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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Frank Gerstenberg6. März 2004

Die Kür des Bundespräsidenten-Kandidaten der Opposition / Die Wahlen in Hamburg

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Mit größter Aufmerksamkeit hat die internationale Presse die Suche der Opposition nach dem Bundespräsidenten-Kandidaten verfolgt. Auch die Wahlen in Hamburg standen im Blickpunkt der Kommentatoren.

Die Stimmen zur Kür des Bundespräsidenten-Kandidaten fielen für die Union und die FDP wenig schmeichelhaft aus. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG bedauerte, dass sich beide Parteien nicht für Wolfgang Schäuble entschieden haben.

"Hauptsache, man verhindert etwas. Einmal mehr - und besonders krass - hat diese Devise den Verlauf eines politischen Vorgangs in Deutschland bestimmt. Rache und Ranküne waren die Leitprinzipien, mit denen die Suche nach einer Nachfolge für den scheidenden Bundespräsidenten Rau betrieben wurde - mit dem Ergebnis, dass der beste Kandidat nicht zum Zug kommt. Wolfgang Schäuble mochte nicht der beliebteste Anwärter gewesen sein; dazu hatte er zu viele Ecken und Kanten. Aber er hätte Deutschlands höchstes Amt nach der blassen Korrektheit seines Vorgängers wieder mit Inspiration und Visionen aufwerten können. Man kommt kaum um die Feststellung herum, dass hier nicht nur ein politisches, sondern auch ein großes intellektuelles Talent vergeudet worden ist",

meinte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz. Nach Ansicht der SALZBURGER NACHRICHTEN gab vor allem die Oppositions-Vorsitzende Angela Merkel ein schlechtes Bild ab. Das österreichische Blatt schrieb:

"Die Deutschen wissen jetzt, dass sie nicht nur eine schwache rot-grüne Regierung haben, sondern auch eine bürgerliche Opposition, die chaotisch agieren kann. Zu keinem Zeitpunkt kam es für Union und Liberale darauf an, den besten Bewerber für das hohe Staatsamt auszuwählen. Vielmehr ging es ihnen darum, eine möglichst günstige Startposition für die Bundestagswahlen 2006 zu finden. Diese peinliche Präsidenten-Posse hat lautes Buh auf offener Bühne verdient. Angela Merkel hat nicht souverän Führungsstärke demonstriert. Die große CDU/CSU hat sich von der kleinen FDP kujonieren lassen. Merkel, Stoiber und Westerwelle haben zwar erreicht, dass von der Wahl des neuen Bundespräsidenten ein "schwarzgelbes Signal" für die Bundestagswahl 2006 ausgeht. Aber dieses Trio hat auch sichtbar gemacht, wie zerstritten das bürgerliche Lager ist."

Der Kompromissmann Köhler galt in der ausländischen Presse indes überwiegend als gute Entscheidung. So notierte das ALGEMEEN DAGBLAD aus den Niederlanden:

"Vertreter der CDU scheint er vor allem auf dem Papier zu sein. Dies hat ihn auch diesmal zu einer ausgezeichneten zweiten Wahl gemacht. Er war so auch für die liberale FDP leicht zu akzeptieren. Die Farblosigkeit von Köhler darf aber nicht verwechselt werden mit Meinungslosigkeit. Im Gegenteil: Bei Verhandlungen entpuppt er sich oft als Hardliner, der nicht davor zurückschreckt, seinen Gegenspielern die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie mächtiger sind. In den USA verdiente er sich Respekt durch seine Warnungen vor zu hoher Verschuldung."

LA STAMPA aus Rom sieht mit einem Bundespräsidenten Horst Köhler allerdings weitere Probleme auf Rot-Grün zukommen:

"Die aktuelle Regierung dürfte nicht sonderlich zufrieden sein, mit einem Präsidenten wie Köhler zusammenarbeiten zu müssen: Als IWF-Chef hat er der Wirtschaft- und Finanzpolitik der Regierung in Berlin viel Kritik entgegengehalten,und war dadurch mehrere Male mit Finanzminister (Hans) Eichel in Konflikt geraten."

