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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Frank Gerstenberg27. November 2004

Demonstrationen in der Ukraine

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Ganz im Zeichen der Ereignisse in der Ukraine stehen in dieser Woche die Kommentare der ausländischen Tageszeitungen. Denn die anhaltenden Proteste hunderttausender Ukrainer gegen Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl betreffen nach übereinstimmender Meinung der Leitartikler ganz Europa.

So schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, dass "die Geschehnisse in der Ukraine für die Europäische Union nicht weniger von Interesse sind als für Russland" und begründet dies wie folgt:

"Seit dem Beitritt Polens und Ungarns ist die Ukraine zu einem direkten EU-Nachbarn geworden. Es geht zunächst um eine Verständigung, wie die Wahlresultate glaubwürdig überprüft werden können und in welchem Ausmaß der Wahlgang wiederholt werden muss. Bei der Lösung all dieser Fragen hätte die EU Gelegenheit, ihre oft beschworene außenpolitische Handlungsfähigkeit konstruktiv unter Beweis zu stellen",

notiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.

Die FINANCIAL TIMES aus London fordert klare Worte der Europäer gegenüber Putin:

"Der Westen hat bei seinen Beziehungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Punkt erreicht, wo jede Seite seine Seele offenbaren muss. Washington, Rom, Berlin und Paris scheinen nicht bereit zu sein, die Beziehungen mit Russland zu überdenken. Der russische Präsident ist ein Meister darin, seine Verbündeten zu spalten. Jetzt zeigt sich, dass die Stellung der Europäer dadurch geschwächt worden ist."

Auch die norwegische Tageszeitung AFTENPOSTEN aus Oslo kritisiert den russischen Ministerpräsidenten:

"In der Ukraine spielt sich nach den Wahlen vom Wochenende ein dramatischer Kampf ab, bei dem es letztendlich um die Machtposition Russlands im östlichen Europa geht. Moskau wird sich bis zum Äußersten anstrengen, um zu verhindern, dass die Ukraine eine Führung bekommt, die nach Westen blickt und das Land Richtung Zusammenarbeit mit der EU und vielleicht sogar der NATO führt. Hier stehen klassische russische Großmachtinteressen auf dem Spiel."

Vor einem Rückfall in dieses Denken warnt eindringlich die französische Zeitung LE MONDE:

"Über das Schicksal der Ukrainer hinaus geht es um die Organisation des gesamten europäischen Kontinents. Es geht um die Frage, ob man ein Europa will, das wie in der Zeit des Kalten Krieges in Einflusssphären aufgeteilt ist. Oder haben die Russen endlich verstanden, dass die Zeit der Unterordnung der Vergangenheit angehört und dass die paneuropäische Zusammenarbeit eine Unabhängigkeit und Gleichheit voraussetzt?"

Aber auch der Westen sollte alte Fehler nicht wiederholen, meint INFORMATION aus Kopenhagen:

"Doch die Lage ist nicht unkompliziert. EU und USA sind Gefangene ihres geo- und realpolitischen Wunsches nach guten Beziehungen zu Russland, das nun eine Zeit lang die Rolle des treuen Alliierten im Kampf gegen den Terrorismus gespielt hat. Aber die EU muss sich zusammenreißen und darf nicht die oft erbärmliche Rolle des Westens im Kalten Krieg wiederholen."

DER STANDARD aus Wien sieht die EU denn auch in ihrer

"bisher größten geopolitischen Bewährungsprobe. Sie muss jeden auch nur rhetorischen Rückfall in den Kalten Krieg vermeiden, aber auf den unverhandelbaren Werten bestehen, die eine dauerhafte europäische Friedensordnung begründen. Was die 'sanfte Großmacht' EU jetzt tun kann: Putin & Co mit kluger, geduldiger Beziehungspflege klar machen, dass eine demokratische, prosperierende Ukraine letztlich auch zum Nutzen Russlands ist - und gleichzeitig nach ukrainischem Beispiel die russische Zivilgesellschaft fördern."

Hören sie abschließend einen Kommentar der tschechischen Zeitung LIDOVE NOVINY. Das Blatt aus Prag übt scharfe Kritik an der russischen wie auch an der europäischen Politik:

"Der Westen würde gerne vergessen, dass dieses korrupteste und fast ärmste Land Europas überhaupt existiert. Hingegen nimmt sich Russland der Ukraine gerne an. Und vielen Ukrainern würde das nichts ausmachen. Denn in Moskau sind die Löhne höher als in Kiew, und die eingeschränkte Putin-Demokratie ist besser als die halb-mafiöse Regierung in der Ukraine - eine Regierung, die auch Wahlen fälscht, um an der Macht zu bleiben. Zum wievielten Mal übrigens? Obwohl die Ukraine ihren Kampf selbst austragen muss: Der Westen darf nicht den Eindruck erwecken, als sei ihm eine unfaire Abstimmung gleichgültig."