1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Christina Pannhausen22. November 2003

Verschärfte Sparauflagen der EU-Kommission für Deutschland/ SPD-Parteitag in Bochum

https://p.dw.com/p/4MUT
In den Kommentarspalten der europäischen Tagespresse fanden in dieser Woche die von der EU-Kommission geforderten Sparauflagen für Deutschland besondere Beachtung. Ein weiteres Thema war der SPD-Parteitag in Bochum.

Zur europäischen Diskussion um die Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik schrieb die britische FINANCIAL TIMES:

"Die Aufforderung an das größte Mitglied der Eurozone, sein strukturelles Haushaltstief zu reduzieren, ist zugleich auch der Versuch, die Glaubwürdigkeit des angeschlagenen Stabilitätspakts zu retten. Auch an Frankreich ist eine ähnliche Bitte ergangen. Beide Länder scheinen entschlossen, die Empfehlungen der Kommission zu ignorieren. Frankreich und Deutschland werden in der Konfrontation mit der Kommission wahrscheinlich die Oberhand behalten. Aber dieser Sieg wird einen Preis haben. Der Stabilitätspakt wird als Instrument für eine Koordinierung der währungspolitischen Mechanismen in der Eurozone an Ansehen verlieren. Für die öffentlichen Haushalte Frankreichs und der Bundesrepublik besteht das Risiko einer weiteren Verschlechterung", gab die FINANCIAL TIMES zu bedenken.

Ähnlich kritisch über das Verhalten Deutschlands und Frankreichs äußerte sich die rechtsliberale dänische Tageszeitung JYLLANDS- POSTEN:

"Diverse politische Egotrips von Deutschland und Frankreich haben zu einem gefährlichen Spiel mit der Zukunft der EU geführt. Wenn die Außenminister beider Länder ganz offen mit der Ausweitung ihrer derzeit engen Zusammenarbeit zu einer Privat-Union flirten, veranstalten sie politisch derartig viel Lärm, dass dies das gemeinsame Zukunftsbild für alle 25 eng zusammenarbeitenden EU-Länder in den Hintergrund drängt. Beide Länder wackeln wirtschaftlich. Ihre ausgeprägte Arroganz dabei muss natürlich zu tiefem Nachdenken bei den neuen Mitgliedsländern und etwas weniger intensiv auch bei den kleineren und mittleren der alten Mitglieder führen. Das muss wohl zu einem Herabschrauben der hohen Ambitionen des EU-Konvents führen", befürchtete der in Kopenhagen erscheinende JYLLANDS-POSTEN.

Die SALZBURGER NACHRICHTEN aus Österreich beleuchteten im Zusammenhang mit dem verschärften Defizitverfahren gegen Deutschland die Rolle von Finanzminister Hans Eichel:

"Deutschland wünscht jetzt, dass man den Stabilitätspakt 'flexibel' auslegt und die deutschen Bemühungen zur Ankurbelung des Wachstums nicht durch Sparauflagen konterkariert. Dieser Wunsch ist angesichts der deutschen Wirtschaftsflaute durchaus verständlich. Nur ist Hans Eichel nicht der richtige Mann, ihn zu äußern. Eichel hat nämlich in seinen Zeiten als 'Sparminator' durch einen rigorosen Sparkurs dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft in ihre jetzige Misere geschlittert ist. Dass er jetzt größere finanzielle Freiräume und mehr Möglichkeit zum Geldausgeben fordert, kommt einem Offenbarungseid gleich", so die SALZBURGER NACHRICHTEN.

Über den Appell von Bundesfinanzminister Hans Eichel für großzügigere Kriterien beim Euro-Stabilitätspakt schrieb die niederländische Zeitung TROUW:

"Eigenartigerweise kommt dieser Aufruf aus einem Land, das sich in den neunziger Jahren am stärksten für strenge Kriterien im Rahmen der Währungsunion einsetzte. Es ist ein wichtiges politisches Faktum, wenn Eichel nun zur Ansicht gelangt, dass die Vereinbarungen dem ökonomischen Wachstum in der Eurozone im Weg stehen. Gleichzeitig ist es eine bedenkliche Form von Opportunismus. Erst wenn in den großen europäischen Volkswirtschaften die Staatsfinanzen saniert worden sind, gibt es Spielraum, um über den Stabilitätspakt zu reden."

