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Heftige Kritik

Wolter von Tiesenhausen4. Dezember 2002

Die Bundesregierung steht vor großen Problemen. Die Haushaltsdebatte des Bundestages spiegelte das wider, wobei sich dahinter grundsätzlichere Fragen verbergen. Wolter von Tiesenhausen kommentiert.

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Noch nie ist das Ansehen eines Bundeskanzlers nach einer
erfolgreichen Wahl so schnell gesunken, wie das gegenwärtig zu beobachten ist. Es ist gerade einmal zweieinhalb Monate her, dass Gerhard Schröder und seine Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen ihre Mehrheit behaupten konnte. Der damals erreichte knappe aber ausreichende Vorsprung vor der Opposition aus Christdemokraten und
Liberalen ist längst dahin.

Wären heute Bundestagswahlen könnte die Union alleine die absolute Mehrheit erringen. Die Werte für des Kanzlers Sozialdemokraten liegen unter 30 Prozent.

Die Ursache für diesen rapiden Vertrauensschwund ist die Enttäuschung der Wähler darüber, dass vor der Wahl Erwartungen genährt wurden, die nach der Wahl nicht einzuhalten waren. Stattdessen werden Steuern erhöht, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, eine grundlegende Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme ist nicht in Sicht. Regierung und Koalition präsentieren sich mit einer Mischung aus Unentschlossenheit, Widersprüchen und Ausflüchten.

Wen wundert es, dass sich die Enttäuschung zunächst in Hohn und Spott Luft macht und jetzt dabei ist, sich in Zorn zu wandeln.

Sozialdemokraten und Grüne führen das auf die Agitation der Opposition, auf den Widerstand der Interessenverbände und die Böswilligkeit der Medien zurück. Nur ab und zu lassen einzelne Formulierungen darauf schliessen, dass man auch selber Schuld an dieser Entwicklung sein könnte. So beklagte der Kanzler die "Kakophonie" in den eigenen Reihen. Doch übersteigt es offensichtlich seine Kräfte, solchen Missklang abzustellen. Nein, nicht die Kritik ist die Ursache der Schwierigkeiten, mit der die Regierung sich konfrontiert sieht, sie ist die ganz natürliche Folge.

Wenn auch die Schönredereien vor der Wahl nicht mehr zu korrigieren sind, so können dennoch nach der Wahl Konsequenzen gezogen werden. Konsequenzen, die unangenehm aber unumgänglich sind, wenn man sich
gegen den fast schon nicht mehr schleichenden Niedergang des Landes stemmen will. Dazu aber ist der Kanzler offenbar nicht Willens oder sogar schon nicht mehr in der Lage. Mit einer gewissen Trotzigkeit beharrt er darauf, dass alles schon wieder gut werde, wenn nur endlich die Weltkonjunktur wieder anspringe.

Das geht selbst seinem grünen Koalitionspartner zu weit, der gerne mehr Reformwillen zeigen würde, von der eigenen Führung aber mit Rücksicht auf sozialdemokratische Empfindlichkeiten gebremst wird. Das mag gut für das Koalitionsklima sein, den Zorn der Menschen wird es kaum
dämpfen.