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Gauck trifft Obama

Spencer Kimball / cr7. Oktober 2015

Zum ersten Mal seit 18 Jahren betritt mit Joachim Gauck ein deutsches Staatsoberhaupt das Weiße Haus. Gauck trifft mit US-Präsident Obama zusammen. Gaucks USA-Reise stand bisher im Zeichen gemeinsamer Werte.

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Joachim Gauck in Washington (Foto: picture-alliance/dpa/W. Kumm)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Barack Obama und Joachim Gauck - beide sind Staatsoberhäupter, aber ihre Rollen sind unterschiedlich. Der eine ist Oberbefehlshaber der einzigen Supermacht, der andere erfüllt lediglich repräsentative Aufgaben für die führende Nation Europas. Bundespräsident Joachim Gauck steht über der Politik und ist eine moralische Autorität. US-Präsident Barack Obama hingegen übt echte Macht aus, in all ihren tödlichen und moralisch zweifelhaften Dimensionen.

An diesem Mittwoch treffen sich die beiden Präsidenten. Es ist das erste Mal seit 18 Jahren, dass ein deutsches Staatsoberhaupt das Weiße Haus betritt. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Gauck besucht die USA, um den 25. Jahrestag der Deutschen Einheit zu feiern, ein bahnbrechender historischer Moment, bei dem die USA eine entscheidende Rolle spielten.

Auch Gauck war Teil dieses historischen Ereignisses - als protestantischer Pastor, politischer Dissident und DDR-Bürgerrechtsaktivist. Nach dem Fall des Kommunismus wurde er Beauftragter für die Stasi-Unterlagen. Die DDR-Geheimpolizei hatte über Jahrzehnte selbst ganz normale Bürger ausspioniert und hielt die Informationen in dem riesigen Archiv fest.

Heute ist dieses Archiv zugänglich für Journalisten, Historiker und die Opfer der Überwachung. Es ist ein Symbol dafür, wie wichtig die Transparenz von der Regierung und das Recht auf Privatsphäre sind. Nach der Ansicht von Jeffrey Anderson, Direktor des "BMW Center for German and European Studies", bietet das Treffen der beiden Präsidenten die Möglichkeit, über die Bedeutung der Privatsphäre zu diskutieren - und das nicht aus politischem, sondern aus moralischem und philosophischem Blickwinkel.

Es wäre für Gauck die Möglichkeit, die verschiedenen Geschichten beider Länder zu unterstreichen, woraus auch unterschiedliche Einstellungen beispielsweise zum Wert der Privatsphäre resultierten, sagt Anderson im Gespräch mit der DW: "In den USA ist die Einstellung zum Datenschutz laxer."

"Demokratisch unkontrollierbar"

Joachim Gauck in einer Menschenmenge in Philadelphia (Foto: DPA)
Gaucks erste Station war Philadelphia: Hier wurde die US-Verfassung geschrieben.Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Bundespräsident Gauck spricht in seinen Reden regelmäßig über die Bedeutung der Freiheit und bezieht sich dabei oft auf seine eigene Lebenserfahrung. Somit überrascht es auch nicht, dass er Philadelphia als erste Station seines USA-Besuchs ausgewählt hat. Die Stadt war die erste Hauptstadt der Vereinigten Staaten, der Ort an dem die Unabhängigkeit erklärt und die Verfassung geschrieben wurde.

In seiner Rede an der University of Pennsylvania am Dienstag drückte Gauck dann auch seine Bewunderung aus für die demokratischen Ansprüche und Institutionen, die in den Gründungsdokumenten der USA festgelegt wurden. "Er hat die Rede in Philadelphia auch mit Blick auf das Publikum in Deutschland gehalten", sagt Cornelius Adebahr, Experte für deutsche Außenpolitik der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden. "Er wollte die Menschen in Deutschland daran erinnern, dass die USA mehr sind als der NSA-Skandal oder Afghanistan und all die Kriege", sagt Adebahr. "Es gibt eine Idee hinter Amerika, die sehr eng mit der Aufklärung und den europäischen Idealen verbunden ist."

Der ungelöste NSA-Skandal

Doch Gauck ist nicht nur gekommen, um seinen amerikanischen Gastgebern zu schmeicheln. Er drückte seine Sorge aus über "das Bild Amerikas, das in Teilen Europas und besonders in Deutschland entsteht." Er sprach den NSA-Skandal an und fragte, warum US-Nachrichtendienste Telefonate von deutschen Regierungsmitgliedern - sogar vom Landwirtschaftsminister - abhören. "Was hat das mit dem Kampf gegen Terrorismus zu tun?", fragte Gauck. "Und warum gewinnen deutsche Bürger den Eindruck, ein Angriff auf ihre Privatsphäre sei eine demokratisch nicht kontrollierbare Folge der Abwehr einer terroristischen Bedrohung?"

Gauck hielt seine Rede ausgerechnet an dem Tag, an dem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg den "Safe Harbor"-Vertrag kippte, der bereits seit 15 Jahren zwischen der EU und den USA besteht. Das Abkommen erlaubt US-Unternehmen mit ihren relativ geringen Datenschutzstandards, persönliche Daten von europäischen Kunden auf Servern in den USA zu speichern.

Das Gericht urteilte im Hinblick auf die Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden, dass die Daten in den USA nicht ausreichend vor dem Zugriff von Behörden und Geheimdiensten geschützt seien. Das verletze die Rechte der Europäer.

Zwei Jahre ist es nun her, dass Snowden die Massenüberwachung der NSA an die Öffentlichkeit brachte. Danke seiner Dokumente wurde öffentlich, dass US-Geheimdienste massenhaft die Daten deutscher Bürger gespeichert und sogar des Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hatten. Die Bundesregierung forderte ein "No-Spy-Abkommen" mit den USA, daran gab es in Washington jedoch wenig Interesse.

Edward Snowden in einer Video-Schalte (Foto: Reuters)
Die Veröffentlichungen von Edward Snowden lösten den NSA-Skandal ausBild: Reuters/V. Kessler

"Der NSA-Skandal ist noch immer nicht gelöst, er schwelt weiter. Wir haben bislang keine fundamentalen Veränderungen gesehen", sagt Adebahr. "Der NSA-Skandal scheint eine speziell deutsche Sache zu sein", sagt er. "Hier [in den USA] ist das Ausspähen von Ausländern kein Skandal, und es ist auch kein Skandal in den meisten anderen europäischen Ländern."

Wofür stehen die USA noch?

Gauck machte seinem US-Publikum dennoch klar, dass sich viele Deutsche infolge des NSA-Skandals die Frage stellen, wofür die USA eigentlich stehen. Manch einer frage sich, "ob die Wertegemeinschaft zwischen unseren beiden Ländern überhaupt besteht. Ja, ob die Vereinigten Staaten sich nicht mittlerweile von den gemeinsamen Grundlagen verabschiedet haben?", sagte der Bundespräsident.

"Hier scheint mir ein tragfähiger Ausgleich unserer Interessen noch nicht erreicht zu sein", sagte Gauck. "Hier hätten die Vereinigten Staaten ihrerseits eine gute Gelegenheit, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen."