Europa und die Welt
30. November 2010Nach 1945 war man es in Deutschland gewohnt, dass speziell die amerikanische Außenpolitik ein besonderes Augenmerk auf Deutschland und Europa hatte. Mit alliiertem Besatzungsrecht konnte die amerikanische Administration auf politische Entscheidungen in Europa unmittelbar Einfluss nehmen. Als mit dem Scheitern des Kommunismus in Osteuropa auch der "Kalte Krieg" beendet war, änderte sich der amerikanische Focus: Nicht mehr Europa, sondern Asien rückte mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses.
Konflikte gelöst
Das lag weniger an der geschwundenen Bedeutung Europas, als vielmehr an der amerikanischen Einsicht, dass der europäische Kontinent weitgehend stabilisiert war. Die Öffnung der Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa und die Integration ehemaliger Staaten des kommunistischen Ostblocks in die Europäische Union ließen militärische Konflikte unwahrscheinlich werden. Ganz anders in Asien – dort sind sowohl Aufrüstung und als auch Verbreitung von Massenvernichtungswaffen weit fortgeschritten.
Attraktive Wertegemeinschaft
Gleichwohl befinden sich Europa und die USA in einer Wertegemeinschaft, die von beiden Seiten hochgeschätzt wird. Beiderseits des Atlantiks leben freie und demokratische Gesellschaften, die sich den gleichen Werten verpflichtet fühlen. Sie sind Partner in der NATO und anderen globalen Zusammenschlüssen. Diese Wertegemeinschaft ist aber auch für andere Staaten attraktiv. So zieht es Russland mehr und mehr in Richtung Europa.
Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin wünscht sich sogar eine Freihandelszone mit der EU. Den Euro hält er für eine Weltwährung. Er könne sich durchaus vorstellen, dass Russland "eines Tages Teil des euopäischen Währungssystems werde," sagte er während seines Deutschlandbesuchs im November 2010. Diese Idee – wenngleich mit langfristiger Perspektive – trifft auch in Deutschland auf Zustimmung.
Unabhängig von Währungsfragen sieht die russische Regierung in der EU ihren wichtigsten Handelspartner, dessen innere Entwicklung in Moskau mit hoher Aufmerksamkeit beobachtet wird. Aus russischer Sicht ist es entscheidend, ob die EU übernationale Funktionen zugesprochen bekommt. Dann nämlich würden sich weitere Perspektiven zur Zusammenarbeit ergeben.
Ambivalenz in Asien
Während sich Russland der EU annähert, ist die Sicht asiatischer Länder auf Europa unterschiedlich. Für die einen hat Europa Vorbildcharakter, weil es auf dem europäischen Kontinent gelungen ist, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen. Das in Europa erdachte System der "vertrauensbildenden Maßnahmen" einerseits und der "gegenseitigen Kontrolle" andererseits genießt in den Krisenregionen Asiens hohe Anziehungskraft. Ein KSZE-Prozess für Asien wird zwar propagiert, ist aber noch nicht realisiert.
In Europa führte jene "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) am 01.08.1975 mit der Schlußakte von Helsinki zu einem Entspannungsprozess. Die Unterzeichnerstaaten hatten sich in der finnischen Hauptstadt neben den Grenzen auch die universelle Gültigkeit der Menschenrechte garantiert. Damit war ein politischer Prozess eingeleitet, an dessen Ende die vollständige Überwindung der europäischen Gegensätze stand.
ASEM
Der asiatisch-europäische Dialog ist in den vergangenen Jahren systhematisch ausgebaut worden. Seit 1996 findet der ASEM-Prozess ("Asia Europe Meeting") statt – ein interregionaler Dialog zwischen Asien und Europa, durch den Europa an den Diskussionen über eine neue Sicherheitsarchitektur im asiatisch-pazifischen Raum beteiligt ist.
Auf der einen Seite also ist Europa Vorbild für viele asiatische Staaten. Auf der anderen Seite aber bemängeln viele Intellektuelle den Werteverlust der westlichen Gesellschaften. Einer der bedeutendsten chinesischen Geisteswissenschaftler Wang Hui warnte davor, westliche Werte und Denkpositionen zu übernehmen. Westliche Demokratien, sagte er bei einem Vortrag Anfang November 2010 in der Schweiz, seien keineswegs perfekt, es herrsche eine zu große politische Indifferenz und "alle wollten allen gefallen."
Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Fabian Schmidt