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EU-Außenminister beraten über die Zukunft Europas

Bernd Riegert27. Mai 2006

Ein Jahr nach dem Scheitern der EU-Verfassung beraten die Außenminister Europas darüber, wie sich das Papier noch retten lässt. Änderungen soll es wohl nicht geben.

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Die EU-Verfassung in der SackgasseBild: dpa
Frank-Walter Steinmeier
Frank-Walter Steinmeier warnt davor, Patent-Rezepte zu erwartenBild: PA/dpa

In klösterlicher Abgeschiedenheit bei Wien wollen die EU-Außenminister am Wochenende (27./28.5.) über die Verfassung, die Zukunft Europas, seine soziale Dimension und die nächsten Erweiterungsrunden nachdenken. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnt davor, Patent-Rezepte zu erwarten: "Wir kommen nicht zusammen, um operative Beschlüsse zu fassen. Es ist eine Vorbereitungsdiskussion, vor allem mit Blick auf kommende Präsidentschaften." Vielmehr gehe es bei den Debatten darum, geeignete Schlüsse zum Ratifizierungsverfahren zu ziehen.

Mit Finnland werden demnächst 16 der 25 Mitgliedsstaaten die Verfassung, die Europa demokratischer und führbarer machen soll, ratifiziert haben. Zwei haben sie per Referendum abgelehnt: Frankreich und die Niederlande. Eine Wiederholung der Referenden ist dort nicht geplant. In europaskeptischen Ländern wie Großbritannien, Dänemark und Polen wurde das Verfahren auf Eis gelegt. Die übrigen Staaten wollen den Text des Verfassungsvertrages nicht ändern.

Klarstellungen zum Erfolg

Eine Zwickmühle, aus der Jo Leinen, Europa-Abgeordneter im Verfassungsausschuss, nur einen Ausweg sieht: Die 420 Seiten starke Verfassung soll durch Erklärungen und Anhänge ergänzt werden. So erklärt er, dass dies eine "galante Lösung" sei. Man müsse den gefundenen Kompromiss nicht aufbrechen, sondern Klarstellungen anhängen. Beim Nein der Dänen wäre man diesen "guten Weg" auch schon gegangen und hätte damit Erfolge erzielt. Die Dänen stimmten dem ergänzten Maastricht-Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion schließlich in einer zweiten Volksabstimmung zu.

Das Vorhaben, den Text um Erklärungen und Anhänge zu erweitern, favorisiert angeblich auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Frühjahr 2007 während ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Verfassung wieder beleben will. Im Bundestag sagte sie vor zwei Wochen, sie wolle gar eine "Neubegründung" dieses europäischen Projekts.

Jean-Claude Juncker
Jean-Claude Juncker ist selbstkritischBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Der einflussreiche luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, der als "Muster-Europäer" gilt, warnt seine Kollegen jedoch vor allzu hochfliegenden Plänen. Die Verfassung sei ein völkerrechtlicher Vertrag wie jeder andere. Allein der Begriff mache den Menschen Angst. "Dieses Gefühl, hier kommt die 'groß-europäische Planier-Raupe' und walzt alles Nationalstaatliche nieder, ist ein Eindruck, den wir durch unvorsichtiges Formulieren geradezu provoziert haben." Seiner Meinung nach wissen die Menschen, dass man Verfassungen nicht abändern könne wie ein einfaches Gesetz. "Obwohl man sie hätte abändern können, wie alle internationalen Verträge. Wir haben uns in der Terminologie sträflichst daneben benommen."

"Europa ohne Kompass"

Jean-Claude Juncker - der dienstälteste Ministerpräsident in Europa - glaubt, dass Europa gespalten ist: Die eine Hälfte der Menschen wolle "mehr" Europa, die andere Hälfte habe die Nase voll. Die ständige Erweiterung der Union werde als Bedrohung empfunden, obwohl das von den Fakten her Unsinn sei. Die bis in die 1980er Jahre hinein selbstverständliche Europa-Begeisterung der Menschen sei verschwunden, so Juncker. "Europa hat den Kompass verloren, weil die, die ihn in Händen halten, ihn von links nach rechts gewendet und dann weggeworfen haben. Wir sind ohne Kompass - nicht, weil die Politik schwach wäre - die ist das auch -, sondern weil auch die Menschen etwas zukunftsfaul geworden sind."

Frankreich möchte an dem Versprechen rütteln, das den Staaten auf dem Balkan von der EU gegeben wurde. Eine automatische Aufnahme in die Union dürfe es nicht geben, heißt es in einem Papier aus Paris, das in Brüssel vor dem jetzigen EU-Außenministertreffen zirkuliert. Die Hürden für die übrigen Staaten Südosteuropas und die Türkei sollen höher werden.

Das Europaparlament will diesen Schritt nur unter Bedingungen: In einer Entschließung heißt es, dass es ohne Verfassungsvertrag nach Bulgarien und Rumänien keine Erweiterungsrunden mehr geben könne. Auch der derzeitige österreichische EU-Ratspräsident Wolfgang Schüssel hat Zweifel am Erweiterungskurs. Er betont immer wieder, die Aufnahmefähigkeit der EU müsse stärkeres Gewicht haben.

Weitere Diskussionen

Zur Verfassung ist dem österreichischen Bundeskanzler allerdings auch noch keine neue Lösung eingefallen. Vom Ergänzen oder Umschreiben des Textes hält Schüssel nicht viel. "Es soll mir einer zunächst einmal ein besseres Modell vorschlagen oder bessere Ideen auf den Tisch legen, dann lasse ich mich natürlich gerne davon überzeugen. Aber bis zur Stunde kenne ich jedenfalls kein besseres Modell."

Das selbst verordnete "Nachdenken" über Europa, die Verfassung und die Zukunft wird nach dem Außenminister-Treffen in Klosterneuburg bei Wien weitergehen. "Wir sind ja keine Zauberkünstler", hat Ursula Plassnik, die österreichische Außenministerin schon vorsorglich angemerkt.

Wenn es auch keine neuen Ideen gebe, müsse man die Präsidenten- und Parlamentswahlen in Frankreich und den Niederlanden im kommenden Jahr abwarten, sagt Juncker. Er rät davon ab einfach stehen zu bleiben. Dies wäre ein großer Fehler. "Wir sollten weiter nachdenken und dann 2007, 2008 oder 2009 zu weiteren Beschlüssen kommen. Wir können nicht nur diskutieren."