Auf einen weiteren Aspekt richtete die BASLER ZEITUNG aus der Schweiz ihren Blick:

"Ohne Zweifel ist Köhler ein exzellenter und über politische Gequengel erhabener Finanzexperte. Aber ein zwingender Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ist er nicht. Es liegt auch nicht besonders nahe, dass ein Finanzfachmann im Schloss Bellevue in Berlin die Rolle des moralischen Mahners übernehmen soll, jenen Part also, den die deutsche Öffentlichkeit dem Bundespräsidenten zuschreibt. Die Königsmacher von CDU, CSU und FDP hätten eine ebenso geeignete Frau finden können. Wenn sie gewollt hätten."

Die russische Tageszeitung KOMMERSANT äußerte sich im Gegensatz zu dem überwiegenden Teil der ausländischen Presse nicht positiv über die Kompetenz des designierten Bundespräsidenten:

"Herr Köhler ließ die große Finanzkrise in Argentinien 2001 und 2002 zu, die auch westlichen Investoren und Kreditgebern schadete. Danach fing er mit der argentinischen Führung Streit über den Ausweg aus der Krise an. Zuletzt kritisierte Köhler nur noch die Budgetpolitik der USA. Als der Deutsche spürte, dass die Begeisterung des wichtigsten IWF-Mitglieds, der USA eben, für seine Arbeit schwand, entschied er sich, seinen Job ein Jahr vor Vertragsende aufzugeben."

Themenwechsel: Die ausländischen Tageszeitungen betrachteten nicht minder interessiert die Bürgerschaftswahl in Hamburg. Der deutliche Sieg der CDU ist nach Ansicht der spanischen Tageszeitung ABC

"ein Alarmzeichen für die deutsche Bundesregierung. Zuerst musste Bundeskanzler Gerhard Schröder den SPD-Vorsitz abgeben, weil er mit den Turbulenzen in seiner Partei nicht fertig wurde. Nun erntete er eine Niederlage, wie es sie in Hamburg seit dem Zweiten Weltkrieg noch nicht gegeben hat. Wenn Schröder als Staatsmann und nicht als Opportunist in die Geschichte eingehen will, muss er die anstehenden Reformen energisch anpacken. Die Situation ist allerdings so verfahren, dass der Kanzler nur verlieren kann. Wenn er die Reformen beschließt, verliert er Stimmen - und wenn nicht, ebenfalls. Im zweiten Fall verlöre allerdings nicht nur Schröder, sondern auch das ganze Land."

Dieses Land, Deutschland, sieht die dänische BERLINGSKE TIDENDE in einer bedrohlichen Situation:

"Auch wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder auf das Entschiedenste zurückweist, dass die schmachvolle Wahlniederlage in Hamburg ihn zur Aufgabe seines Reformprogrammes bringen könnte, gibt es Grund zur Befürchtung, dass der Populist Schröder schnell auf andere Gedanken kommen könnte. Denn es ist natürlich nicht populär, die Sicherheit der Leute in ihren Jobs zu vermindern oder von Arbeitslosen die Annahme einer Arbeit zu verlangen, wenn sie ihnen angeboten wird. Schon gar nicht im deutschen Wohlfahrtsstaat, wo man sich immer noch einlullen lässt von der romantischen Vorstellung, man sei die Lokomotive für Europa. Deutschland kann sich nicht damit herausreden, dass die Wiedervereinigung Ursache der Probleme ist. Der Hauptgrund liegt in einem starren Arbeitsmarkt, auf dem sich der Schutz für Arbeitnehmer dem Absurden nähert. Deutschland ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie schief alles gehen kann, wenn man die wirtschaftlichen Realitäten zu lange ignoriert."

