelt 'Eine verpasste Gelegenheit' und kommt zu dem Schluss:

"Die strenge Linie Johannes Pauls II., deren Folgen so hart sein konnten, wird fortgesetzt werden. In der Ökumene - den Begriff Schwesterkirchen hat er verboten -, bei der Stellung der Frau und in der Sozialpolitik wird er sich wohl kaum in eine Richtung entwickeln, die der Kirche in Europa und den USA mit ihren schwindenden Mitgliederzahlen neuen Mut machen oder sie gar inspirieren könnte. Selbst ob die von Johannes Paul vollzogene Öffnung zum Islam bestehen bleibt, ist zweifelhaft."

Die dänische Tageszeitung INFORMATION stellt fest:

"Ratzinger ist genauso konservativ und doktrinär, wie es Karol Wojtyla war.... Der überwiegende Teil der Katholiken in Afrika, Asien und Lateinamerika ist konservativ. Hier wird die strenge Moral von Benedikt willkommen sein. In Europa und Nordamerika dagegen kann der neue Papst unter den schrumpfenden katholischen Massen wohl kaum populär werden. Auf beiden Kontinenten sinkt die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger kräftig."

Die französische Tageszeitung LE FIGARO mahnt, den Papst nicht im Vorhinein zu verurteilen und fährt fort:

"Der neue Papst will zweifellos die Macht und Anziehungskraft des Katholizismus erhalten und gleichzeitig dem Gift der Moderne ausweichen wollen. Man kann den Vorwurf des Konservatismus nicht verstehen, den viele Beobachter jetzt bereits erheben, zumal gegen Johannes Paul II. die gleichen Vorwürfe laut geworden waren. Das, was in Westeuropa kritisiert wird, wird anderswo in der Welt gut geheißen. Der katholische Glauben ist eine Weltreligion, also sollte man voreilige Spekulationen über dieses neue Pontifikat unterlassen."

Abschließend noch die österreichische Zeitung DIE PRESSE, die zuversichtlich anmerkt:

"Der neue Papst wird klug genug sein, sich nicht der vorgezeichneten Polarisierung zwischen konservativ und progressiv auszuliefern. Und möglicherweise bieten ihm gerade die eindeutigen und vielfach feindseligen Zuschreibungen die große Chance, unerwartete Aufbrüche zu wagen: Reformen, zumal einer so schwerfälligen Organisation wie der römischen Kirche, lassen sich nur aus dem Innersten heraus bewerkstelligen. Und dieses Innerste ist seit Jahrzehnten der Aufenthaltsort von Benedikt XVI."