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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Beatrice Hyder25. September 2004

Landtagswahl in Brandenburg und Sachsen / Deutschlands Wunsch auf Sitz im UN-Sicherheitsrat

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Besonderes Interesse in den ausländischen Zeitungen fanden in dieser Woche der Ausgang der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sowie das erneute Rühren der Werbetrommel Deutschlands für einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Zum ersten Thema: Die Unzufriedenheit in Ostdeutschland beschäftigt die Analysen der Kommentatoren ebenso wie die daraus überwiegend resultierenden Erfolge linker und rechter Parteien bei den Landtagswahlen.

Der britische GUARDIAN meint:

"Die Ergebnisse spiegeln eine sich verändernde politische Landschaft in Deutschland. Obwohl es nicht als wahrscheinlich gilt, dass sich dieser Wahlausgang auf Bundesebene wiederholen könnte, unterstreicht das Ergebnis die Frustrationen der Wähler im Osten über den allmählichen Abbau des großzügigen deutschen Sozialstaats... .Die Gefahr besteht darin, dass sich das Land 15 Jahre nach der Wiedervereinigung in zwei Lager spalten könnte, wobei die reicheren Westler die Notwendigkeit von Reformen zögernd akzeptieren, während die ärmeren und frustrierten Ossis Trost am Rande des politischen Spektrums suchen. Viele innerhalb und außerhalb des größten Landes Europas werden mit Schröder darin übereinstimmen, dass der Erfolg der Extremisten alle Demokraten beunruhigen muss."

Ähnlich sieht das die französische Zeitung L'ALSACE, relativiert aber etwas:

"Die Wähler haben ihren Frustrationen Ausdruck verliehen, indem sie ihre Stimmen den Neo-Kommunisten gegeben haben, ... aber auch den Rechtsextremen. Vergessen wir aber nicht, dass letztere weit hinter den Ergebnissen zurückbleiben, die sie in Frankreich, Belgien oder Österreich erzielen. Die neun Prozent der NPD in Sachsen und die sechs Prozent der DVU in Brandenburg sind zwar beunruhigend, aber weniger als die Risse, die durch Deutschland gehen - zwischen Ost und West, und vor allem zwischen den traditionellen großen Parteien und den Wählern."

Auch die dänische Tageszeitung POLITIKEN dämpft die Aufregung:

"...man soll die Bedrohung durch antidemokratische Kräfte in Deutschland nicht übertreiben. Es gibt auch starke Rechtskräfte in Frankreich, Österreich und Dänemark, ohne dass die Welt untergeht. Diese Parteien haben überdies noch höhere Wähleranteile als die beiden rechtsradikalen Parteien in Deutschland. Und das mit Programmen, die sich nicht wesentlich von denen ihrer deutschen Gesinnungsgenossen unterscheiden."

Der österreichische STANDARD gibt den demokratischen Parteien eine gewisse Mitschuld am Erstarken der Rechtsextremisten. Das Blatt schreibt:

"Die Appelle von Bundeskanzler Gerhard Schröder kurz vor dem Urnengang, doch aus Rücksicht vor einem Imageverlust Deutschlands im Ausland keine rechten Parteien zu wählen, dürften eher einen 'Jetzt erst recht'-Effekt ausgelöst haben. Was von allen demokratischen Parteien versäumt wurde, ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit NPD und DVU. Ein Trost mag sein, dass rechtsextreme Parteien im demokratischen System rasch selbst scheitern."

Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA sieht trotz allem Deutschlands Bild im Ausland etwas 'beschmutzt':

"Zwei Gespenster gehen im Herzen Europas um, die Geister der Neonazis und des stalinistischen Neokommunismus ... Nostalgiker der 'beiden Hs', von Hitler und Honecker, gewinnen mit ganz ähnlichen Slogans: Nein zum Abbau und zu den Reformen des Sozialstaates, Nein zum Euro und zur NATO, Nein zum Europa der offenen Grenzen. Die extremen politischen Ränder lasten wie ein schmutziger Fleck auf dem internationalen Ansehen der deutschen Demokratie."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG geht in ihrem Kommentar hart mit den Ostdeutschen ins Gericht:

"Mag sein, dass es dem deutschen Osten ein wenig schlechter geht als dem Westen und dass in den neuen Ländern nach der Wiedervereinigung Fehler begangen worden sind. Aber sich immer nur mit hohler Bettelhand als Opfer der bösen Politik zu sehen und den Verstand im Trotz zu ertränken, führt nicht weiter. Man fühlt sich an Kennedys Wort erinnert, dass man sich nicht fragen solle, was das Land für einen tun könne, sondern was man selbst für das Land zu tun vermöge. Leider nur allzu wahr."

Ähnlich sieht das die niederländische Zeitung VOLKSKRANT:

"Sowohl die NPD wie auch die PDS haben profitiert von der unter Ostdeutschen weit verbreiteten Unzufriedenheit über die zurückbleibende ökonomische Entwicklung und den Unterschied im Lebensstandard gegenüber dem Westen... .Hier stößt ein altes Gefühl mit der neuen wirtschaftlichen Realität zusammen. Die Ostdeutschen waren gewohnt, dass alle Wege zum Staat führen. Dass der Staat nicht mehr der Bringer des Wohlstands ist und dass ein Rückstand nicht schnell verschwindet, ist noch unzureichend zu ihnen vorgedrungen. Die etablierten Parteien können den Schmerz lindern, aber die Wahrheit nicht verdecken - dass der Wohlfahrtsstaat nur Hilfe und Schutz bietet und keine Alternative zur Eigeninitiative darstellt, schreibt der niederländische VOLKSKRANT."