Ähnlich äußerte sich THE TIMES aus London:

"Das grundlegende Problem ist, dass sich dieser Kanzler als der Mann präsentiert, der Deutschland nicht nur effizient, sondern auch wieder glücklich machen kann. Doch in der Öffentlichkeit wird er als jemand wahrgenommen, der die Menschen ihrer Zukunft beraubt und ihnen im täglichen Leben immer neue Lasten aufbürdet. Die Lektion von Hamburg ist klar: Wenn er noch mehr marktwirtschaftliche Reformen, noch mehr persönliche Verantwortung des Einzelnen durchsetzen will, dann muss er irgendwie die Vorstellungskraft der Deutschen beflügeln. Ihr Land befindet sich nicht so sehr in einer wirtschaftlichen Rezession als in einer klinischen Depression. All zu oft scheint Schröder diese Stimmung zu reflektieren anstatt die große Vision vorzugeben, nach der das Land sich sehnt."

Hart ins Gericht geht auch INFORMATION aus Kopenhagen mit dem Bundeskanzler:

"Fast ein Jahr nach der Ankündigung des Reformpaketes Agenda 2010 hat er es nicht geschafft, die Wähler von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat nötig sind, um ihn zu bewahren. Jetzt ist es möglicherweise zu spät. In einer modernen Mediendemokratie kann man nicht endlos reden. Es müssen auch Resultate kommen. Bei der Agenda 2010 sieht es so aus, als sei sie immer noch nicht eingeführt. Natürlich kann man mit Sparmaßnahmen und neuen Gebühren keine Stimmen gewinnen. Aber gerade der medienbewusste Kanzler sollte wissen, dass mit dem persönlichen Einsatz viel zu retten wäre. In diesem Punkt hat Schröder versagt. Er präsentiert sich zwar als Führungsgestalt, der persönlich für die Verwirklichung der Reformen steht. Aber er verliert schnell die Geduld, der lange Zug ist seine Sache nicht. Stattdessen erleben wir einen Kanzler auf dem Rückzug. Letzten Monat gab er den Posten des SPD-Parteichefs ab, um mehr Zeit zum Regieren des Landes zu bekommen. Aber das Regieren verläuft nach wie vor zäh, denn der Kanzler verbringt viel Zeit mit der Außenpolitik als seiner Leidenschaft."

Die FINANCIAL TIMES aus London fragte sich überdies, ob die Reformen tatsächlich das Grund für das Scheitern der SPD in Hamburg waren:

"Zwei der schwersten SPD-Wahlniederlagen des vergangenen Jahres - in Niedersachsen und Hessen - vollzogen sich, bevor der Kanzler sein Reformpaket vorstellte. Ein Versuch Schröders, seine Reformen rückgängig zu machen, könnte sich auch als fatal für seine schon angespannte Koalition mit den Grünen herausstellen. Obwohl neue Reformen von den Ausmaßen wie im vergangenen Jahr im Moment nicht zur Debatte stehen, erscheint es unwahrscheinlich, dass Lafontaines Rufe nach einem deutlichen Linksschwenk erhört werden werden."

Für die SPD könnte es nach der Hamburg-Wahl, so der CORRIERE DELLA SERA aus Rom, noch schlimmer kommen:

"Der Test in Hamburg ist lediglich der erste von insgesamt 14 in diesem Jahr, die der Kanzler zu überstehen hat, und falls es keinen großartigen Stimmungsumschwung geben sollte, laufen diese Wahlen Gefahr, zu einem schmerzvollen Kreuzweg zu werden, an dessen Ende das Überleben seiner Regierung auf dem Spiel stehen könnte."

DER STANDARD aus Wien hob einen allseits als positiv bewerteten Aspekt der Hamburg-Wahl hervor:

"Am erfreulichsten ist das Debakel des Rechtspopulisten Ronald Schill in Hamburg: Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass sich rechte Parteien in Deutschland nicht lange halten können. Vom Niedergang Schills profitierte die CDU. Nach seinem Wahltriumph bezeichnete es (der Bürgerschaftsvorsitzende Ole von) Beust aber als Fehler, überhaupt mit Rechtspopulisten zusammengearbeitet zu haben. Das zeugt von einer Einsicht und von Selbstkritik, die vielen österreichischen Politikern abgeht."