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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Gerhard M. Friese5. Juni 2004

D-Day-Feiern/ Europawahl/ Sudetentag

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Die Feiern zum Beginn der Invasion der Alliierten in der Normandie 1944, die bevostehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und das Pfingsttreffen der Sudetendeutschen beschäftigen in dieser Woche die Kommentatoren der Auslandspresse.

Zum ersten Mal seit 60 Jahren finden die Gedenkfeiern zur alliierten Invasion mit deutscher Beteiligung statt. Für die österreichische Zeitung KURIER Anlass für einen Rückblick:

"Wer den Zweiten Weltkrieg erlebte, wer im Kalten Krieg aufgewachsen ist, hätte vieles vor nicht allzu langer Zeit nicht zu träumen gewagt: Staats- und Regierungschefs jener Länder, die ihren Kontinent und andere mit Kriegen überzogen, begegnen einander auf gleicher Augenhöhe. Ein Russe herzt einen Deutschen und umgekehrt. Ein Deutscher lässt sich in der EU vertrauensvoll von einem Franzosen vertreten... Dieses Europa, das ohne massiven menschlichen und monetären Einsatz von Roosevelts USA nicht denkbar wäre, macht ein Leben möglich, um das fast die ganze Welt die (West)Europäer beneidet. Der Wermutstropfen: Viele wissen nicht, in welchem Paradies, jedenfalls die äußeren Umstände betreffend, sie leben."

Für die belgische Zeitung DE MORGEN sind die Feiern Anerkennung für die deutsche Demokratie:

"Das ist die ultimative Anerkennung dafür, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg den demokratischen Weg eingeschlagen hat und zu einem geachteten und verlässlichen Partner in Europa und der Welt geworden ist. Das ist wichtiger als die Wahlkampfreise, die Bush an die französische Küste unternommen hat."

Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT bringt den Kanzler selbst ins Spiel:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder sieht die gemeinsamen Feiern als ein Zeichen dafür, dass Deutschlands lange Reise nach Westen vollendet ist, wie er kürzlich sagte. Eine Reise, die eine fest verankerte Demokratie gebracht hat. Es ist logisch und gut, dass der Bundeskanzler dabei ist."

Vorsichtig abwägend kommentiert das französische Blatt LA CROIX:

"In den Augen der Geschichte wird die herausragende Präsenz die von Gerhard Schröder sein. Ein Teil des deutschen Volkes wird am Sonntag die Augen abwenden. Denn Deutschland steht seiner Geschichte zwiespältig gegenüber. In Frankreich werden sich einige der 'Alten' durch die Präsenz des Kanzlers an diesem Ort des Leidens verletzt fühlen. Aber es erfordert eine wahrhafte Anstrengung, Jahr für Jahr, Symbol für Symbol nach Verzeihen und Vernunft, bis sich das 'sie' in ein 'uns' verwandelt. Ein wunderbares Vermächtnis für das große 'uns' der Zukunft: Europa."

Für die britische Tagesteitung THE GUARDIAN gibt es noch viel zu tun:

"Die Boulevardzeitungen sind unverbesserlich, und Hitler als Thema wird sich immer gut verkaufen. Aber es ist traurig, dass (in Großbritannien) so wenig jungen Menschen die Geschichte der beiden deutschen Staaten nach dem Krieg beigebracht wird, die Komplexität der Wiederverinigung und ihre Nachwirkung... In Frankreich und Polen sind die jungen Menschen gut informiert darüber, wie sich ihr Nachbar Deutschland seit dem Krieg verändert hat. Der D-Day müsste auch hier ein Impuls für Verbesserungen auf diesem Feld sein."

Dass es auch Widerstand gegen eine deutsche Teilnahme gibt, weiß die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA:

"In Berlin wird die Teilnahme Schröders mit großer Befriedigung gesehen. Er selbst hält damit den Zweiten Weltkrieg für endgültig beendet. Doch es ist nicht ganz so einfach. Zum Beispiel war es schwierig, den Platz für eine Kranzniederlegung zu finden, weil sich britische Kriegsveteranen beschwerten."

Vor allzu großer Euphorie warnt auch LE FIGARO aus Paris:

"Sind wir alle Deutsche geworden? Die französichen Veteranen des Zweiten Weltkriegs und die überlebenden der Todeslager sehen das vielleicht nicht genau so. Und die aktuelle Lage trägt viel zur gegenwärtigen deutschfreundlichen Begeisterung bei. Die deutsch-französische Brüderschaft verdankt mehr den Politikern als den Völkern. Die Komplizenschaft ist keine Fassade, aber man darf auch nicht übertreiben. Von oben verordnet, mit Trommelwirbel begleitet, hat sie nur den Inhalt, den jeder Einzelne ihr zu geben bereit ist."

