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Internationaler Literaturpreis

16. Mai 2011

Die Vielstimmigkeit der Literatur steht im Zentrum, wenn das Berliner Haus der Kulturen der Welt den Preis an fremdsprachige Autoren und ihre Übersetzer vergibt. Aus 130 eingereichten Titeln wurden sechs nominiert.

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Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin (Foto: AP)
Das Haus der Kulturen der WeltBild: AP

Entwurzelte Menschen auf der Suche nach Identität und historische Großaufnahmen prägen die Shortlist des zum dritten Mal ausgelobten Internationalen Literaturpreises. Geschichten, die zwischen knallharter Realität und traumhaften Sequenzen changieren, fallen besonders ins Auge. Dabei dient vielen Autoren das eigene Leben zwischen Sprachen und Kulturen als literarischer Steinbruch. Die Jury hat in diesem Jahr auf renommierte Autoren gesetzt, die in ihren Ländern bereits einen Namen haben, aber in Deutschland noch wenig gelesen werden. Wer den Preis am Ende bekommt, entscheidet sich Mitte Juni. Hier die Nominierten und ihre Bücher:


José Eduardo Agualusa (Foto: Jordi Burch)
José Eduardo AgualusaBild: Jordi Burch

José Eduardo Agualusa gehört zu den international bekanntesten Autoren Angolas. In seinem Roman "Barroco tropical" wirft er einen kritischen Blick auf die Zukunft seines Heimatlandes. Darin fällt buchstäblich eine Frau vom Himmel. Und zwar vor die Füße eines Schriftstellers. Was folgt, ist eine fantastische Odyssee durch die angolanische Hauptstadt Luanda und ihre Abgründe. Korrupte Politiker, Lebenskünstler abseits der Gesellschaft und tanzende Engel auf Hochhausruinen. Aus einzelnen Erzählfragmenten entwirft der 50jährige ein Mosaik der angolanischen Gesellschaft und ihrer kulturellen Vielfalt.

Michael Kegler hat mit "Barroco tropical" auch den dritten Roman von José Eduardo Agualusa ins Deutsche übersetzt. Der Buchhändler und Journalist arbeitet seit Ende der Neunziger Jahre als Übersetzer aus dem Portugiesischen.

José Eduardo Agualusa: "Barroco tropical", aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. A1 Verlag 2011

Joanna Bator (Foto: Krzysztof Lukasiewicz)
Joanna BatorBild: Krzysztof Lukasiewicz


Um drei starke Frauen aus drei Generationen geht es in dem Roman der Polin Joanna Bator. Sie selbst ist 1968 in Wałbrzych in Niederschlesien (ehemals Waldenburg) geboren. In "Der Sandberg" wirft sie einen Blick auf das Leben am Rande ihrer Geburtsstadt. In einer trostlosen Plattenbausiedlung aus kommunistischer Zeit prallen die Lebensträume und Hoffnungen eines jungen Mädchens und ihrer Mutter und Großmutter aufeinander. Während die einen von einem Leben im 'goldenen Westen' träumen, hadern die anderen mit den Erinnerungen an die ferne Vergangenheit. Vertreibung und Umsiedlung spiegeln sich da in einer geheimnisvollen Familiengeschichte. Dabei spannt Joanna Bator den historischen Bogen vom zweiten Weltkrieg bis zum Alltag im Kommunismus. "Der Sandberg" ist der erste auf Deutsch erschienene Roman der polnischen Autorin.

Übersetzt hat ihn Esther Kinsky, die gerade ihren zweiten eigenen Roman "Banatsko" veröffentlicht hat. Sie gilt als eine der erfahrensten Übersetzerinnen aus dem Polnischen und Russischen und wurde bereits mit dem renommierten Paul-Celan-Preis ausgezeichnet.

Joanna Bator: "Der Sandberg", aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Suhrkamp Verlag 2011


Um historische Wunden geht es auch in Edwidge Danticats hochgelobtem Buch. Ihr Geburtsland Haiti stand jahrzehntelang unter der Diktatur von Vater und Sohn Duvalier (genannt "Papa Doc" und "Baby Doc"). Wie geht die nachgeborene Generation damit um, dass sich hinter liebenden Vätern brutale Mörder und Folterer verbergen? Edwidge Danticat, die mit 12 Jahren in die USA emigrierte, sucht nach Antworten. In einem Geflecht von locker miteinander verbundenen Erzählungen beschreibt sie die Erblast einer Diktatur, die noch das Leben im Exil überschattet. Die 42jährige gilt als eine der wichtigsten Stimmen der karibisch-amerikanischen Literatur und bekam für ihre bisherigen Romane und Erzählungen bereits den "American Book Award".