Anders sah es die französische Wirtschaftszeitung LES ECHOS. Sie schreibt Deutschland weiterhin die Rolle eines Konjunkturmotors in Europa zu:

"Aus Sicht der Europäischen Union nimmt das Deutschland Gerhard Schröders in Sachen Konjunktur eine Schlüsselposition ein. Das Land beruhigt seine Partner, indem es langsam die Rezession hinter sich lässt und bei den vor Jahren noch undenkbaren Reformen den Kurs hält. Die Herausforderung, um die alle wissen, ist erheblich. Und zwar für die Deutschen, aber auch für die ganze EU, die sich sehnlichst eine Wirtschafts-Lokomotive wünscht. Bleibt die Frage, von welchem Punkt an in diesem Zusammenhang eine neue Lesart des Stabilitätspaktes zu weit ginge. Berlin predigt beim Pakt den Kompromiss, und auch Paris ist nach dem ungenierten Etatverhalten wieder mehr auf Konsens aus", so die französische Zeitung LES ECHOS.

Die niederländische sozialdemokratisch orientierte Zeitung DE VOLKSKRANT analysierte die Debatte um den Euro-Stabilitätspakt folgendermaßen:

"Der Stabilitätspakt hat eine wichtige Funktion bei der Einhaltung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten. Er ist ein Stock, den man bereit hält, aber der Stock darf nur gegen Länder eingesetzt werden, die sich sehr schlecht betragen. Bei Frankreich und Deutschland ist das derzeit nicht der Fall. Die Maßnahmen, die Deutschland und Frankreich ergreifen wollen, um den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten, die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu vergrößern und die Rentenbelastung zu verringern, sind begrüßenswert. Vor allem Deutschland als größte Volkswirtschaft in der EU braucht Reformen. Der Pakt hat bisher seinen Wert bewiesen. Er bleibt wichtig, um Politiker zur Haushaltsdisziplin zu zwingen. Eine allzu strikte Interpretation war aber nie die Absicht", kommentierte die Zeitung DE VOLKSKRANT.

Abschließend zu diesem Thema ein Blick in die linksliberale spanische Zeitung EL PAÌS, die ihr Augenmerk auf die insgesamt verbesserten Konjunkturaussichten in der Europäischen Union richtete:

"Die Erholung der Konjunktur in Deutschland und Frankreich bedeutet, dass in Europa die Gefahr einer Rezession gebannt ist. Die USA wirkten dabei als Lokomotive, die die Wirtschaft wieder in Schwung brachte. In Deutschland und Frankreich trugen die Verkäufe ins Ausland entscheidend dazu bei, dass die Phase der Rezession überwunden wurde. Vor allem in Deutschland bewiesen die Exporte eine erstaunliche Dynamik, obwohl die Aufwertung des Euro eine Verteuerung bedeutete. Das heißt: Die deutschen Hersteller sind mit ihren Gütern noch immer in ausreichendem Maße konkurrenzfähig."

Themenwechsel. Nun zum SPD-Parteitag in Bochum. Über die Bestätigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder als SPD-Vorsitzender meinte die Mailänder Tageszeitung CORRIERE DELLA SERA:

"Gerhard Schröder hat nicht mit Anstrengungen, Schmeicheleien und auch nicht mit intellektuellem Mut gespart, um die Köpfe und Herzen der obersten Sozialdemokraten zu erobern und eine durch die Umfragen gedemütigte SPD wieder rund um die rot-grüne Regierung zu scharen. Aber um zu sagen, ob dies dem Bundeskanzler gelungen ist, reichen weder der lange Applaus für seine Rede noch die voraussehbare Wiederwahl zum Vorsitzenden der SPD aus. Es werden die kommenden Monate sein, der Ausgang der Reformen und vor allem deren praktische Auswirkungen auf die noch unsichere wirtschaftliche Erholung, die die entscheidende Antwort liefern werden", äußerte der italienische CORRIERE DELLA SERA.

Und die NEUE ZÜRICHER ZEITUNG konstatierte:

"Die Frage, die sich nach 'Bochum' also stellt, ist jene, wem der Kongress denn eigentlich nun gedient habe. Schröder, Clement und Eichel sind mit einem blauen Auge davongekommen. In Berlin werden sie ihr Reformwerk zu retten versuchen und gegen die sinkenden Popularitätswerte ankämpfen. Die Basis pariert oder wird weiter in die politische Heimatlosigkeit emigrieren. Wenn nicht ein Wunder in Form eines plötzlich ausbrechenden Wirtschaftsbooms geschieht, wird die rot-grüne Regierung kaum überleben. Und die SPD könnte in der Tat aufhören, eine Volkspartei zu sein."