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Frauen im Kosovo: Aufbegehren gegen Männerdominanz

23. Februar 2006

Viele Frauen im Kosovo leben praktisch am Rande der Gesellschaft. Ihr Leben ist von Diskriminierungen und Hindernissen geprägt. Aber es gibt Frauen, die kämpfen und sich einmischen wollen – auch in der Politik.

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Schwerer Stand für FrauenBild: AP

"Ich kämpfe. Ich bin jung, ich bin eine Frau, und ich lehre an einer männlich dominierten Universität. Das ist eine Herausforderung, aber ich mag es, herausgefordert zu werden." Linda Gusíja ist 26 Jahre alt und Soziologin. Sie lehrt an der Universität von Prishtina Gender Studies. Kein leichtes Unterfangen in einer so stark patriarchal geprägten Gesellschaft wie dem Kosovo, sagt die junge Frau mit den dunklen langen Haaren. Nita Ljucy kämpft an anderer Stelle für die Sache der Frauen: einmal in der Woche moderiert sie eine Radioshow mit geladenen Gästen, wo auch Hörer anrufen können: "Die Show heißt: ‚So lange es nicht zu viel Feminismus ist’. Wir entwickelten gerade das Konzept, und man sagte mir: wir kennen Dich, so lange es nicht zu viel Feminismus ist - deshalb trägt die Show jetzt diesen Namen."

Frauen leiden ökonomisch

Das Bewusstsein für die besondere Lebensrealität von Frauen ist im Kosovo nicht sehr stark ausgeprägt. Sie leiden in besonderem Maße unter der politischen und vor allem unter der wirtschaftlichen Situation des Landes, sagt die Universitätsdozentin Gusija: "Das Problem ist: die Frauen hier befinden sich am Rande der Gesellschaft. Sie leiden ökonomisch. Daher können sie nicht zur Schule gehen, sie können sich nicht weiterbilden, sie haben keine Arbeit. Wir haben 70 Prozent Arbeitslosigkeit im Kosovo, und natürlich bekommen die Männer die bestbezahlten Jobs."

Das Kosovo war schon zu Zeiten Jugoslawiens das Armenhaus des Landes. Seit dem Krieg 1999 hat sich die Situation verschlimmert. Unzählige Menschen wurden vertrieben, mehr als 800 000 flüchteten ins Ausland. Bis heute hat die südserbische Provinz Kosovo, die seit 1999 von den Vereinten Nationen verwaltet wird, keine funktionierende Ökonomie. Weil viele Menschen arm sind und glauben, dass ihre Söhne später leichter Arbeit finden werden als ihre Töchter, müssen selbst Mädchen, die die höheren Schulen besuchen, diese im Alter von 16, 17 Jahren verlassen, erzählt Linda Gusija.

Männerdominanz auch in Schulbüchern

Das weibliche Geschlecht fehle nicht nur auf den Schulbänken, sondern auch in den Schulbüchern, denn dort sei vor allem von Kämpfern und Soldaten die Rede, die Kampf und Krieg verherrlichen. Linda Gusija: "Das vermittelt den Kindern Aggressivität, Männerdominanz, Machotum. Wenn man zur Schule geht und man lernt beispielsweise nichts über Schriftstellerinnen oder Dichterinnen, verändert das natürlich die Sicht auf die Welt."

Die Sicht auf die Welt habe auch der Einzug religiöser Organisationen in den bislang wenig religiösen Kosovo verändert, sagt Nita Ljuci, die als Anthropologin an ihrer Dissertation über Frauen im Kosovo schreibt: "Es gibt islamische Organisationen, die haben Frauen oder ihre Väter dafür bezahlt, dass sie ihre Töchter verschleiern. Auch manche Kirchen "helfen" auf unterschiedliche Weise, was nichts anderes ist als der Versuch, die Menschen zu konvertieren. Ich denke, das ist sehr problematisch, v.a. die Art und Weise, wie es gemacht wird."

Nationale Romantik statt realer Probleme

In der Politik spielen Frauen und ihre Probleme überhaupt keine Rolle, sagt Linda Gusija: "Wenn wir z.B. über die gynäkologische Abteilung im Krankenhaus von Prishtina sprechen und darüber, dass wir jede Nacht 40 Geburten haben. Und wie man diesen Frauen helfen kann. Wenn wir über reale, alltägliche Dinge sprechen - die Politiker tun es nicht. Sie berücksichtigen nicht nur den Genderaspekt nicht, sie sprechen auch nicht über Elektrizität, die uns fehlt. Alle bleiben schön abstrakt und sprechen über nationale Romantik, das ist es, was wir hier haben."

Nationalismus und staatliche Unabhängigkeit bestimmen das politische Denken und Handeln in der südserbischen Provinz Kosovo - daran ändert auch eine Frauenquote von 30 Prozent im Parlament bislang nichts. Linda Gusija meint: "Die meisten haben eine dekorative Funktion. Ich hoffe und glaube daran, dass sich das ändern wird... In Zukunft werden wir Frauen in der Politik haben, die wirklich überzeugt sind, von dem, was sie tun. Und nicht nur da sind, weil der Chef einer politischen Partei sie ausgewählt hat oder weil er weiß, dass sie gehorsam sind."

Mirjam Steger
DW-RADIO, 23.2.2006, Fokus Ost-Südost