Fischer sieht Europa in der Sackgasse
13. Januar 2011Ist die Idee eines europäischen Bundesstaates heute tot oder im Gegenteil aktueller denn je? Viele beobachten im Moment das Wiedererstarken des nationalen Prinzips, gerade jetzt in der Euro-Krise. Andere sehen gerade die Krise als Anlass für einen notwendigen neuen großen Integrationsschritt. Die Spinelli-Gruppe im Europaparlament ist ein überparteiliches Netzwerk von Abgeordneten, Politikern, Wissenschaftlern und Autoren, die sich für ein vereintes Europa einsetzen. "Die vereinigten Staaten von Europa - hin zu einer transnationalen Gesellschaft" - zu diesem Thema hatte die Gruppe jetzt den früheren deutschen Außenminister Joschka Fischer von den Grünen und den französischen Philosophen Jean-Marc Ferry eingeladen.
Mauerfall als Wendepunkt
Ferry meinte, dass die alten Grundlagen nicht mehr taugen. "Die große Legitimation nach dem Krieg für das europäische Projekt war der Friede – kein europäischer Bürgerkrieg mehr! Diese Legitimation – ich sage es ganz brutal – ist mit der Berliner Mauer zusammengebrochen." Eines der neuen großen Projekte sei die Globalisierung. Doch sie werde von vielen mit Sorge als Unterwanderung der Staaten betrachtet. Ferry empfiehlt "die politische Wiedereroberung der Wirtschaft" als neue Legitimation.
der Onkel aus Asien hat den aus Amerika ersetzt
Für Joschka Fischer ist das viel zu traditionell und zu sehr in Staaten gedacht. Der ehemalige deutsche Außenminister wirft Europa Blindheit vor den Realitäten vor. "Ich finde es nachgerade amüsant zu sehen, wie die Europäer sich nach wie vor Sorgen machen um Souveränitätsübertragung und dabei vergessen, dass wir täglich Souveränität übertragen und verlieren. Nur übertragen wir sie nicht auf Brüssel, sondern ganz woanders hin." Wohin, das hätten die Besuche um Weihnachten in verschiedenen europäischen Hauptstädten gezeigt. Dort sei nicht mehr "der gute Onkel aus Amerika" angesagt gewesen, sondern "ein anderer guter Onkel versprach Hilfe." Gemeint waren vor allem chinesische, aber auch japanische Hilfsangebote an europäische Schuldenstaaten.
Nächster Schritt: die Wirtschaftsunion
Fischers These ist, dass Europa mit deutlich mehr Integration auf die Machtverschiebung Richtung Asien reagieren muss. Dann könne es seine Souveränität wahren, aber nur gemeinsam. Sonst werde es seinen weltpolitischen Einfluss verlieren. Und auch die Euro-Krise werde es längerfristig nur als Wirtschaftsunion bewältigen. Doch wo soll die Europäisierung enden, im europäischen Bundesstaat? Fischer sieht die verschiedenen Identitäten nicht in Gefahr. "Wir werden nicht zu den Vereinigten Staaten von Amerika werden. Aber uns wird es zerbröseln, wenn wir eine Föderation bleiben."
Wie erreicht man die Menschen?
Fischer ruft die verantwortlichen Politiker auf, für diese Idee in der Bevölkerung zu werben und zu einem Thema zu machen, "das auch Emotionen hervorruft". Er selbst wirft sich vor, "die emotionale Dimension" habe in seiner Zeit als aktiver Politiker gefehlt. Weil Europapolitik so lange von oben betrieben worden sei, bleibe sie auch vielen Menschen so fremd. Diesen Punkt würde der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sicher unterschreiben. Ansonsten ist ihm die Diskussion aber viel zu abgehoben. "Ich glaube, dass für die Bürger weniger eine theoretische Debatte über Staatsstrukturen richtig ist, sondern dass wir eine Debatte über die Herausforderungen führen müssen." Jeder wisse, dass man zum Beispiel Wirtschafts- und Verbraucherstandards nur noch europaweit durchsetzen könne. "Und wenn wir über die Themen gehen, dann werden wir auch die Menschen mitnehmen können."
Wo die europäische Einigung einmal enden soll, auf diese Frage will sich der Abgeordnete nicht einlassen. Doch auch Fischer weicht einer Antwort letztlich aus. Beide sind aber überzeugt, dass es in Zukunft deutlich mehr Europa sein muss als heute.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Fabian Schmidt