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Kommentar: Nur schemenhafte Antworten

Bernd Riegert, Brüssel11. Mai 2006

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre erste Regierungserklärung zur Europa-Politik abgegeben. Die richtigen Fragen hat sie gestellt, aber die Antworten sind nebulös geblieben, meint Bernd Riegert in seinem Kommentar.

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Angela Merkel im BundestagBild: AP
Bernd Riegert

Die Forderung nach einer "Neubegründung" der EU kommt nicht überraschend. Dieses Konzept hat die Bundeskanzlerin eng mit ihrem Duz-Freund, dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, abgestimmt. Der hatte nur einen Tag zuvor einen ähnlichen Aufbruch und eine Wiederbelebung des Projektes Europa gefordert. Aus Sicht der Europäischen Union (EU) hat die künftige EU-Ratspräsidentin, Angela Merkel, die richtigen Fragen gestellt. Jetzt kommt es darauf an, ob sie im ersten Halbjahr 2007, wenn sie die Regentschaft übernimmt, auch die richtigen Antworten geben kann.

In der Regierungserklärung selbst waren sie nur schemenhaft zu erkennen. Dem klaren Bekenntnis zur EU-Verfassung folgte kein Rezept für einen Ausweg aus der Krise. Wie Franzosen und Niederländer zurückgeholt werden sollen in das Verfassungsboot, aus dem sie vor einem Jahr ausgestiegen sind, sagte Angela Merkel nicht. Sie warnte vor Schnellschüssen, einer Gefahr, die es gar nicht gibt, denn in der EU herrscht eher Ratlosigkeit, wie die Verfassung doch noch in Kraft gesetzt werden kann. Von Schnellschüssen war nie die Rede. Realistisch gesehen wird der Ratifizierungsprozess in den kritischen Ländern, wie Frankreich, den Niederlanden, aber auch in Polen, Dänemark und Großbritannien wohl erst im Jahr 2008 wieder in Gang kommen können.

Was tun mit der Verfassung?

Die EU-Ratspräsidentin Angela Merkel kann 2007 sicherlich Impulse geben, aber auch sie wird die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden im Frühjahr 2007 abwarten müssen. Eine Antwort auf die Gretchenfrage, ob der Text der Verfassung verändert, ergänzt oder in erneuten Referenden unverändert behandelt wird, steht aus.

Eine klare Aussage zu den Grenzen der EU vermisste man in der Rede Merkels. Zwar ist man sich bei der EU bewusst, dass sie anders als die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs einen Beitritt der Türkei ablehnt, aber eine Festlegung vermied die Kanzlerin. Die Bewerbung der Ukraine ist wohl chancenlos, höchstens eine Partnerschaft ist möglich. Für die Balkanstaaten sollen die Beitrittskriterien härter ausgelegt werden.

Heikle Themen ausgespart

Gerne hört man in der Brüsseler EU-Zentrale das erneuerte Versprechen der Kanzlerin, sich von 2007 an wieder an die Finanzdisziplin des Stabilitätspaktes halten zu wollen. Noch lieber hätte der EU-Währungskommissar Joaquin Almunia ein Bekenntnis zu weiteren Reformschritten gehört, denn das, was die Bundesregierung bislang an mittelfristigen Schritten in den sozialen Sicherungssystemen vorgelegt hat, wird nach Einschätzung der EU nicht ausreichen. Auch bei den Wirtschaftsreformen hinkt Deutschland als größte Marktwirtschaft in der EU immer noch hinterher. Der große Umbau, wie er in Österreich, den Niederlanden oder in Schweden angepackt wurde, steht noch aus. Bei anderen Initiativen, wie der Öffnung der Dienstleistungsmärkte oder der Vereinheitlichung der Einwanderungspolitik kam starker Widerstand bislang auch aus Deutschland. Dazu war von der Kanzlerin nichts zu hören.

Vermittlungskünste Merkels gefragt

Der deutsche Industriekommissar Günter Verheugen wird sich über die Unterstützung der Kanzlerin für den Bürokratieabbau in der EU freuen. 25 Prozent aller EU-Gesetze seien überflüssig, schätzt Angela Merkel. Das ist mutig, bislang hat die schwerfällige EU-Kommission nur knapp 50 der über 80.000 Gesetze für überflüssig erklärt. Der Prüfungsprozess läuft. Die deutsche Kanzlerin sollte ihre Präsidentschaft nutzen, hier entscheidende Akzente zu setzen.

Die deutsche Bundeskanzlerin wird 2007 eine große Chance haben, als Vertreterin des größten Mitgliedslandes, der EU neuen Schwung zu geben. Hoffentlich nutzt sie diese. Der Erfolg hängt von ihren Vermittlungskünsten ab, denn sie ist natürlich auf einen Konsens unter den dann 27 Staaten angewiesen.