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Hu Jintao muss raus aus der Deckung

Matthias von Hein20. September 2004

Jiang Zemin, bislang der starke Mann in Peking, hat sein letztes Amt als Militärchef aufgegeben. Jetzt muss Nachfolger Hu Jintao zeigen, welchen Kurs er einschlagen will, schreibt Matthias von Hein in seiner Analyse.

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Jiang Zemin tritt ab, Hu Jintao gewinnt an MachtBild: AP

Es war ein Abschied wie aus dem Bilderbuch: In voller Länge verlas das chinesische Fernsehen das Rücktrittsgesuch Jiang Zemins. Darin enthalten war selbstverständlich das Bekenntnis zu vollem Vertrauen in die neue Führung. Umgekehrt demonstrierte Hu Jintao im Fernsehen großen Respekt vor Jiang und würdigte dessen Verdienste um Volk und Partei. Die Stunde des Abschieds war erkennbar geprägt vom Willen zur Harmonie.

Dabei hatte es in den letzten Monaten so gar nicht nach Harmonie zwischen Jiang und Hu ausgesehen. Im Klima der Geheimniskrämerei vor wichtigen Sitzungen wie der jetzt abgeschlossenen Tagung des Plenums des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei gediehen Gerüchte über einen Machtkampf zwischen Hu und Jiang. Letzterer hatte sich vor der Stabsübergabe an die vierte Führungsgeneration im Frühjahr 2003 durchgesetzt und war Vorsitzender der zentralen Militärkommission geblieben. So hatte er weiterhin maßgeblichen Einfluss auf die chinesische Politik nehmen zu können.

Wichtige Schaltstellen besetzt

Als Oberbefehlshaber des Militärs besaß Jiang nicht allein die Macht, die aus den Gewehrläufen kommt. Jiang hatte auch Personal seiner Wahl an allen wichtigen Schaltstellen der Macht postiert. Mehr als die Hälfte des ständigen Ausschusses des Politbüros, der innerste Kreis der chinesischen Führung also, ließ sich zum Jiang-Lager rechnen. Auch ließ es Jiang sich nicht nehmen, regelmäßig hohe Staatsgäste zu empfangen. Das gehörte zwar keineswegs zu seinen Aufgaben, brachte ihn aber regelmäßig auf die Titelseite der parteieigenen Volkszeitung. Beim Besuch der amerikanischen Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice im Sommer erläuterte nicht etwa Staats- und Parteichef Hu Jintao Pekings Taiwan-Politik, sondern Jiang Zemin.

Der Spielraum von Hu Jintao und seinem Ministerpräsidenten Wen Jiabao blieb mit dem im Hintergrund eifrig agierenden Jiang Zemin begrenzt. Und die geteilte Macht wirkte sich lähmend auf ein System aus, das auf klare Anweisungen von oben ausgerichtet ist. Ein Beispiel: Die neue Führung propagierte ein Abkühlen des Wirtschaftswachstums, sprach gar von "nachhaltigem Wirtschaften". Das aber klang gar nicht gut in den Ohren der Provinzfürsten - insbesondere im prosperierenden Osten. Die setzen weiterhin auf Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Darin hatten sie bislang in Jiang Zemin einen mächtigen Verbündeten - der hatte diesen Kurs schließlich eineinhalb Jahrzehnte lang vertreten. Im Ergebnis wurde zwar in Peking beschlossen, die Investitionen zu drosseln. In der Praxis aber hat man sich in den Provinzen mit Deckung des Jiang-Lagers darum kaum geschert.

Gewinner Hu Jintao

Sollte es tatsächlich einen Machtkampf hinter den Kulissen gegeben haben, dann hat sich Hu Jintao durchgesetzt. Denn nach Jiangs Rückzug vom Vorsitz der zentralen Militärkommission hält er jetzt endlich alle Fäden der Macht in seiner Hand. Hu hat sich bislang als vorsichtiger und geschickter Taktiker der Macht erwiesen. Was seine weiteren politischen Ziele angeht, hat er sich eher bedeckt gehalten. Jetzt ist es für Hu an der Zeit, aus der Deckung zu kommen und unmissverständlich klar zu machen, für welchen Kurs er steht. Jetzt kann er zeigen, wie wichtig ihm die Verlierer im chinesischen Modernisierungsprozess wirklich sind. Jetzt kann er zeigen, was die von ihm und seinem Ministerpräsidenten Wen geprägte Formel vom "friedlichen Aufstieg Chinas" etwa in Bezug auf Taiwan bedeutet. Und es wird sich zeigen, ob Hu hinter seinem verbindlichen Lächeln überhaupt eine Agenda versteckt hat.