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Glasnost flieht ins virtuelle Exil

Ali Akinci9. April 2002

Das russische Pressegesetz ist formal eines der liberalsten der Welt. Doch die Realität sieht anders aus. Die Internet-Medien bekommen dies zu spüren - staatliche Kontrolle gehört zur Tagesordnung.

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Raues Klima für russische Online-Journalisten - Kreml is watching youBild: AP

Das "Europäische Medieninstitut" (EIM) beklagt eine "beunruhigende Tendenz", die sich im russischen Internet abzeichnet. So plant seit 1998 der russische Geheimdienst FSB (vormals KGB) die Einführung eines Netzüberwachungssystems. Dieses System sollte es dem FSB unter anderem ermöglichen, E-Mails von privaten Nutzern einzusehen und sogar die Versendung zu stoppen, wenn angeblich "verdächtige" Inhalte gefunden werden. Bislang hat das Parlament dem entsprechenden Gesetz aber noch nicht zugestimmt.

1990 schaffte Michail Gorbatschow die Zensur der Presse offiziell ab. Zu diesem Zeitpunkt war das Internet in Russland noch kein großes Thema. Das hat sich geändert: Das WWW ist gewachsen und fällt auch unter die liberale Gesetzgebung. Es sollte Redaktionen schützen – weitestgehend vor staatlicher Einmischung.

"Stacheldraht" um Informationen

Kriminalität im Internet
Den Journalisten sind die Hände gebunden

Doch die Praxis sieht anders aus. Journalisten, die kritisch über Regierung und Staat berichten, isoliert der Kreml. "Öffentliche Informationen werden vorenthalten oder nur gefiltert zur Verfügung gestellt", zeigt sich die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" besorgt über die Lage. Oppositionelle Online-Medien würden in ihrer Arbeit behindert und überwacht.

Liberales Netz-Werk

Aus der russischen Internetszene hört man aber auch positive Stimmen. Kritische Online-Magazine dürften ungehindert ihre Texte ins Netz stellen, heißt es da. Kein staatlicher Apparat mische sich nennenswert in die Redaktionsabläufe ein. Vielmehr sei das Web eine Art "Exil" für kritische Journalisten. Von dort aus könne man ungehindert regierungskritischen Journalismus betreiben. Provider, die in Konflikt mit der Regierung geraten könnten, stellten ihre Server sowieso im sicheren Ausland auf. Eine Gleichschaltung im Internet sei darum völlig ausgeschlossen.

Dafür ist das Internet für die Regierung im Moment auch noch nicht wichtig genug. Zu wenige Menschen haben in Russland Zugang zum World Wide Web. Von knapp 147 Millionen Russen nutzen sechs Millionen das Internet. Surfen ist teuer und viele Russen haben dafür nicht das Geld. Die meisten Russen ziehen deshalb die altbewährten Medienangebote vor - vor allem Fernsehen.

"Njet" und "Da" zur Regierungskritik

Wladimir Putin
Wladimir PutinBild: AP

Auf die traditionellen Medien hat der Kreml deshalb ein besonders "wachsames Auge": Präsident Wladimir Putin muss deshalb immer wieder auf Kritik reagieren. So sagte er im Januar 2001, die Berichte über Einschränkungen der freien Meinungsäußerung seien übertrieben. Doch der russische Presseminister, Michail Lessin, sieht das anders: Im Februar räumte er ein: "Eine Bedrohung des freien Wortes besteht zweifellos." Damit meinte er aber die Einflußnahme von einzelnen Oligarchen auf die Medien, nicht die staatliche Kontrolle.