Die russische Zeitung KOMMERSANT weist die alleinige Schuld für den Wahlausgang Kanzler Schröder zu und schreibt:

"Die Ergebnisse in Brandenburg und Sachsen und die Niederlage der SPD sprechen eine deutliche Sprache. Die Reformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder sind gescheitert. Dabei hatte Schröder seine Sozialreformen vor allem auf die Menschen in Ostdeutschland ausgerichtet. Doch die Wähler in Brandenburg und Sachsen haben deutlich gemacht, dass sie nicht bis zum Jahr 2010 auf ein besseres Leben warten wollen."

Die tschechische Zeitung MLADA FRONTA DNES erwartet anhaltenden Widerstand in Ostdeutschland, meint jedoch, Sachsen und Brandenburger hätten sich mit ihrem Wahlverhalten am vergangenen Sonntag einen 'Bärendienst' erwiesen:

"Der deutsche Herbst verspricht wild zu bleiben. Bereits geändert hat die Wut auf die Arbeitsmarktreformen die politische Landkarte in Ostdeutschland. Doch die braunen Streifen beschädigen das Image dieser Region und verschrecken Investoren. Ja, die Deutschen wollten mit ihrer Stimme strafen. Mit der verzweifelten Wahl der Rechtsextremen haben sich sich jedoch letztendlich selbst bestraft."

Der italienische 'IL MESSAGGERO' sieht das Ganze gelassen und bilanziert:

"Jetzt beginnt Ostdeutschland Europa wieder Sorge zu bereiten... Aber ohne dabei das Bild zu verzerren. Trotz der Nostalgiker der Braunhemden ist Deutschland ein normales Land."


Themenwechsel. Vor allem Außenminister Joschka Fischer hat bei der derzeit in New York tagenden UN-Vollversammlung kräftig die Werbetrommel für eine Aufnahme Deutschlands in den exklusiven Fünfer-Club des Weltsicherheitsrats gerührt. Ähnliche Absichten haben Japan, Brasilien und Indien.

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zeigt ein gewisses Verständnis für den deutschen Wunsch:

"Es ist in der Tat merkwürdig, dass Deutschland als drittgrößter Beitragszahler in der UNO jährlich fast dreimal so viel Geld wie die ständigen Mitglieder China und Russland zusammen einzahlt, ohne irgendwelche Privilegien zu genießen. Andererseits wirft der Vorstoß die grundsätzliche Frage auf, wie denn der Sicherheitsrat mit zehn ständigen Mitgliedern (ein weiteres soll aus Afrika dazukommen) überhaupt noch funktionieren soll."

Die französische Zeitung DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE meint, bis dahin sei noch ein langer Weg und begründet das so:

"Eine Neumischung der Karten in den Vereinten Nationen wird zweifellos mit Streitigkeiten verbunden sein. Wenn Deutschland als ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat aufgenommen würde, würde dies eine Übermacht des geographischen Europas mit Großbritannien, Frankreich und in gewisser Hinsicht auch mit Russland im Verhältnis zu den übrigen Kontinenten bedeuten. Diese Übermacht würde verstärkt, sollte das Vetorecht erhalten bleiben. Man weiß auch, dass neo- konservative Gruppen in der Regierung in Washington davon träumen, Frankreich von seinem ständigen Sitz zu vertreiben. Die große Reform der UN, über die seit Jahrzehnten gesprochen wird, ist noch lange nicht in Sicht", schreibt die französische Zeitung DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE.

Das Schweizer Blatt DER BUND sieht die mögliche Lösung woanders: "...ist es richtig, einzelne Staaten zum ständigen Mitglied des Sicherheitsrats zu befördern und so quasi zur regionalen Vormacht zu erklären? Solches Staatsdenken des 19. Jahrhunderts passt schlecht zum 21.; dass der jeweils Größte Vorrechte sucht, fördert die regionale Zusammenarbeit nicht, ohne die auch die UNO wenig ausrichten kann...Zukunftsweisender wäre es, die EU gäbe sich die Handlungsfähigkeit, gemeinsam einen Hauptsitz in der UNO einzunehmen - und dort auf den Abbau des absoluten Vetorechts hinzuwirken."

Ähnlich sieht das -mit Blick auf ein etwas 'beleidigtes' Italien- der in Mailand erscheinende CORRIERE DELLA SERA:

"Die Einrichtung neuer permanenter UN-Sitze für Deutschland, Japan, Indien und Brasilien (und Italien damit ausgeschlossen oder in die zweite Reihe abgeschoben) wäre keine Antwort auf das Reformziel, die Vereinten Nationen zu stärken. Das Kriterium, um das es dabei doch geht, ist die Frage einer regionalen Vertretung im UN-Sicherheitsrat. Und angesichts dieser Schlüsselfrage ist es 'undenkbar', dass Europa, dessen neue Verfassung die Einrichtung eines gemeinsamen Außenministers vorsieht, nicht dazu in der Lage ist, seiner mit größter Einigkeit sprechender Stimme in den Vereinten Nationen Gehör zu verschaffen", schreibt der CORRIERE DELLA SERA.