Klar ablehnend ist die britische DAILY MAIL:

"Solange auch nur ein einziger britischer Kriegsveteran dagegen ist, hätte Präsident Chirac Schröder nicht in die Normandie einladen dürfen. Und Schröder hätte nicht annehmen dürfen. Die britische und die amerikanische Regierung hätten taktvoll, aber entschieden ihr Veto gegen diese Einladung aussprechen müssen...Die Zeit mag kommen, wenn es nicht mehr schmerzhaft ist, einen deutschen Kanzler an dem Fleck stehen zu sehen, wo deutsche Soldaten britische töteten. Aber diese Zeit ist noch nicht da."

Mit dem Vergleich, den US-Präsident George W. Bush zwischen der alliierten Invasion 1944 und dem aktuellen Kampf gegen der Terrorismus gezogen hat, befasst sich das ALGEMEEN DAGBLATT aus den Niederlanden:

"Dass Europa seine Freiheit den enormen amerikanischen Anstrengungen zu verdanken hat, steht außerhalb jeder Diskussion. Aber weil Bush sich als der Vorkämpfer der Demokratie aufwerfen will, die den Rest der Welt gegen das Gespenst von Terrorismus und Totalitarismus schützen muss, hinkt sein Vergleich... Wenn Bush zur Wahrheitsfindung und zur Geschichtsschreibung beitragen will, muss er seine Sieben-Meilen-Stiefel mit denen er durch die Geschichte läuft ausziehen und sich Zeit zur Reflexion nehmen."

Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA ergänzt:

"Die Verletzung der Menschenrechte im Irak haben gezeigt, dass der von Bush Junior gewagte Vergleich zwischen dem Irakkrieg und dem Zweiten Weltkrieg unhaltbar ist. Indem er beide Kriege in eine Reihe stellt, versucht sich Bush Junior mit dem damaligen US-Präsidenten Roosevelt auf eine Stufe zu stellen. Das ist ein gewagter Schritt."

Und die nordfranzösische Zeitung OUEST-FRANCE meint:

"Der Chef des Weissen Hauses versucht, das vom Folterskandal im Gefängnis Abu Ghraib beschmutzte Image der USA aufzupolieren, indem er das Opfer der Amerikaner in der Normandie mit jenem der GI's in Afghanistan und im Irak vergleicht. Der französische Präsident Jacques Chirac wird sicherlich große Mühe haben, ihm zu erklären, dass der Freiheitskampf zwischen Euphrat und Tigris ein anderer ist, als jener gegen den Nazismus."

Themenwechsel: Am 13. Juni wählen die Bürger der Europäischen Union ihr neues Europaparlament. Die französische Zeitung LES DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE beklagt ein massives Desinteresse - sowohl der Bürger als auch der Politiker:

"Bei den fünfzehn 'alten' und den zehn 'neuen' Mitgliedern finden diese Wahlen kaum ein Echo. Überall stehen innenpolitische Belange im Vordergrund, während die Europa-Debatte auf der Strecke bleibt. Und wenn endlich einmal - zufällig - von Europa die Rede ist, dann hagelt es gleich Kritik."

Die SALZBURGER NACHRICHTEN aus Österreich teilen diese Meinung und schreiben resigniert:

"Wir müssen als europäische Wähler erkennen: EU-Wahlkampf ist nirgendwo der Wettbewerb der Ideen, sondern das alte Hickhack, das wir aus nationalen Wahlgängen kennen."

Zum Schluss die tschechische Zeitung MLADA FRONTA DNES zur Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nach Abschaffung der Benes-Dekrete, die die Grundlage für die Vertreibung der Sudentendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten:

"Edmund Stoiber prahlt, dass er vor der Streichung der Benes- Dekrete durch Prag Tschechien nicht besuchen wird. Doch der Erfolg von Europa beginnt und endet damit, dass man Probleme in Verhandlungen löst, nicht mit einem Ultimatum, wie es Bayerns Ministerpräsident tut. Die Dekrete spalten Tschechien. Und sie trennen die Tschechen von den sonst ausgezeichneten Nachbarn, den Deutschen. Unnötige Muskelspiele auf beiden Seiten verstärken diese Grenze lediglich, die nur mit Anständigkeit und gutem Willen zu überwinden ist."