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Fast eine Liebesbeziehung

Gerda Meuer19. Januar 2002

Am Anfang war es keine Liebesbeziehung. Als George W. Bush die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, schwieg Europa zunächst. Mittlerweile ist die Skepsis verschwunden.

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Zu Gast im Oval Office:<br>Bundeskanzler Gerhard SchröderBild: AP

Außer dem Spanier Jose Maria Aznar, der glaubte, endlich einen konservativen Verbündeten auf der Weltbühne zu haben, war nur Tony Blair, der unideologische britische Sozialdemokrat, sofort in die USA gefahren, um die besonderen englisch-amerikanischen Beziehungen zu pflegen.

Isolationismus befürchtet

Die anderen Europäer aber blieben eher skeptisch: Bush junior - das war in ihren Augen bloß ein eher provinzieller, weltpolitisch unerfahrener Politiker aus Texas. Sie waren sich sicher, dass Bush die USA deutlich isolationistischer regieren werde als sein Vorgänger. In der Handelspolitik stellte man sich deswegen auf offene Konflikte mit harten Bandagen ein.

Und in der Außenpolitik wirkte Bush, der vehemente Verfechter von NMD, dem Raketenabwehrschirm, wie ein Hardliner aus scheinbar längst vergangenen Tagen der Ronald-Reagan-Ära. Man war sich, jenseits der diplomatischen Floskeln vom "business as usual", in den meisten europäischen Staatskanzleien einig: Bush war gegenüber der charmanten Lichtgestalt Bill Clinton ein spröder Langweiler. Und an Europa war er scheinbar nicht sehr interessiert.

Umstrittene Raketenabwehr

Dann kam George W. Bush nach Europa. Er besuchte Spanien und machte anschließend Station in Brüssel auf einem NATO-Gipfel. Energisch focht er für seine Sicht der Dinge, analysierte die Gefahren, die von den so genannten Schurkenstaaten ausgingen - und machte deutlich, dass die Zeiten konventioneller Bedrohung aus seiner Sicht zu Ende gingen. Und deswegen sei er für NMD - einen Raketenabwehrschirm, der im übrigen auch auf Europa ausgedehnt werden könne.

Die Europäer blieben zurückhaltend. Sie hörten zu, aber sie waren trotzdem gegen NMD. Ausdrücklich sagte das vor allem der französische Staatspräsident Jacques Chirac - quasi als Hauptsprecher der Bush-Kritiker. Nur Aznar und der neu dazugestoßene Silvio Berlusconi aus Italien standen auf der Seite Bushs. Der NATO-Gipfel endete zwar nicht im Eklat, aber er endete unbehaglich. Die Teilnehmer wussten danach, dass sie nicht mehr übereinstimmten. Gemunkelt wurde auch von der amerikanischen Überheblichkeit, der Vermessenheit der Supermacht, die die Welt auf eine neue gefährliche Konfrontationslinie - gerade mit Russland - bringen könnte.

Greifbare Spannungen

Der atmosphärisch gestörte NATO-Gipfel überschattete dann einen Tag später den EU-Amerika-Gipfel in Göteborg. Da waren die Spannungen fast mit Händen greifbar - auch wenn sich beide Seiten bemühten, die Konfliktlinien zu entschärfen. Doch im Streit um das europäische Import-Embargo von hormonbehandeltem amerikanischen Fleisch oder die Steuerfreiheit von für den Export gegründeten Schein-Firmen der Amerikaner gab es keinen Kompromiss - ebenso wenig eine gemeinsame Haltung bei den anstehenden WTO-Verhandlungen. Erst in Polen und Slowenien wurde Bush dann wieder so herzlich empfangen wie am Anfang in Madrid. Doch die Europäer hatten dem Neuling eine kühl berechnete diplomatische Lehrstunde erteilt: "So nicht!", lautete die Devise.

Der 11. September brachte Solidarität

Das alles änderte sich mit am 11. September mit den Terrorattacken auf das World Trade Center und das Pentagon. Die Europäer erklärten sich sehr schnell solidarisch mit den USA und beriefen zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Sondergipfel ein. Sie zeigten sich bereit, an der Seite der USA - und das hieß an der Seite von Bush - in den Kampf gegen den Terrorismus zu ziehen. Und sie unterstützten die NATO, als diese den Bündnisfall ausrief. Politisch, symbolisch stand Europa uneingeschränkt an der Seite seines transatlantischen Verbündeten. Faktisch allerdings handelte Washington praktisch allein: Denn die USA brauchen weder die NATO noch die EU, um gegen den Terror vorzugehen. Selbst die so entschlossen wirkenden Briten stellten bestenfalls symbolische Truppenteile zur Verfügung.

Trotzdem: Die Beziehungen hatten sich schlagartig verbessert. Und als die USA auch noch Russland in ihre Koalition gegen den Terror einbanden, war plötzlich die gesamte Konstellation auf dem diplomatischen Weltparkett verändert. Seit dem 11. September gibt es neue Allianzen - auch für die NATO, bei der Russland nun sozusagen als heimlicher Verbündeter gilt. Und von der anfänglichen Skepsis und Zurückhaltung gegenüber George W. Bush ist in Europa kaum noch etwas zu spüren. Osama Bin Laden und seine El-Kaida-Organisation haben die transatlantischen Partner enger zusammenrücken lassen, als beide Seiten das erwartet hätten.