Edwidge Danticat (Foto: David Shankbone)
Edwidge DanticatBild: David Shankbone

Ihre Übersetzerin Susann Urban hat Anglistik studiert und arbeitet auch als Lektorin. Sie hat bereits Autoren wie Richard Burton und John Steinbeck aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen.

Edwidge Danticat: "Der verlorene Vater", aus dem Amerikanischen von Susann Urban. Edition Büchergilde 2010


Der jüngste Autor auf der Shortlist liefert in diesem Jahr auch das formal spannendste und mit 600 Seiten monumentalste Werk. Ein Roman, bestehend aus nur einem Satz, der sich durch die Kriegsgeschichte Europas hindurch windet. Ein französischer Agent sitzt in einem Zug gen Rom und hat einen Aktenkoffer voller Geheimdokumente über die Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts bei sich. Er will sie dem Vatikan verkaufen und so seinen eigenen Hals aus der Schlinge ziehen. Ein gigantischer innerer Monolog, aufgeteilt in 24 Kapitel. Ein Epos unserer Zeit im Stil von Homers "Ilias". Dafür wurde der 39jährige Franzose bereits mehrmals ausgezeichnet, unter anderem mit dem deutsch-französischen Candide-Preis.

Mathias Énard (Foto: OpalMEA)
Mathias ÉnardBild: OpalMEA

Sabine Müller und Holger Fock haben das gewaltige Werk gemeinsam ins Deutsche übertragen. Beide arbeiten seit über 20 Jahren als literarische Übersetzer aus dem Französischen.

Mathias Énard: "Zone", aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Berlin Verlag 2010


Elias Khoury ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der arabischen Welt. Der 62jährige Libanese gilt als unbequemer Kritiker und Intellektueller. Immer wieder thematisiert er in seinen Büchern den Verlust von Identität und Heimat. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, wie auch in seinem Roman "Yalo". Der junge Titelheld ist ein Vergewaltiger und politischer Mitläufer. Bis er selbst in einem der berüchtigten Foltergefängnisse landet. Aus dem Täter wird ein Opfer. Innerlich zerrissen, erschreibt er sich immer neue Versionen seines Lebens. Traum und Albtraum, Realität und Fantasie beginnen ineinander zu fließen.

Elias Khoury (Foto: Heike Steinweg)
Elias KhouryBild: Heike Steinweg

Leila Chamma ist studierte Islamwissenschaftlerin und übersetzt arabische Prosa und Lyrik ins Deutsche. Darüber hinaus berät sie Verlage und Institutionen wie das Auswärtige Amt in Fragen arabischer Literatur und Sprache.

Elias Khoury: "Yalo", aus dem Arabischen von Leila Chamman. Suhrkamp Verlag 2011


Michail Schischkin ist der einzige Autor Russlands, der mit den drei wichtigsten Literaturpreisen des Landes ausgezeichnet wurde. In 14 Sprachen übersetzt, ist Schischkin im deutschsprachigen Raum dennoch relativ unbekannt. Und das obwohl er seit 1995 in der Schweiz lebt und arbeitet. In "Venushaar" nimmt er sein eigenes Leben als Folie und erzählt von einem Dolmetscher, der für die Schweizer Einwanderungsbehörde übersetzt. Die Asylbewerber erfinden immer neue Geschichten von Brutalität und Gewalt, um im Konsumparadies Schweiz bleiben zu können. Assoziativ montiert Schischkin in diesen Erzählstrom russische Märchen und griechische Heldensagen, bis sein Alter Ego selbst die Realität unter den Füßen verliert.

Michail Schischkin (Foto: Yvonne Böhler)
Michail SchischkinBild: Yvonne Böhler

Andreas Tretner hat "Venushaar" aus dem Russischen übersetzt. Der Lektor für slawische Literatur und literarische Übersetzer hat schon Autoren wie Vladimir Sorokin und Viktor Pelewin ins Deutsche übertragen.

Michail Schischkin: "Venushaar", aus dem Russischen übersetzt von Andreas Tretner

Die Preisträger werden am 15. Juni 2011 bekannt gegeben. Die Preisverleihung findet in Anwesenheit der Preisträger am 29. Juni in Berlin statt.


Autorin: Aygül Cizmecioglu
Redaktion: Gabriela Schaaf